Frischer Grünkohl in einem geflochtenen Korb© alice dias didszoleit / iStock / Getty Images Plus
Grünkohl stellt als echtes Superfood selbst andere Kohlsorten in den Schatten. Sie erkennen ihn an seinen krausen Blatträndern.

Saisonales Gemüse

GRÜNKOHL – ZU UNRECHT VERPÖNT

Obwohl er als Klassiker der deutschen Küche gilt, hat sein Image einiges einstecken müssen und der Grünkohl wurde zum Ladenhüter degradiert. In letzter Zeit erlebt er allerdings eine kleine Renaissance. Wir finden: völlig zu Recht!

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Golden Chlorella, Ashwagandha, Wunderpilze – der Trend der Superfoods nimmt nicht ab, auch 2021 gehörten die teils exotischen Lebensmittel für viele zu einer gesunden Ernährung. Der Grund: Die Zusammensetzung aus Mineralstoffen, Vitaminen, Ballaststoffen und Spurenelementen gilt als ernährungsphysiologisch wertvoll. Sekundäre Inhaltsstoffe wie Antioxidanzien oder Flavonoide – häufig als bioaktive Substanzen bezeichnet – sollen zudem spezifische gesundheitsfördernde Auswirkungen haben, beispielsweise das Immunsystem stärken, den Blutzuckerspiegel regulieren oder kardiovaskulären Erkrankungen vorbeugen.

Doch Superfoods müssen nicht exotisch sein, der Blick auf die heimischen Gewächse lohnt sich. Mit der zunehmenden Nachfrage nach regionalen und saisonalen Lebensmitteln kommen immer mehr Obst- und Gemüsesorten aus ihren staubigen Ecken hervorgekrochen: Hagebutten, Leinsamen, Braunhirse, Buchweizen oder schwarze Johannisbeeren. Und natürlich Grünkohl. In der Laienpresse wird er als wahre Wunderwaffe angepriesen: regional erhältlich, sogar im tiefsten Winter frisch geerntet und voller wertvoller Inhaltsstoffe.

Typisches Wintergemüse

Der Grünkohl, Brassica oleracea var. sabellica L., gehört zur Familie der Kreuzblütengewächse (Brassicaceae). Die zweijährige Pflanze bildet im ersten Kulturjahr einen hohen Spross beziehungsweise Strunk, an dem sich viele übereinanderliegende, längliche, fast palmenblattartige Blätter mit gekraustem Blattrand bilden. Nach einem drei- bis fünfwöchigen Kältereiz bildet die Pflanze im zweiten Jahr einen Blütenstand. Die lockere Traube weist die für die Familie typischen Kreuzblüten aus vier gelben Kelch- und Kronblättern auf. Nach Bestäubung bilden sich aus den Blüten sechs bis neun Zentimeter lange Schoten mit dunklen, kugeligen Samen. Beeindruckend ist die Frostunempfindlichkeit des Kohls: Er hält Temperaturen unter zehn Grad Celsius problemlos aus, mit schützender Schneeschicht sogar noch tiefere Spitzen.  

Der Kohl muss für einen süßen Geschmack keinen Frost erleben. Eine späte Ernte und kühle Temperaturen genügen, um die Umwandlung von Zucker in Stärke in der Pflanze zu verlangsamen – besonders die Tätigkeit der Phosphofructokinase wird so gehemmt.  

Das typische Wintergemüse trägt, nicht zuletzt wegen seiner auffälligen äußeren Erscheinung, zahlreiche teils regional verwendete Bezeichnungen: Hochkohl, Winterkohl, Strunkkohl, Krauskohl, Lippische oder Friesische Palme. Er zählt vermutlich zu den ältesten bekannten Kohlsorten und wurde bereits im griechischen und römischen Altertum kultiviert – vermutlich stammt er aus dem östlichen Mittelmeerraum. Der Anbau hierzulande rückte etwas in den Hintergrund, lediglich in Norddeutschland, vor allem in Bremen und Oldenburg, finden noch jährliche Grünkohlfeste statt.  

Vitaminbombe und Heilkraut

Grünkohl kann auf eine lange Geschichte als vermeintliche Heilpflanze zurückschauen. So glaubten die Römer die Pflanze helfe gegen Schlangenbisse, während die Griechen ihren Kater nach einem ausgelassenen Trinkgelage mit dem Kohl bekämpften. Der Arzt Hippokrates verschrieb eine Brühe aus den Blättern gegen Magenbeschwerden, Durchfall und Husten. In Ostfriesland ging man gar so weit, dass gestohlener Grünkohl lahmen Schweinen wieder zum Laufen verhelfe.

Ob alles der Wahrheit entspricht, sei dahingestellt. Trotzdem überrascht ein Blick auf die Inhaltsstoffe: Der Kohl versteckt in seinen Blättern eine regelrechte Vitamin-C-Goldgrube. So enthält er mit 105 Milligramm pro 100 Gramm Blattgemüse mehr als doppelt so viel Vitamin C wie eine Zitrone oder Orange. Was den Proteingehalt angeht, stellt er auch Vollmilch in den Schatten. Mit rund vier Gramm pro 100 Gramm kann der Grünkohl aufwarten, wohingegen Vollmilch ein Gramm pro 100 Gramm weniger enthält. Daneben sind die Pflanzenteile reich an Mineralstoffen, Vitaminen und Ballaststoffen. Letzteres enthält der Winterkohl fast so viel wie eine vergleichbare Menge Haferflocken bei gleichzeitig vorteilhafter Zusammensetzung aus löslichen und unlöslichen Ballaststoffen.

Nun gilt Kohl generell als sehr gesund. Doch im Vergleich mit anderen Arten sitzt der Grünkohl an der ernährungsphysiologischen Spitze und punktet mit dem höchsten Gehalt an Provitamin A, Vitamin B2, Vitamin E, Vitamin K, Calcium, Folsäure, Phosphor, Eisen und Nicotinamid. Wie fast alle Gemüsesorten zählt Grünkohl mit nur einem Gramm pro 100 Gramm zu den fettarmen Lebensmitteln. Dieses eine Gramm allerdings enthält 130 Milligramm Alpha-Linolensäure (ALA), eine Omega-3-Fettsäure, die in Pflanzen vorkommt und durch ihre antientzündlichen Eigenschaften positive Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System haben soll sowie einen schützenden Effekt auf das zentrale Nervensystem.

Vitamin K: Grünkohl und Wechselwirkungen
Eine immer wiederkehrende Frage, die viele Kund*innen beschäftigt: Darf ich Kohl essen, wenn ich orale Antikoagulantien einnehme? Grünkohl weist, wie auch Rosenkohl oder Broccoli, einen hohen Vitamin-K-Gehalt auf. Bei der Einnahme von Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon kann es daher zu Wechselwirkungen kommen. Dies gilt allerdings nur als klinisch relevant, wenn wirklich reichlich von dem grünen Blattgemüse verzehrt wird. Bei einer ausgewogenen Ernährung sind keine nennenswerten INR (International Normalized Ratio)-Wert-Schwankungen zu erwarten.
Zudem wird Vitamin K durch Lichteinwirkung und Kochen zersetzt, die Aufnahme ist vom Fettverzehr abhängig. Dadurch wird nur ein Teil des im Kohl befindlichen Vitamins aufgenommen und in der Leber gespeichert – lediglich 22 Prozent finden sich im Blut oder anderen Organen. Bei der Einstellung mit einem Vitamin-K-Antagonisten überwiegt eine gleichbleibende Ernährung gegenüber einem Verzicht auf bestimmte Lebensmittel.
Denn obwohl Lebensmitteltabellen einen Überblick verschaffen, können die enthaltenen Werte um bis zu Faktor zehn abweichen, was durch die Wuchsbedingungen der Pflanze, die Sorte und so weiter bedingt ist. Wird wenige Male im Jahr Grünkohl gegessen, genügt es, kleinere Mengen zu sich zu nehmen und den INR im Auge zu behalten.

Doch vor allem der Gehalt an sekundären Pflanzeninhaltsstoffen – mindestens 45 verschiedene Flavonoide sollen nachgewiesen sein – verleiht dem Grünkohl sein Gesundheitsimage, denn der Verzehr soll den Cholesterin- und Blutzuckerspiegel positiv beeinflussen und das Immunsystem stärken.

Die für die Pflanzenfamilie typischen Senfölglykoside verleihen dem Wintergemüse zwar einen leicht herben Geschmack, sollen aber auch eine gewisse krebshemmende Eigenschaft besitzen. Eine Forschungsarbeit zweier Arbeitsgruppen unter der Leitung des Oldenburger Biologen Professor Dr. Dirk Albach und des Bremer Chemikers Professor Dr. Nikolai Kuhnert überraschte vor einiger Zeit mit dem Fazit, dass es sich bei bestimmten Grünkohlsorten um die besten Anti-Krebs-Gemüse handele.

