Alternsforschung
STRESS KOSTET (GRAUMULLE) DAS HALBE LEBEN
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Ein Graumull ist etwa so groß wie ein Goldhamster und ein echtes Unikum. Mit seinen langen, gebogenen Zähnen gräbt er tagein, tagaus nach Knollen und Insekten, legt dabei verzweigte Höhlensysteme mit langen Gängen an. Sein Verwandter unter den Sandgräbern (so ihr Gattungsname), der Nacktmull, wurde berühmt, weil er gar keinen Krebs bekommt, und auch der Graue erkrankt daran nur sehr selten.
Zwanzig Jahre alt wird so ein Mull – jedoch beileibe nicht jeder. Die Tiere leben in einem Kastensystem und nur das royale Herrscherpaar bekommt Kinder und wird dabei sehr alt, jedenfalls für so ein kleines Nagetier. Die anderen, die Arbeiter, sorgen unermüdlich für das Wohlbefinden der Sippe, ähnlich wie in einem Ameisen- oder Bienenstaat. Während das Herrscherpaar also zwei Jahrzehnte lang kleine Mulle in die Welt setzt, stirbt der gemeine Arbeiter bereits nach der Hälfte der Zeit – er wird nur zehn Jahre alt.
Sorgt Sex für ein langes Leben?
Warum bloß? Diese Frage stellten sich Forscher des Leibniz-Instituts für Alternsforschung (FLI) in Jena und der Universität Duisburg-Essen. Welche statusspezifischen Veränderungen liegen diesem lebensverlängernden Phänomen zugrunde – nämlich, dass sexuell aktive Tiere doppelt so alt werden? Für die Versuchsanordnung machte man sich zunutze, dass der Status als Arbeiter nicht unumkehrbar ist – wenn ein solcher Graumull die Kolonie verlässt, kann er eine eigene gründen, denn er ist nicht unfruchtbar. Die Fortpflanzung ist nur innerhalb der Heimatkolonie unterdrückt, um Inzest zu vermeiden – denn innerhalb der Heimatkoloniedenn sind ja alle Mulle Brüder und Schwestern.
Wird also ein weiblicher Graumull mit einem männlichen einer anderen Kolonie zusammengebracht, gründen sie sogleich eine Großfamilie. Als Erklärung für die abweichenden Alternsgeschwindigkeiten kann also eine unterschiedliche genetische Ausstattung ausgeschlossen werden. Jeder Mull ist sehr wohl in der Lage, sexuell aktiv zu werden, er braucht nur die richtige Umgebung und die richtige Konstellation dazu. „Wir vermuten daher, dass bei den Angehörigen der royalen Kaste das gleiche Genom offenbar anders interpretiert wird. Dass mit dem Kastenaufstieg quasi ein Schalter umgelegt wird, der die Gene einfach anders reguliert“, sagt Dr. Arne Sahm.
Gibt es einen Genschalter fürs Altern?
Zur Überprüfung dieser These untersuchte das Forscherteam über 600 Proben aus verschiedenen Organen und Geweben der Graumulle auf statusspezifische Veränderungen der Genexpression. Bei den meisten Zellstrukturen fanden die dabei nichts – nur in den Geweben, die für die Hormonproduktion zuständig sind, beispielsweise in Schilddrüse und Nebenniere.
Ein maßgeblicher Unterschied betraf dabei den Anabolismus, also den Aufbau körpereigener Stoffe wie zum Beispiel Proteinen. Dieser war in der royalen Kaste deutlich stärker ausgeprägt. Betrüblicherweise ist unklar, wie sich die an kurzlebigen Arten gewonnenen Erkenntnisse auch auf langlebige Arten wie den Menschen übertragen lassen. Eins zu eins lässt sich das wohl nicht anwenden, meint Professor Steve Hoffmann.
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Steroid- statt Sexualhormonen
Eine weitere wichtige Veränderung betraf die Synthese von Steroidhormonen. Während in der royalen Kaste vor allem diejenigen Gene hochreguliert waren, die für die Produktion von Sexualhormonen zuständig sind, wurden bei den Arbeitern vor allem Gene ausgelesen, die für die Produktion von Steroidhormonen (Glucocorticoide) verantwortlich sind. Diese Stresshormone beeinflussen den Stoffwechsel, den Wasser- und Elektrolythaushalt, das Herz- Kreislaufsystem und das Nervensystem. Sie wirken auch entzündungshemmend und immunsuppressiv, indem sie Immunreaktionen des Körpers abmildern.
„Dies ist ein Beleg dafür, dass die Graumulle der Arbeiterkaste unter Dauerstress stehen und dadurch früher altern“, unterstreicht Dr. Sahm. Verschiedene Merkmale belegen dies: Wie beim Menschen führt ein langanhaltender Überschuss an Glucocorticoiden zum Cushing-Syndrom, was die Anfälligkeit für Erkrankungen erhöht und zu einer Zunahme an Körperfett und Gewicht führt. Im Versuch legten die Angehörigen der Graumullen-Arbeiterkaste im Durchschnitt doppelt so viel Gewicht zu wie die der royalen Kaste.
Und wie ist das beim Menschen?
Das Mullen-Modell wollen die Forscher nun zur Untersuchung des stressbedingten vorzeitigen Alterns beim Menschen zu untersuchen. Denn bereits jetzt gibt es Hinweise darauf, dass auch beim Menschen traumatischer, chronischer oder durch niedrigen sozialen Status bedingter Stress ihn schneller altern lässt.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft