Politik
GROSSE FIRMA, KLEINER CO2-FUSSABDRUCK
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Ob Dr. Torsten Eckardt privat gern grüne oder schwarze Oliven isst, bleibt sein Geheimnis. Beruflich hegt er jedenfalls eine gewisse Leidenschaft für weiße Oliven. So nennt er die Stopfenbestandteile, die die Röhrchen für Brausetabletten vor Feuchtigkeit geschützt verschließen helfen. Eckardt ist Senior Manager bei Hermes Pharma, einer Firma, spezialisiert auf die Herstellung fester oraler Darreichungsformen. Dort tüftelt man unter anderem daran, dass Kunden bei der Arzneimittelverpackung so viel Material, Wasser, Energie und Abfall einsparen können wie möglich. Damit wird auch ein Beitrag zur Vermeidung des Treibhausgases CO2 und anderer Emissionen geleistet. Denn im Idealfall wird so produziert, dass beim Konsum eines Produkts oder einer Dienstleistung keine zusätzlichen Treibhausgase entstehen, also klimaneutral.
Die Masse machts Olivenstopfen sind klein, aber millionenfach im Einsatz. Bei ihnen Material einzusparen, ist klimafreundliche Packmitteloptimierung. Heute benötigt die Hermes-Olive nur noch 80 Prozent des Materials von früher. Einsparung im Lauf der Jahre: 3,8 Tonnen. Das berichtet Eckardt in einem Videoclip für den Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH). „Nachhaltiges Wirtschaften, das einen Beitrag zum Stopp des Klimawandels leistet, ist mehr denn je ein wichtiger Bestandteil der Unternehmensstrategie“, heißt es auf dessen Homepage.
„Viele Arzneimittel-Hersteller und ihre Partner engagieren sich seit langem für mehr Nachhaltigkeit.“ Wie vielfältig das Thema ist, erläutern neben Eckardt weitere Unternehmensvertreter in Kurzvideos. So informiert Cassandra Heimgartner, Nachhaltigkeitsbeauftragte der Firma Salus, weshalb das firmenzugehörige Auwald Biotop mehr ist als idyllisches Grün: Auwälder sind natürliche Wasserrückhaltebecken. Und abseits der Besucherwege wachsen Pflanzen in einer Vielfalt, die für Arzneimittelfirmen wichtig ist: „Jede Pflanze, die verlorengeht, ist für uns ein potenzieller Rohstoff, der verlorengeht.“ Salus setzt in Sachen Klimaneutralität zudem auf regenerative Energieversorgung und Steigerung der Energieeffizienz durch eigene Wasserkraftwerke und Fotovoltaikanlagen.
Viele Masken, weniger Verpackung Die Firma Schaebens gehört zu den Marktführern im Bereich Gesichtsmasken. So beliebt Hyaluron-, Totes Meer- oder Peel-Off-Masken auch sind, sie verbrauchen viel Material und Verpackung. Schaebens ist es in den letzten beiden Jahren gelungen, die Bestandteile ihrer Verpackungen so zu reduzieren, dass die CO2-Belastung um 60 Prozent gesunken ist. Darüber und über weitere Anstrengungen in Richtung Klimaneutralität berichtet Björn Hünemeyer, Leiter der Marketingkommunikation.
Auf der Firmenhomepage findet man auch Infos zu den Zielen, kunststoff- und mikroplastikneutral zu werden. Dort heißt es: „Wenn wir nichts ändern, ändert sich nichts.“ Das finden mittlerweile viele Firmen. „Unser Ziel ist: Weg vom Plastik. Und dafür haben wir jetzt einen Fahrplan“, heißt es beim Unternehmen Kneipp. Es hat schon 2007 die 100-ml-Inhalt-Glasflaschen um je neun Gramm Verpackungsgewicht reduziert: „Bei damals 6 Millionen Flaschen jährlich resultierte daraus eine CO2-Einsparung von rund 35 Tonnen.“
Das französische Unternehmen Caudalie ist bekannt dafür, Weinrebenwirkstoffe in seiner Kosmetik zu verwenden. Als Mitglied von „1% for the planet“ verwendet es nach eigenen Angaben jedes Jahr ein Prozent des Umsatzes, um Bäume auf der ganzen Welt zu pflanzen. Sie binden das schädliche CO2.
CO2-Bindung ist nicht babyleicht HiPP will noch mehr: Klimapositiv werden bis 2025. Unvermeidbare Emissionen will der Babykosthersteller nicht nur durch Klimaschutzprojekte weltweit eins zu eins ausgleichen. Sondern sogar noch etwas mehr tun fürs Klima, zum Beispiel durch Humusaufbau. So lässt sich CO2 in landwirtschaftlichen Böden binden. Bei mehr als 108 Millionen Babykostgläschen für Deutschland, Österreich und die Schweiz pro Jahr werden bei diesem Ansatz nach Unternehmensangaben knapp 38 000 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre gehalten.
Das Engagement ist gut Hinterfragen darf man es trotzdem. Und das eigene Verhalten gleich mit. Um Klimaneutralität zu erreichen, gilt: Erst Emissionen vermeiden – dann reduzieren – notfalls kompensieren. Dass Unternehmen große Anstrengungen bei Reduktion und Kompensation unternehmen, ist auch eine Folge von verbreitetem Konsumverhalten. Wer lebenswichtige Medikamente einnehmen muss, kann darauf und auf eine schützende Verpackung nicht verzichten. Aber gekaufte Obstgläschen fürs Baby oder Einmal-Masken fürs Gesicht sind kein Muss. Denn CO2-Reduktion und Kompensation haben Schattenseiten. In einer Recherche für die „Brigitte“ hieß es unlängst: „Bäumepflanzen ist nicht so einfach, wie es auf den Websites vieler Organisationen und Unternehmen erscheint.“
Denn wer Bäume pflanzt, pflanzt noch keinen Wald. Der ist ein komplexes System, das Jahrhunderte zum Entstehen benötigt. Teilweise werden für die CO2-Bindung durch Aufforstung schnell wachsende Monokulturen ausgewählt. Oder das Aufforstungsland fehlt Menschen für den Ackerbau. Es bleibt leider dabei: Für echte Klimaneutralität braucht es auch Verzicht. Aber auch weitere Ideen. Vielleicht werden wegen des Klimawandels irgendwann Oliven in Deutschland geerntet. Gute weiße sind ja schon da.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2022 ab Seite 56.
Sabine Rieser, freie Journalistin