Schon mal da gewesen?
GEHÄKELTE RIFFE
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Riesige Korallenriffe aus buntem Garn, Lametta, Streifen von Plastiktüten und Videobändern – ein kooperatives Installationswerk, an dem sich bislang weit mehr als 20 000 Menschen beteiligt haben, füllt zurzeit alle Räume des Museums Frieder Burda in Baden-Baden.
Ein mathematisches Projekt Begonnen hatte alles als mathematisches Experiment. Die Wissenschaftsjournalistin Margaret Wertheim und ihre Zwillingsschwester Christine hatten 2003 in Los Angeles das Institute For Figuring gegründet, um das öffentliche Verständnis für die poetischen und ästhetischen Dimensionen von Wissenschaft und Mathematik zu fördern. Eine Idee befasste sich mit der hyperbolischen Geometrie, eine Alternative zur zweidimensionalen euklidischen Geometrie.
Die beiden kamen mit der Mathematikerin und Häklerin Daina Taimina in Kontakt, die herausgefunden hat, wie man Häkelmodelle mit einer bestimmten mathematischen Oberfläche anfertigt. Die Geschwister begannen, diese Modelle zu häkeln und etwa nach einem Jahr hatten sie einen ganzen Stapel davon angefertigt. Und Christine sagte: „Oh, das sieht aus wie ein Korallenriff, wir könnten ein Korallenriff daraus häkeln.“ Und Margaret antwortete: „Wir könnten nicht, wir machen!“, so können die Besucher des Museums auf dem Audioguide die Entstehungsgeschichte des ausgestellten Häkelkorallenriffs nachverfolgen.
Ein Umweltschutzprojekt Kurze Zeit später lud die Andy-Warhol-Stiftung die beiden Künstlerinnen ein, ihr Werk als Teil einer Ausstellung über Erderwärmung zu präsentieren. Aber zum damaligen Zeitpunkt hatten die Schwestern noch kein Riff entsprechenden Ausmaßes fertiggestellt, deshalb starteten sie einen Aufruf und baten um Unterstützung bei der Handarbeit. Daraufhin sandten ihnen viele Menschen Korallen zu. Inzwischen haben sich Zigtausende rund um den Globus an dem Gesamtkunstwerk beteiligt.
Es zeigt nicht nur die Schönheit der Riffe, sondern weist auch auf die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll hin, der wie ein Gift die Meeresbewohner durchkriecht, und macht durch weiße Häkelarbeiten, die die Korallenbleiche symbolisieren, auf die Zerstörung der Korallenriffe aufmerksam.
Ein feministisches Projekt Doch die beiden Frauen sehen sich nicht als Klimaaktivistinnen, sondern vielmehr als Feministinnen. 99,99 Prozent der Mitarbeitenden an den Riffen sind Frauen und den Wertheims ist es wichtig, die Arbeit von Frauen zu würdigen, die von den meisten Menschen unserer Gesellschaft und insbesondere in der Kunstwelt nicht als kreativ angesehen wird.
Ein kollektives Projekt Von einem zutiefst demokratischen Kunstwerk, das sich durch die Vielzahl der Mitarbeitenden entwickelt habe, spricht der künstlerische Leiter und Kurator des Museums, Udo Kittelmann: „Normalerweise ist die Schaffung eines Kunstwerks eine sehr individuelle.“ In diesem Falle aber hätten die Geschwister die Idee dazu gehabt und im Laufe der vielen Jahre zu Kollektiven aufgerufen.
Eigens für diese Ausstellung wurde das neue „Baden-Baden Satellite Reef“ geschaffen, das das Obergeschoss des Museums in eine kaleidoskopische Unterwasserwelt verwandelt. Mehr als 40 000 Korallenbeiträge wurden von rund 4000 Mitwirkenden beigesteuert, die dem Aufruf der beiden Schwestern folgten. Dieses Satelittenriff stellt ein so vielfältiges, abwechslungsreiches, komplexes und üppiges Ökosystem dar, dass es die Künstlerinnen als „die Sixtinische Kapelle aller gehäkelten Korallenriffe“ bezeichnen.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 05/2022 auf Seite 125.
Dr. Susanne Poth, Apothekerin/Redaktion
Wert und Wandel der Korallen
Bis zum 26. Juni 2022, Museum Frieder Burda, Baden-Baden Info: www.museum-frieder-burda.de
Zur Häkelanleitung geht's hier.