Narkolepsie
GUTEN MORGEN!
Seite 1/1 4 Minuten
Es ist aber auch eine gruselige Geschichte. Stellen Sie sich vor, Sie sind bei Freunden eingeladen und haben einen heiteren Abend. Sie haben ein köstliches Essen gehabt, lachen und fühlen sich im Kreise Ihrer Freunde einfach nur wohl. Und irgendwann haben Sie das Gefühl, dass sie von den anderen komisch angeschaut werden und dass Sie irgendetwas verpasst haben. Das haben Sie auch, denn Sie sind schlagartig eingeschlafen. Mitten im Gespräch, während die Musik lief und ohne eigentlich müde zu sein. Schrecklich, oder? Die Freunde mögen in dieser Situation denken, dass Sie die vergangene Nacht schlecht geschlafen haben. Das stimmt aber nicht. Was ist also los?
Die Neurologie ist schuld Gleich vorweg: Es handelt sich bei der Narkolepsie um eine neurologische Erkrankung. Laut Wissenschaft betrifft die Narkolepsie ungefähr 40 000 Menschen in Deutschland, die Dunkelziffer ist sicher höher. Die Ursachen sind weitestgehend unbekannt. Bekannt ist die Narkolepsie unter den Begriffen Schlummersucht oder Schlafkrankheit, und sie wird in der Medizin der Hypersomnie zugeordnet.
Dem Begriff Schlafkrankheit, wissenschaftlich Trypanosomiasis genannt, liegt eigentlich eine ganz eigene Krankheitsform zugrunde, die Afrikanische Schlafkrankheit. Sie wird durch einen Parasiten, nämlich die Tsetsefliege ausgelöst. Es muss also eine klare Abgrenzung zur wahren Narkolepsie geben.
Es gibt sogar unterschiedliche Typen Als wäre es nicht schon genug, dass ein Mensch unter ihr leidet, so gibt es auch noch unterschiedliche Narkolepsie-Typen. Für eine richtige Klassifizierung ist eine genaue Untersuchung der Symptome daher von immenser Bedeutung. Unterschieden wird nach der häufigsten Form, dem Typ 1, der Narkolepsie mit Kataplexie, einer Muskelerschlaffung, dem Typ 2, das ist die Narkolepsie ohne Muskelerschlaffung, und der sekundären Narkolepsie, bei der die Erkrankung die Folge einer Verletzung des Hypothalamus oder Hirnstamms mit daraus folgenden Erscheinungen wie Minderdurchblutung, Tumor oder Neurosarkoidose ist.
Ursache weitgehend unbekannt Experten diskutieren bezüglich der Ursache der Narkolepsie über alle möglichen denkbaren Zusammenhänge. Bis dato wird eine Funktionsstörung des Gehirns als kausal verantwortlich vermutet. Psychische Aspekte wie Depression oder auch eine Alkoholsucht scheinen keine Rolle zu spielen. Momentan gibt es eine Tendenz, die Narkolepsie den Autoimmunkrankheiten zuzuordnen, da sich bei Betroffenen weniger Hypocretin/Orexin in der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit befindet.
Dieser Botenstoff ist an der Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus maßgeblich beteiligt, und die fehlgeleitete Immunreaktion zerstört die Zellen, die das Hypocretin produzieren. Auch infektiöse Auslöser wie Streptokokken oder Influenzaviren sind denkbare Übeltäter. Es wird viel über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Grippe-Impfstoff Pandemrix® und der Narkolepsie diskutiert. Ein wirklicher Zusammenhang wurde indes noch nicht nachgewiesen. Das Medizinisch-Genetische Zentrum, MGZ, in München verlautbart zur Narkolepsie: Die genaue Ursache der Narkolepsie ist nicht bekannt, jedoch zeigt das DQB1*0602-Allel bei Patienten mit Narkolepsie eine Assoziation mit der Erkrankung.
90 bis 95 Prozent aller kaukasischen Patienten mit einer Narkolepsie tragen den HLA-Haplotyp DQB1*0602. […] In der Normalbevölkerung weist dieser Haplotyp eine Frequenz von 33 Prozent auf.“ HLA bedeutet Humanes Leukozyten-Antigen (HLA-System), das als eine Gruppe menschlicher Gene für die Funktion des Immunsystems benötigt wird. Für die Diagnose von Narkolepsie sind diese Genorte (Allele) allerdings nicht spezifisch, da sie bei 25 bis 35 Prozent der Bevölkerung ebenfalls nachweisbar sind. Zur alleinigen Diagnose reicht dieser Gentest deshalb nicht aus.
Was geschieht mit den Betroffenen? Schlagartiger Schlafzwang kommt in Schüben und überwältigend. Das heißt, die Betroffenen sind nicht ständig schläfrig, sondern werden regelrecht vom Schlafzwang überfallen. Der Typ 1 kann ganz unterschiedliche Körperregionen betreffen, sodass die Kontrolle über den Kopf, die Beine oder die Arme verloren geht. Auch hypnagoge und hypnopompe Halluzinationen, also während des Einschlafens und/oder Aufwachens, kommen vor.
Die traurige Nachricht Es gibt keine Heilung. Narkolepsie begleitet die Betroffenen ein Leben lang, und sie müssen lernen, damit fertig zu werden. Sollten Sie den Eindruck haben, einer Ihrer Kunden könnte aufgrund geschilderter Symptome unter Narkolepsie leiden, dann sprechen Sie ihn oder sie einfach an, bevor möglicherweise ein falsches Präparat im Zusammenhang mit einer verzweifelten und falschen Selbstmedikation verlangt wird.
Vom ersten Auftauchen bis zur endgültigen Diagnose können je nach Schweregrad und Typ manchmal mehrere Monate, ja sogar Jahre vergehen. So haben Sie die Möglichkeit, bei wiederkehrenden Kunden eine gewisse Kontrolle über die Medikationsgewohnheiten zu erlangen. Übrigens hat das Thema Narkolepsie auch juristische Relevanz, zum Beispiel, wenn es um den Führerschein geht.
Die gute Nachricht Es gibt gute Behandlungsmöglichkeiten, die Beschwerden zu lindern und den Alltag zu erleichtern. Patienten können Tagesschlafzeiten einplanen und vom Arzt empfohlene Verhaltensweisen erlernen. Das können viele Betroffene natürlich nicht, weil sie tagsüber ihren Berufen nachgehen müssen. Aber auch medikamentöse Hilfen, die vom behandelnden Arzt an die individuellen Gegebenheiten angepasst werden können, stehen zur Verfügung. So werden oft Stimulanzien verschrieben, welche die Tagesmüdigkeit lindern können.
Auch Antidepressiva werden manchmal eingesetzt, jedoch ist zu bedenken, dass die meisten nicht zur Behandlung der Narkolepsie zugelassen sind. Wichtig sind in jedem Fall regelmäßige ärztliche Kontrollen. In der Werbung heißt es: „Guter Schlaf ist sooo wichtig!“ Das stimmt, aber er sollte nachts im Bett stattfinden. Ermutigen Sie betroffene Kunden, zum Arzt zu gehen, denn alleine schaffen sie es wahrscheinlich nicht, ausgeschlafene Lebensqualität zurückzugewinnen. Zumindest ist die Narkolepsie per se nicht lebensbedrohlich, und das macht doch Mut.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 05/2022 ab Seite 112.
Wolfram Glatzel, freier Journalist