Darm und Darmhirn
PTA-Fortbildung

Signale aus dem Bauch

In China gilt der Darm schon seit jeher als Sitz der Seele. Bei uns wird die Rolle des Bauchhirns erst seit kurzer Zeit intensiv beforscht und wir sind noch dabei zu lernen, die Signale zu verstehen.

20 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. Mai 2021

Der Darm ist weit mehr als ein schlichter Muskelschlauch, der lediglich der Nahrungsverwertung dient. Der Darm ist ein komplexes Organ, das neben der Verdauung noch weitere lebenswichtige Aufgaben übernimmt. Mehr als drei Viertel aller Abwehrzellen sind im Darm lokalisiert, womit er das größte Immunorgan darstellt. Zudem beherbergt er Billionen von Mikroorganismen, deren Stoffwechselprodukte auf vielfältige Weise unsere Gesundheit beeinflussen. Und schließlich ist unser Darm mit 100 bis 200 Millionen Nervenzellen bestückt, also mit mehr Neuronen als im Nervensystem unseres Rückenmarks zu finden sind.

Die Nervenzellen im Darm bilden ein eigenständiges Nervensystem, das auch als enterisches Nervensystem (ENS) oder im Volksmund als Bauchhirn oder zweites Gehirn bezeichnet wird. Es leitet Signale innerhalb des Darms weiter und tauscht ständig Informationen mit dem zentralen Nervensystem (ZNS) aus. Man geht davon aus, dass es dadurch nicht nur Einfluss auf unsere Emotionen und Handlungen nehmen, sondern auch an der Entwicklung verschiedener Erkrankungen beteiligt sein könnte. Bauchhirn Zusammen mit Sympathikus und Parasympathikus bildet das ENS das vegetative Nervensystem, das zum peripheren Nervensystem gezählt wird.

Das ENS ist eingebettet zwischen den Muskelschichten des Darms und seiner Schleimhaut und durchzieht als komplexes Netzwerk nahezu den gesamten Verdauungstrakt von der Speiseröhre bis zum After. Es besteht aus zwei großen miteinander verflochtenen Nervengeflechten: dem Plexus myentericus (Auerbach‘scher Plexus) und dem Plexus submucosus (Meissner‘scher Plexus), die für Koordination und Kontrolle der motorischen und sekretorischen Funktionen des Verdauungstrakts verantwortlich sind. Das ENS fungiert quasi als Kommandozentrale, die sich um die Verdauung kümmert und damit steuert, was aus der Nahrung verwertet und ausgeschieden werden soll.

Zentrale Aufgabe ist dabei die Regulation der Darmmotilität, also die Steuerung der Muskeln im Darm, die durch rhythmische, wellenförmige Bewegungen den Nahrungsbrei vorwärts in Richtung Enddarm schieben. Währenddessen erfolgt die Zerlegung der Nahrung in ihre Einzelteile, um die Nährstoffe zu gewinnen. Zudem sind die Nerven beim Verdauungsprozess für die Sekretions- und Resorptionsvorgänge einschließlich der Durchblutung im Verdauungstrakt verantwortlich. Damit sorgt das ENS für die Nährstoffaufnahme durch die Darmzellen der Darmwand.

LERNZIELE

Lernen Sie in dieser von der Bundesapothekerkammer akkreditierten Fortbildung,

+ das enterische Nervensystem (ENS) kennen,
+ was unter der Darm-Hirn-Achse zu verstehen ist,
+ was es mit dem Bauchgefühl auf sich hat,
+ welche Aufgaben das Mikrobiom im Darm hat,
+ wie wichtig ein austariertes Gleichgewicht des Mikrobioms im Darm ist,
+ die Unterschiede zwischen Prä-, Pro- und Synbiotika kennen.

Autonomes System Wesentliches Merkmal des ENS ist, dass es seine Funktionen unter normalen Bedingungen eigenständig und vor allem unabhängig vom ZNS koordiniert. Sympathikus und Parasympathikus wirken lediglich modulierend auf die Aktivität des ENS. Während der Sympathikus einen hemmenden Einfluss auf die Darmmotilität hat und somit die Verdauungsfunktion drosselt, um die Energie für notwendigere Aufgaben im Körper zu nutzen, bringt der Parasympathikus über seinen fördernden Einfluss die Verdauung wieder in Gang, indem er die Darmbewegungen anregt und die Zellen der Darmwand für die Aufnahme von Nährstoffen stimuliert. Willentlich lassen sich diese Vorgänge nicht beeinflussen.

