Tätowierte Frau verschränkt Arme hinter dem Kopf.© PeopleImages / iStock / Getty Images
Heute werden Tätowierungen mit präzisen Hightech-Geräten in die Haut gestochen.

Kulturgeschichte

SCHON ÖTZI HATTE EIN TATTOO

Tattoos wecken meine Neugier, meine Bewunderung, aber manchmal auch meine Ablehnung. Und ich frage mich: Was hat es mit der Körperkunst auf sich? Woher kommt die Lust, seine Haut mit zum Teil großflächigen Bildern zu bedecken?

Seite 1/1 5 Minuten

Seite 1/1 5 Minuten

Tattoos sind keine Erscheinungen unserer Zeit, schon in der Steinzeit haben sich die Menschen Ornamente in die Haut geritzt. Die Gründe dafür lagen meist wohl im rituellen und spirituellen Bereich. Indigene Völker Südamerikas haben schon vor vielen Jahrtausenden ihre Haut kunstvoll markiert, wie man anhand von Mumienfunden nachweisen kann. Auch hier vermutet man die Gründe in der Stammeszugehörigkeit und der gesellschaftlichen Stellung. 

Funde Jahrtausende alter Mumien in Ägypten weisen ebenfalls darauf hin, dass auch hier die Kunst des Tätowierens bereits bekannt war und rituelle und spirituelle Gründe hatte. Die bekannteste Mumie mit Tattoos ist die Gletschermumie Ötzi, die immerhin bereits circa 5000 Jahre alt ist und aus Europa stammt.

Die Gründe für die Körperkunst

Häufig hat die Kunst des Tätowierens mit der Präsentation des Mutes und der Kraft, also gewissermaßen mit einer Art Auszeichnung zu tun. So wurde beim Stamm der Dayak auf der Insel Borneo einem Krieger die Hand tätowiert, nachdem er einen Feind getötet hatte. Und die Frauen wurden mit speziellen Zeichen versehen, wenn sie in der Lage waren, zum Beispiel Stoffe zu weben, was die Chancen verbesserte, von den Herren als potenzielle Heiratskandidatin ausgewählt zu werden. 

Schaut man sich die Maori in Neuseeland an, begreift man schnell, dass die vielfach nach wie vor äußerst kunstvollen Muster, Moko genannt, sehr individuell und familienspezifisch sind. Stammeszugehörigkeit, Ahnengeschichte und Ansehen wurden und werden mit den Hautritzungen nachhaltig und für jedermann offensichtlich dargestellt. Man könnte fast sagen, dass die Tattoos ein bisschen die Funktion eines Personalausweises in Verbindung mit der Geburtsurkunde und einem Familienalbum hatten und haben.

Die Kirche und ihre Meinung zu Tattoos

Selbst in unseren Breitengraden waren Tätowierungen nichts Außergewöhnliches, bis im 8. Jahrhundert die katholische Kirche in Person von Papst Hadrian I. ein Machtwort sprach und den Körperschmuck als heidnischen Brauch verbot und damit aus dem Christentum verbannte. Dadurch sollte eine klare Abgrenzung zu Völkern oder Personengruppen geschaffen werden, die als primitiv eingestuft wurden und von der Kirche missioniert werden sollten. Zuvor hatten sich viele Christen die Initialen Christi, einen Fisch, ein Lamm oder ein Kreuz, als Erkennungszeichen und Signal auf die Stirn oder das Handgelenk ritzen lassen. 

Aber nicht immer waren die Symbole in der Haut ein Zeichen stolzer Zurschaustellung. Die Methode der Brandmarkung bediente sich ebenfalls der Tattoos. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden zum Beispiel in Bosnien katholische Mädchen tätowiert, damit sie nicht ohne Weiteres zum Islam übertreten konnten. Die Römer markierten Sklaven und Verbrecher mit Tattoos, um bestimmte Zugehörigkeiten auf den ersten Blick zu zeigen. Den grausamsten und perversesten Einsatz dieser Art der Kennzeichnung erlebten Juden und Minderheiten im Zweiten Weltkrieg, einer der finstersten Phasen der Menschheitsgeschichte.

Mit Cook kam „Tattoo“

Nach dem Verbot Papst Hadrians I. verschwand das Tätowieren weitestgehend aus Europa, bis der Seefahrer James Cook im 18. Jahrhundert nicht schlecht staunte, als er in Polynesien auf Menschen stieß, die große Bereiche ihrer Körper mit Tattoos verziert hatten. Dort lernte er auch, dass sie diese Art des Körperschmucks „Tatau“ nannten, was so viel heißt wie „Kunstvoll hämmern/trommeln“. Es wurden die traditionellen Tätowierungen mit scharfen Steinen oder Klingen mithilfe eines Klopfwerkzeugs in die Haut eingetrommelt. Das ist auch heute noch bei Naturvölkern vielfach der Fall.

Tattoos für die Oberschicht

Es gab eine Zeit, in der Tattoos gewissermaßen ein Phänomen der oberen Schichten waren: Es ist überliefert, dass zum ausgehenden 19. Jahrhundert in New York 75 Prozent der Frauen, die der Oberschicht angehörten, tätowiert waren. Und man weiß, dass sich König Edward VII, ebenso wie Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, Zar Nikolaus II und Prinzessin Marie von Orléans mit Tätowierungen verzieren ließen. Ja, selbst Kaiserin Sisi von Österreich soll ein Tattoo in Form eines Ankers auf der Schulter getragen haben. Die Motive ähnelten den geläufigsten von heute: Kraft- und Glückszeichen, Namen und Symbole.

Dadurch, dass Cook den Eingeborenen Prinz Omai als Jahrmarktsattraktion nach England mitbrachte und dort der Begriff „Tattau“ als „Tattow“ in Umlauf kam, kennen wir heute das Wort im englischsprachigen Raum immer noch als „Tattoo“. In Deutschland hat es sich in den Begriff „Tätowierung“ gewandelt.

Den gemeinsamen Wortstamm kann man auch in anderen Ländern noch erkennen, so heißt das Tätowieren im Französischen Tatouage, im Norwegischen Tatovering, die Spanier nennen es Tatuaje, und auf Tschechisch heißt es Tetováni. Irgendwann nach Cook fingen Seeleute an, sich Anker, Marienbilder oder Heiligennamen einritzen zu lassen, die sie auf See beschützen sollten. Und so war zu Religion und Ritual auch noch der Aberglaube hinzugekommen.

Heutige Tattoos

Moderne Tattoo-Studios bedienen sich natürlich nicht mehr irgendwelcher Klingen oder geschliffener Steine. Sie arbeiten mit Hightech-Geräten, bei denen die Farbe mittels sich schnell auf und ab bewegender Nadeln unter die Haut gebracht, gewissermaßen geimpft wird. Das Meinungsforschungsinstitut Emnid hat herausgefunden, dass sich mittlerweile jeder zehnte Deutsche tätowieren lässt. 

Aber warum? Prominente, seien es Fußballstars wie David Beckham, oder Popstars wie Robbie Williams, haben es vorgemacht. Sie gehören zu denjenigen Meinungsbildnern, die recht früh damit begonnen haben, an sehr auffälligen Stellen ihrer Körper große, wirklich unübersehbare Tattoos stechen zu lassen und sie stets zur Schau zu stellen. Das fand schnell Nachahmer. Aber nicht nur der reine „Ich will auch“-Aspekt spielt eine Rolle. 

Es ist schon interessant, was die Psychologie zu diesem weltweiten Trend sagt. Es gibt zahlreiche Bücher und Abhandlungen zum Phänomen Tattoo. Dabei sind die Motive fürs Stechen so vielfältig wie die Motive zum Anschauen. Ein Tattoo ist auf den ersten Blick etwas für die Ewigkeit. Eine neue Liebe, ein neugeborenes Kind, ein Idol im Sport oder in der Musik, Bibelverse, altertümliche und heidnische Abbildungen oder Sprüche – alles findet seine Liebhaber und wird für immer unter die Haut gestochen.

Oft ist es der Protest Jugendlicher gegen das vermeintliche elterliche Erziehungsjoch. Individualität und Unabhängigkeit, Selbstbestimmtheit und Einzigartigkeit sollen in den Bildern Ausdruck finden – auch wenn es mit der Einzigartigkeit oftmals gar nicht so weit her ist, nachdem in den Tattoo-Studios vielfach Motive aus dem Katalog gewählt werden.

Spannende Studien zum Thema Tattoo

Es wurde unter anderem festgestellt, dass Tätowierte in vielen Fällen mehr Mut zum Risiko haben, dass sie gerne mal ein bisschen experimentierfreudiger sind als Nichttätowierte. Eine französische Studie legte dar, dass mit der Zahl der Tätowierungen die Wahrscheinlichkeit, ungeschützten Sex zu praktizieren, vermehrt zu Alkohol zu greifen und kriminelles oder gewaltbereites Verhalten an den Tag zu legen, anstieg.

 Aber in der Tat haben viele Menschen auch einfach nur Spaß an der Körperkunst, am Understatement, an der Bewunderung der anderen, manchmal sogar am Abscheu, den stark Tätowierte gelegentlich erregen. Schließlich gibt es absolut herausragende Beispiele wie den als „Zombie-Boy“ vor allem durch ein Video von und mit Lady Gaga bekannt gewordenen Rick Genest, der als ein Ganzkörper-Skelett tätowiert war.

Was immer den Einzelnen dazu bringt, sich ein kleines schwarzweißes Tattoo oder ein großes vierfarbiges Bild stechen zu lassen, es ist stets ein Ausdruck der Persönlichkeit, der Weltanschauung, großer Liebe oder des Protests. Und natürlich haben in anderen Kulturen die schmerzhaften Prozeduren nichts von ihrer religiösen, spirituellen, stammesgeschichtlichen und familiären Bedeutung verloren. Der Mensch ist eben bunt – wie die Welt.

×