Selbstversorgung
IMKERN IN DER STADT
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Was verbindet das Rathaus in Berlin-Marzahn, das Kriminalkommissariat 5 in München und das Konzerthaus Laeizhalle in Hamburg miteinander? Auf den ersten Blick nichts. Auf den zweiten Blick das Gewusel auf den Dächern: An allen drei Orten stehen Bienenstöcke. Um die Honigbienen (Apis mellifera) kümmern sich Hobbyimkerinnen und -imker. Manchmal solche, die im Haus darunter arbeiten, manchmal welche, die in der Nähe wohnen und hoch oben Bienen halten. Die Münchner Imker in Uniform hat Alexander Gorkow im Roman „Die Kinder hören Pink Floyd“ verewigt: „Die Bienen sind jeden Sommer unterwegs zwischen den Gräsern und Blüten auf unserem Balkon und dem Dach der Polizisten von nebenan. Den Honig verpacken die netten Ermittler in Gläsern. Er heißt ,Polizeibienenhonig‘, man kann ihn kaufen, er schmeckt fantastisch.“
Das Image des Imkerns hat sich völlig geändert. Früher galt die Bienenzucht als altmodisches Hobby von älteren Herren auf dem Land. Doch seit ein paar Jahren ist „Urban Beekeeping“ ein Trend in Städten, getragen auch von jüngeren Männern und Frauen. Sie begeistern sich auf Homepages von „Bee Friends“ in Frankfurt und „Hamburger Stadthonig“ über ihr Hobby. Oder engagieren sich für wesensgerechte Bienenhaltung in Vereinen wie „Mellifera“. Oder verkaufen Honig mit Großstadtflair, in Berlin zum Beispiel Neuköllner Blüte, Bärengold, King Kong Honig. Berlin liegt ganz vorn beim Stadtimkern. Dort halten knapp 1400 organisierte Imkerinnen und Imker aus örtlichen Gruppen, die zum Deutschen Imkerbund gehören, etwa 8000 Bienenvölker.
Ina bekommt ein eigenes Volk Ina Rathfelder ist eine von ihnen. „Naturthemen interessieren mich als Gärtnerin“, sagt sie. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie schon lange einen Schrebergarten gepachtet. Als ein Imker aus ihrer Kleingartenkolonie sein Hobby vorstellte, ging sie neugierig vorbei, packte schnell mit an, lernte Honig zu schleudern. Als später Ableger von zu großen Völkern da waren, hieß es: „Ina braucht jetzt ein eigenes Bienenvolk.“ Rathfelder willigte ein, wie sie lachend erzählt, und stellte im Schrebergarten einen Bienenstock auf.
Summ summ summ, Bienchen summ herum: Das mag früher für Wald und Heide gegolten haben, wie es in dem alten Kinderlied heißt. Mittlerweile suchen sich Bienen auch gern in der Stadt ihr Futter – in Kleingartenanlagen und Parks, auf Friedhöfen und Balkonen. „Angesichts der Raps- und Maismonokulturen und der ganzen Spritzerei macht das Imkern auf dem Land leider nicht mehr so viel Spaß“, hat Annette Mueller von „Bärengold“ einmal erläutert. Diese Berliner Manufaktur vertreibt Honig von mehr als 50 Imkern aus der Hauptstadt. Der Hamburger Imker Gunnar Weidt weist darauf hin, dass Monokulturen eben auch in kurzer Zeit abblühen. In manchen Städten finden Bienen hingegen von Mai bis Juli Blüten. Sie sind, sagt Weidt, „ein Paradies aus Ahorn, Kastanie, Robinie und Linde“.
Dass Stadthonig ungesund ist, weil er Umweltgifte enthält, hat sich nicht bestätigt. Eine Analyse ergab im Jahr 2015, dass Autoabgase nur sehr geringe Spuren hinterlassen. Mueller von „Bärengold“ erklärt das so: „Beim Transport in der Honigblase und bei der Übergabe im Bienenstock wird der Nektar gefiltert. Der Nektar sitzt tief in der Blüte und ist damit auch vor Verunreinigungen geschützt. Und man stellt seine Bienenvölker ja auch nicht direkt neben der Stadtautobahn auf.“
Hier gibt’s was zu futtern
Wer nicht imkern will, aber Futter anbieten: „Bienenfreundliche Pflanzen – Das Pflanzlexikon für Balkon und Garten“ (www.bmel.de).
Bienenbücher
+ Maja Lund: „Die Geschichte der Bienen“
+ Thomas D. Seeley: „Bienendemokratie: Wie Bienen kollektiv entscheiden und was wir davon lernen können“
+ Erika Mayr: „Die Stadtbienen. Wie ich Imkerin wurde und mein Leben zu summen begann“
Für den Beobachterposten
www.deutschland-summt.de, eine Initiative für die Erhaltung der biologischen Vielfalt, insbesondere in urbanen Räumen.
Besuch vom Veterinäramt Rathfelder hat sich zu Beginn in einem Spezialgeschäft mit einer Anfangsausstattung eingedeckt: Schutzkleidung, Beute, also den Bienenstock, mit allem Werkzeug, Rahmen und Mittelwände, Besen zum Ausfegen, Futterinstallation. „Ich habe das genommen, was die anderen auch hatten“, erläutert die pragmatische Hobbyimkerin. „So kann man sich auch einmal etwas ausleihen.“ Ihr Bienenvolk meldete sie, wie vorgeschrieben, beim zuständigen Veterinäramt an. Denn auch für dieses Hobby sind Regeln einzuhalten. Vom Amt bekam sie rascher als gedacht Besuch. Die Bienen mit einem Zuhause in Rathfelders Garten flogen in einem Gebiet, in dem eine Krankheit die summenden Völker bedrohte. Deshalb kam eine Tierärztin zur Probenentnahme. Warum aber müssen es für Städterinnen und Städter auf einmal Bienen sein? Rathfelder macht deren Beobachtung die größte Freude. Im Garten sitzen, dem Volk zusehen, entspannt immer Neues entdecken: „Bienenkino ist besser als Kaminfeuer.“
Ihr gefällt auch, dass man beim Imkern nie auslernt. Stadtimker und -imkerinnen nennen die unterschiedlichsten Gründe, warum sie unbedingt Beuten aufstellen wollen: Aus Liebe zur Natur, wegen der Faszination für Bienen, aus Freude an den damit verbundenen Arbeiten, den sozialen Kontakten im Imkerverein und und und. Die Hobbyimker sind übrigens deutschlandweit längst in der Mehrzahl. Nur noch ein Prozent ist nach Angaben des Deutschen Imkerbunds Erwerbsimker und hat mehr als 50 Völker.
Ein Schwarm kann schnell überfordern Doch das Drauf-Los-Imkern, das manche Städter betreiben, teilweise sogar auf Balkonen, hat auch Kritiker. Dr. Benedikt Polaczek, Imkermeister der Freien Universität Berlin und Vorsitzender des Berliner Imkerverbands, hat vor zwei Jahren gegenüber der „taz“ betont: Haltung und Pflege von Honigbienen sind keine Kleinigkeit. Und Selbstverwirklichung hat Grenzen. „Die Bienen sind Lebewesen, und die müssen im Vordergrund stehen.“ Eine Beute ist schnell aufgestellt.
Doch wenn dann plötzlich hunderte Bienen da sind, ist mancher Neuimker überfordert. Polaczkek findet: „Es braucht weniger Bienenhalter, dafür mehr gut ausgebildete Imker.“ Wer etwas für Bienen tun will, der muss sich kein Volk anschaffen. Sondern kann geeignete Pflanzen aussuchen und damit Futterplätze schaffen. Dass Imkern allerdings ein gewisses Suchtpotenzial hat, weiß Polaczek: „Wer einmal ernsthaft mit der Imkerei angefangen hat, kann irgendwann nicht mehr ohne die Bienen leben.“
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/2021 ab Seite 142.
Sabine Rieser, freie Journalistin