Wechselseitiger Austausch Auch wenn das ENS autonom agiert, gibt es zwischen ihm und dem ZNS eine enge Verbindung, die als Darm-Hirn-Achse bezeichnet wird. Der Kontakt zum Gehirn erfolgt über neuronale Verbindungen, mit deren Hilfe in Bruchteilen von Sekunden Signale an die Hirnregion gelangen. Dabei nimmt vor allem der Vagusnerv einen zentralen Part ein, der als zehnter Hirnnerv in zwei Strängen aus dem Gehirn austritt. Er verbindet über vielfältige Verästelungen das ZNS mit dem ENS und ermöglicht einen ununterbrochenen Informationsaustausch in beide Richtungen. Daran beteiligt ist eine Vielzahl an Botenstoffen, also Neurotransmittern wie GABA (Gamma-Aminobuttersäure), Dopamin oder Serotonin, die als Signalüberträger fungieren und damit für die Reizweiterleitung notwendig sind.

Sie kommen sowohl im ZNS als auch im ENS vor, werden teilweise in beiden Nervenregionen gebildet und über die gleichen Rezeptoren gebunden. Zudem spielen weitere Darmhormone und Botenstoffe des Immunsystems beim regen Informationsaustausch zwischen beiden Nervensystemen eine wichtige Rolle. Bauchhirn und Kopfhirn sind dadurch in der Lage, sich gegenseitig zu beeinflussen. 90 zu 10 Wie man inzwischen weiß, beeinflusst unsere oberste Schaltzentrale die Darmfunktion in weit geringerem Maß als umgekehrt, da deutlich mehr Signale vom Bauchhirn zum Kopfhirn gelangen. Etwa 90 Prozent der Informationen strömen vom Darm zum ZNS, wodurch er ihm sein Befinden signalisiert.

Ist im Darm alles in Ordnung, dringt die Botschaft aus dem Bauch meist nicht ins Bewusstsein vor. In der Regel nehmen wir die Kommunikation zwischen beiden Nervensystemen erst bei Alarmsignalen wahr, da die Reaktion darauf meist mit unangenehmen Folgen verbunden ist. Gelangt beispielsweise ein verdorbenes Nahrungsmittel in den Verdauungstrakt, bleibt die körperliche Reaktion darauf nicht unbemerkt. Der Darm registriert den Missstand und meldet ihn ans Gehirn. Dieses setzt daraufhin Regelkreise in Gang, die Durchfall und Erbrechen auslösen, mit denen sich der Organismus den Fremdstoffen entledigt.

Da die Informationen aus dem Darm auch in Hirnregionen verarbeitet werden, die Gefühle beeinflussen, kann auch die Psyche reagieren. Verdauungsbeschwerden gehen bei den Betroffenen häufig mit schlechter Laune einher. Selbst Hunger drückt bei einigen bereits auf die Stimmung. Aber es läuft auch positiv, so verspüren manche nach einem guten Essen ausgesprochenes Wohlbehagen. Die Kommunikation funktioniert ebenso in umgekehrter Richtung, wenn auch deutlich seltener. Nur zehn Prozent des Austausches erfolgt vom Gehirn zum Darm, das die Informationen im Bauchhirn weiterverarbeitet. Etwa bei Angst, Stress oder seelischer Belastung aktiviert das ZNS den Sympathikus. Dessen Überträgerstoff, das Noradrenalin, lähmt den Verdauungstrakt, indem es die aktivierenden Mechanismen im Bauchhirn unterdrückt.

Somit werden Magen-Darmmotilität und -sekretion heruntergefahren, was mit Appetitlosigkeit und einer verzögerten Darmentleerung einhergeht. Möglich ist aber auch ein gegenteiliger Effekt, der zu Durchfall führt. Bei intensivem Stress wird im Gehirn das Stresshormon Corticotropin (CRF) ausgeschüttet, das über den Blutweg das Bauchhirn erreicht und die hemmende Wirkung des Sympathikus überspielt. Phänomen Bauchgefühl Es ist mittlerweile auch bekannt, dass das Gehirn die Empfindungen und Zustandsmeldungen aus dem Darm abspeichert und darauf in späteren ähnlichen Situationen wieder zurückgreift.

Dabei vermuten Wissenschaftler, dass sich das Gehirn sogar durch die erinnerten Informationen in gewisser Weise in seinen Entscheidungen beeinflussen lässt. Diese Lernfähigkeit könnte somit womöglich eine Erklärung für intuitive Entscheidungen sein, die volkstümlich als Bauchgefühl bezeichnet werden. Damit würde das Phänomen wiederum auf eine rationale Basis gestellt werden. Allerdings ist dieser komplexe Zusammenhang bislang noch nicht eindeutig verstanden und bedarf weiterer Forschungsaktivität. Dabei geht man auch der Frage nach, ob die Nahrung Einfluss auf die Stimmung oder das Urteilsvermögen nehmen kann.

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