Eine Frau filmt sich professionell mit ihrem Handy© RossHelen / iStock / Getty Images Plus
Auf Social Media sind viele Influencer*innen vertreten

Extrem viel, extrem scharf

FOOD TRENDS: WENN ESSEN AUF SOCIAL MEDIA ZUR GEFAHR WIRD

In den sozialen Medien werden immer extremere Essensweisen gefeiert. Doch wo liegt die Grenze zwischen Unterhaltung, Challenges und gesundheitlicher Gefährdung?

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Ein Tisch gefüllt mit dampfenden Gerichten, laute Schmatzgeräusche - und eine Kamera: In den sozialen Medien tummeln sich Kurzvideos rund ums Thema Essen. Extreme Essenstrends sind nicht neu und dennoch kann das Ausmaß leicht unterschätzt werden. Ob besonders scharf, besonders eklig oder sehr viel am Stück- Menschen schauen anderen Menschen beim Essen zu. Das birgt auch Gefahren.

„Im Prinzip geht es dabei um einen Wettbewerb. Und ein Wettbewerb geht oft in etwas Extremes über“, sagt Christina Holzapfel der Deutschen Presse-Agentur. Sie ist Professorin an der Hochschule Fulda und Leiterin der Forschergruppe „Personalisierte Ernährung und E-Health“ an der Technischen Universität München. Gefährlich werden die Trends ihren Angaben nach, wenn sie unterschätzt und nicht korrekt eingeordnet werden.

Lebensgefahr durch extreme Essen-Trends

Efecan Kültür, ein türkischer Tiktoker, postete beinahe täglich Videos, in denen er Unmengen an Essen vor der Kamera verspeiste - sie wurden tausendfach geklickt. „Mukbang“ nennt man das Essen vor der Kamera, das Kültür betrieb. Mit nur 24 Jahren starb er kürzlich an Adipositas, wie mehrere türkische Medien berichteten. Demnach hatte er zuvor längere Zeit im Krankenhaus verbracht.

Und das ist kein Einzelfall: Durch Essenstrends mit unter anderem großen Mengen oder extremer Schärfe ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu gesundheitlichen Notfällen bei Nutzern sozialer Medien gekommen.

Der Nachahmungs-Effekt

Die Nachahmungsgefahr ist ausgesprochen hoch, sagen Experten. „Wenn dann die Videos teils gefaked sind, kann das ein echtes Problem sein“, sagt Harald Seitz vom Bundeszentrum für Ernährung.

„Kein Mensch isst im Normalfall diese Portionen. Das schaffen sie gar nicht, das schafft der Körper gar nicht. Da ist der Magen einfach dann irgendwann voll.“

Auch die Zusammensetzung der Mahlzeiten sei dabei entscheidend: Das, was man in vielen Videos so sehe, seien energiereiche, energiedichte Lebensmittel mit vielen Kalorien, sagt auch Expertin Holzapfel. „Diese Menge, die da gegessen wird, sollte eine Ausnahme sein und das ist natürlich für den Körper auch eine außergewöhnliche Situation.“
 Esse man über die Sättigung hinaus, reagiere der Körper oftmals entsprechend - mit Übelkeit, mit Völlegefühl, mit Blähungen bis hin zum Erbrechen.

„Der Körper wehrt sich ja auch gegen diese großen Mengen an Nahrung“, sagt Holzapfel.

Warum ist Essen auf Social Media so beliebt?

Irgendwann in den Nullerjahren ist der „Mukbang“-Trend in Südkorea durch einen eher kuriosen Zufall entstanden: Als ein Gamer auf der beliebten, koreanischen Streaming-Plattform „AfreecaTV“ Hunger bekam und vor laufender Kamera genüsslich einen Becher Instant-Nudeln schlürfte, soll das bei den Zuschauern derart gut angekommen sein, dass sich schon bald etliche Nachahmer fanden.

Das Phänomen setzt sich aus den Wörtern „Muk-da“ (essen) und „Bang Song“ (Rundfunk/senden) zusammen, und beschreibt die Tätigkeit bereits ziemlich gut: Man filmt sich selbst beim Essen.

Untergang der Essenskultur?

Dass das Phänomen ausgerechnet in Südkorea begann, ist kein Zufall.

Nachdem die Mahlzeiten in der streng konfuzianisch geprägten Kultur Koreas von strengen Ritualen geprägt waren, hat sich die Esskultur in den letzten Jahrzehnten mit Aufkommen der Modernisierung des Landes radikal gewandelt. Junge Büroangestellte, geplagt von langen Arbeitszeiten und kurzen Mittagspausen, essen unter Zeitdruck schnell aufbereitetes Fast Food. Und oft tun sie das nicht mehr in geselligen Runden, wie es in der kollektivistischen Gesellschaft als Norm galt, sondern alleine vor ihrem Laptop. Experte Seitz meint dazu:

„Für viele ist dieses gemeinschaftliche Essen, natürlich auch dem sozialen Miteinander förderlich. Und das hat dann schon einen psychologischen Vorteil“

Warum nicht alles schlecht ist

Die Plattformen selbst halten sich bei der Beobachtung von Inhalten an Richtlinien - Tiktok zum Beispiel hat eine Community-Guideline, wonach potenziell gefährdende Inhalte mit Altersbeschränkungen belegt werden. Die Dienste böten erst einmal nur die Plattform für die Verbreitung an, sagt Holzapfel. Dennoch sei die fehlende Einordnung der Inhalte von Experten ein Problem.

„Am Ende dienen Social Media Plattformen dazu, dass sich Menschen auf meist unterhaltsame Art und Weise erkundigen, ihr Wissen holen und auch natürlich Informationen teilen“, sagt Holzapfel. Dabei gebe es sicher auch positive Auswirkungen, zum Beispiel, weil man sich gut vernetzten könne. „Es gibt beispielsweise viele Rezepte und Kochvideos zu sämtlichen Ernährungsstilen.“ Das Thema Ernährung sei in den sozialen Medien sehr präsent.

Aufklärung statt Verbote

Das Problem jedoch sei, „dass sich jeder Experte nennen kann und die Expertise nicht überprüft wird. Ein Großteil der Social Media Botschaften ist eben nicht evidenzbasiert und kommt nicht aus der Wissenschaft“, sagt Holzapfel.
Reglementierungen seien Seitz nach nur in bestimmtem Maße nützlich. Ein „erhobener Zeigefinger“ habe wahrscheinlich nicht den gewünschten Effekt. Dennoch sei die Aufklärung wichtig

„Es geht nur darum, zu sagen: Hier, passt mal auf, bei solchen Trends: Ja, das kann witzig sein und unterhaltend, aber lasst euch dann nicht in die Irre führen.“ 

Quelle: dpa

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