Schwerhörigkeit
WENN ES IMMER LEISER WIRD …
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Um zu überleben, mussten unsere Jäger- und Sammler-Vorfahren Tag und Nacht in der Lage sein, herannahende Gefahren schnell zu bemerken, wobei das Gehör eine wesentliche Rolle spielte. Heute hingegen muss es nicht mehr ständig als Gefahrenmelder fungieren. Diese Aufgabe erfüllt es höchstens noch im Straßenverkehr, wozu aber ein Bruchteil seines eigentlichen Leistungsvermögens genügt. Umso wichtiger ist heute seine Rolle in der sprachlichen Kommunikation. Doch wir schädigen unsere Ohren permanent, vor allem durch Lärm. Denn die Ohren sind 24 Stunden am Tag auf Empfang und nehmen alle wichtigen und unwichtigen Geräusche ungefiltert auf.
Wie aus Schallwellen Töne werden Das Ohr besteht aus dem Außenohr , dem Mittelohr (Paukenhöhle mit Gehörknöchelchen und der Eustachischen Röhre) sowie dem Innenohr (Gehörschnecke mit Haarzellen, Hörnerv). Unsere Ohrmuschel nimmt Schallwellen aus der Umgebung wie ein Trichter auf, die dann über das Trommelfell und die Gehörknöchelchen in die Gehörschnecke (Cochlea) weitergeleitet werden.
Je nach Frequenz der Schwingung werden hierdurch in der Cochlea unterschiedliche Haarzellen in Bewegung versetzt, was Nervenimpulse auslöst. Diese gelangen über den Hörnerv ins Gehirn, das sie uns als Töne oder Geräusche wahrnehmen lässt. Gleichzeitig versetzen die Schallwellen auch den Schädelknochen in Schwingung („Knochenschall“), was wir, wenn auch schwächer, ebenfalls im Innenohr registrieren.
OHRINFARKT
Eine weitere Ursache für eine Innenohrschwerhörigkeit ist der Hörsturz. Auch er zeichnet sich durch einen plötzlichen Hörverlust, meist mit Tinnitus aus. Anders als das Knalltrauma geht er aber nie mit Schmerzen einher und hat auch keine eindeutig zu benennende Ursache. Ein Hörsturz hat eine relativ hohe Spontanheilungsquote, allerdings können auch hier Schwerhörigkeit und Tinnitus zurückbleiben.
Unser Ohr kann Schallwellen in einem Frequenzbereich von 20 bis 20 000 Hertz empfangen, wobei der „normale“ Hörbereich zwischen 3500 und 4000 Hertz liegt. Jeder fünfte Deutsche über 14 Jahren hat jedoch bereits keine normale Hörschwelle mehr; hochgradig schwerhörig sind davon etwa sieben Prozent.
Mal leichter, mal schwerer Von Schwerhörigkeit spricht man, wenn das Hörvermögen entweder in bestimmten Frequenzbereichen abnimmt oder wenn man alle Geräusche gleichmäßig leiser hört. Je nachdem, in welchem Teil des Ohres die Ursache liegt, unterscheidet man dabei die Mittelohr- oder Schallleitungsschwerhörigkeit von der Innenohr- oder Schallempfindungsschwerhörigkeit.
Beim Verdacht auf Schwerhörigkeit wird ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt zuerst die Gehörgänge auf eine Verstopfung durch Fremdkörper oder Ohrenschmalzpfropfen untersuchen. Entfernt man sie, ist die Schwerhörigkeit schnell behoben. Ein Blick in den Gehörgang kann aber auch Fehlbildungen oder Verletzungen am Trommelfell zeigen. Sieht dies alles normal aus, werden Stimmgabel-Tests durchgeführt. Dabei wird das Instrument an verschiedenen Punkten des Schädelknochens und danach an der Ohrmuschel angesetzt, um zu überprüfen, ob der Ton über die Knochen- oder die Luftleitung besser zu hören ist, und ob die Hörminderung eine oder beide Seiten betrifft.
Hört der Betroffene eine auf dem Scheitel angesetzte Stimmgabel nicht mittig, ist die Schwerhörigkeit einseitig. Bei einer Mittelohrschwerhörigkeit wird der Ton über die eigentlich lautere Luftleitung schlechter gehört, da er nicht von außen ans Innenohr weitergeleitet werden kann. Hingegen wird er über die Knochenleitung gut gehört, da diese direkt ins Innenohr geht.
»Jeder fünfte Deutsche über 14 Jahren hat jedoch bereits keine normale Hörschwelle mehr.«
Ein anschließendes Tonaudiogramm, bei dem man ebenfalls die Luft- und Knochenleitung misst, gibt Aufschluss über den Grad der Schwerhörigkeit sowie über die betroffenen Frequenzen. Dabei werden dem Patienten über Kopfhörer unterschiedlich hohe Töne mit ansteigender Lautstärke eingespielt, sodass man die Hörschwelle ermitteln kann.
Ohne Haare kein Hören Eine Mittelohrschwerhörigkeit lässt sich meist gut therapieren, da sie vielfach durch Blockaden, Entzündungen, Verletzungen des Trommelfells oder einen Paukenerguss (Flüssigkeitsansammlung am Trommelfell) hervorgerufen wird. Anders sieht es bei der Innenohrschwerhörigkeit aus. Hier lässt sich meist nur bei entzündungsbedingten Ursachen durch Antibiotika eine Besserung erzielen. Manche Antibiotika bewirken jedoch genau das Gegenteil, da sie die Haarzellen schädigen. Diese Schallrezeptoren sind sehr empfindlich und werden, wenn sie einmal zerstört sind, nicht mehr neu gebildet.
Besonders gefährdet sind die Haarzellen durch Dauerlärm und Infektionskrankheiten, aber auch Nikotin, Alkohol oder hormonelle Störungen setzen ihnen zu. Mit dem Alter nehmen ihre Zahl und Leistung ab, was zur Altersschwerhörigkeit führt.
Plötzlicher Hörverlust Eine Innenohrschwerhörigkeit kann auch durch ein Knalltrauma ausgelöst werden. Dabei wirkt ein plötzlicher, sehr hoher Schalldruck nicht länger als drei Millisekunden auf das Innenohr ein, etwa durch einen Schuss, einen Knallkörper oder einen starken Schlag. Trommelfell und das Mittelohr bleiben dabei unbeeinträchtigt. Ein Knalltrauma geht meist mit einem kurzen, stechenden Schmerz, einem Tinnitus und Hörverlust einher.
Wirkt der Schalldruck länger als drei Millisekunden auf das Ohr ein, werden meist auch das Trommelfell und die Gehörknochen geschädigt. Man spricht dann von einem Explosionstrauma. Diese Traumata können mit sofortiger Kortisongabe und einer hyperbaren Sauerstofftherapie gebessert, aber nicht vollständig therapiert werden. Meist bleiben Schwerhörigkeit und Tinnitus zurück.
Ist ein Hörverlust im Mittel- oder Innenohr nicht mehr rückgängig zu machen, kann man einem Fortschreiten nur noch mit Hörgeräten begegnen. Ein Schritt, vor dem viele zurückschrecken, der jedoch so früh wie möglich gemacht werden muss. Denn: Wenn die Welt immer leiser wird, verliert das Gehirn unwiederruflich die Fähigkeit, Töne zu unterscheiden oder zuzuordnen – wie bei einem Muskel, der nicht mehr trainiert wird und dadurch verkümmert. Irgendwann ist die Welt dann nicht mehr nur leiser, sondern stumm.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/15 ab Seite 52.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist