Titelbild Kolumne
© bowie15 / iStock / Getty Images Plus

Kolumne | Prof. Dr. Aglaja Stirn

KRISEN

Wir alle kennen Krisen, Übergangszeiten oder Zeiten des Umbruchs. Alles hört einmal auf, meist unter Schmerz, manchmal ist es auch mit Erleichterung verbunden, und etwas Neues beginnt.

Seite 1/1 2 Minuten

Seite 1/1 2 Minuten

Krisen können sehr unterschiedlich verlaufen, manchmal unbemerkt und sanft – ein anderes Mal plötzlich, abrupt und unter großem Aufwand. Auch das subjektive Leid kann sehr unterschiedlich sein. Krisen können individuell entstehen und auch Länder oder die die ganze Welt betreffen, sei es Krieg oder das Klima. Trotzdem sind Krisen immer auch subjektiv in ihren Bewertungen.

Es gibt Krisen, die gehen schnell vorbei und werden gut bewältigt und andere münden in eine Anpassungsstörung. Dann kann es sogar sinnvoll sein, sich Unterstützung für diese Zeit zu suchen. Das hängt von den eigenen Bewältigungsmechanismen, der Persönlichkeitsstruktur, der vulnerablen Phase und natürlich der Art der Krise ab. Fällt ein besonders kritisches Ereignis in eine vulnerable Phase, kann es schwieriger werden.

Krisen können danach unterschieden werden, ob es sich um Veränderungskrisen oder traumatische Krisen handelt. Man kann sie auch nach Lebensphasen oder auslösendem Ereignis unterscheiden. Im Mittelpunkt steht die Person und die Bedeutung, die die Person dem Ereignis gibt, wie zum Beispiel einer Krankheit, einem Todesfall oder einer psychischen Verletzung.

Besonders bedeutsam können narzisstische Krisen sein, weil sie die eigene Identität oder das Selbstbild der Person zu bedrohen scheinen. Wird die Bedrohung von nahestehenden Personen ausgelöst, kann es die Krise verstärken, sei es in der Familie oder in der Paarbeziehung. Aber auch Auslöser, wie wir sie gerade erleben, durch Krieg und Flucht können existenzielle Krisen zur Folge haben. Diese Traumakrisen folgen meist auf außergewöhnlich belastende Lebensereignisse.

Der Psychologe Petzold unterscheidet fünf Kategorien von Krisen: Körper und Gesundheit, soziale Beziehungen, Arbeit und Leistungsfähigkeit, materielle Sicherheit, Werte und Ideale. Die Krisenphasen lassen sich einteilen in Schock, Reaktion, Bearbeitung und Neuorientierung. Manchmal kann es sehr lange dauern, bis alle Phasen durchlaufen sind. Oder die Neuorientierung bleibt aus.

Dann muss ein Therapeut genauer schauen, was dahintersteckt, beispielsweise ungelöste Probleme aus der Biographie. Bei der Bewältigung einer Krise helfen soziale Beziehungen und Ressourcen, wie Werte, Hobbys und natürlich die Resilienz. Es ist gut, seine eigenen Ressourcen zu kennen. Wurde eine Krise nicht richtig bewältigt, kann das zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung führen. Eine gute Bewältigung einer Krise bringt uns immer wieder einen Entwicklungsschritt weiter und macht uns reifer für das Leben.

Es kann zum Beispiel zu einer veränderten Wertschätzung des Lebens kommen, anderen Prioritäten, anderen Beziehungsqualitäten oder auch mehr Kontakt mit sich selbst und der Umwelt. Das Leben bedeutet immer wieder Neuanpassung und Bewältigung, es gibt keine Existenz ohne Übergänge. Wir müssen alle immer wieder von Vertrautem loslassen und uns mit neuen Dingen beschäftigen, Herausforderungen meistern und uns verändern.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 06/2022 auf Seite 12.

Professor Dr. Aglaja Stirn
ist Direktorin des Instituts für Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Gruppentherapie, Psychoanalyse und Sexualtherapie an der Universität Kiel, Zentrum für Integrative Psychiatrie ZIP. www.zip-kiel.de

×