Lutein und Zeaxanthin sagt man nach, dass sie den Krankheitsverlauf bei Makuladegeneration stabilisieren können. Und wer sich für eine basische Ernährungsform entschieden hat, kann beim Grünkohl kräftig zulangen.

Mehr als grüne Pampe

Traditionell wird Grünkohl gekocht und gemeinsam mit deftigen Fleisch- und Wurstwaren gegessen. Für die einen haben diese Grünkohlessen Kulturcharakter, bei anderen meldet sich der Ekelalarm und sie schreiben Grünkohl per se ab. Das Gemüse kann jedoch sehr vielseitig zubereitet werden. Beim Kauf sollte zu Bio-Ware gegriffen werden, da konventionell angebauter Grünkohl laut Verbraucherzentrale und Greenpeace häufig hohe Pestizidrückstände aufweist. Doch ob Bio oder nicht, die Blätter sollten knackig grün aussehen, die Stängel nicht ausgetrocknet sein, denn je länger der Kohl lagert, umso weniger Nährstoffe enthält er. Das gilt auch für die Aufbewahrung im Kühlschrank. Wer den Kohl gekauft hat und ihn doch nicht zubereitet, kann die klein geschnittenen und gewaschenen Blätter kurz blanchieren und dann einfrieren – so behalten sie ihre Frische und einen hohen Nährstoffgehalt.

Tipps für den Anbau im eigenen Garten
Zugegeben: Auf dem Balkon kann man Grünkohl nicht anbauen. Wer ein kleines Stück Garten für den Kohl freimachen kann, wird allerdings im Winter mit frischem Gemüse belohnt. Der Boden sollte tiefgründig und nährstoffreich, gegebenenfalls mit frischem Kompost angereichert sein. Die Jungpflanzen werden in einem Abstand von 40 mal 80 Zentimeter ins Beet gesetzt, auch eine direkte Aussaat im Sommer ist möglich. Sollten sich im laufenden Jahr gelbe Blätter zeigen, kann mit Hornspänen nachgedüngt werden. Grünkohl verträgt sich im Beet mit vielen anderen Pflanzen. Der gleichzeitige Anbau mit anderen Kohlsorten sollte jedoch gemieden werden – das zieht Kohlfliegen und den gefürchteten Kohlweißling an, dessen Raupen schnell ganze Kohlreihen dezimieren können.

Vor allem Vitamin C und Folsäure reagieren beim Zubereiten empfindlich auf Hitze. Wer sich am rohen Geschmack des Kohls nicht stört, kann daher einen Grünkohlsmoothie mit Gurke, Minze und einem Schuss Orangensaft herstellen. Oder einen Salat: Dazu die Blätter vorsichtig von den Stängeln streifen, waschen und eine Marinade aus Olivenöl und Salz einmassieren. Den Salat eine Stunde ziehen lassen, dann werden die Blätter zart – dazu passen Walnüsse, Feigen, eine klassische Vinaigrette und, wer mag, roher Serranoschinken. Als kräftiges Pesto mit Parmesan, Haselnüssen, getrockneten Feigen und reichlich Olivenöl passt der Kohl gut zu Nudeln, Brot oder Käse.

Wer den Kohl lieber garen möchte, kann ihn wie Blattspinat zubereiten: Die kleingeschnittenen Blätter mit Schalotten oder Frühlingszwiebeln anbraten und warten bis sie zusammengefallen sind. Durch das Garen schmeckt der Kohl weniger herb, eher süß-nussig. Dazu passen Gnocchi, Kartoffeln oder verschiedene Aufläufe.

Quellen:
https://part-raetsch.berlin/onewebmedia/Marcumar%20Vit%20K%20in%20der%20Nahrung.pdf 
https://www.gala.de/beauty-fashion/beauty/ernaehrung--die-superfood-trends-2021-22384326.html 
https://www.apotheken-umschau.de/gesund-bleiben/ernaehrung/gruenkohl-das-ideale-wintergemuese-712839.html 
https://www.dge.de/wissenschaft/weitere-publikationen/fachinformationen/sekundaere-pflanzenstoffe-und-ihre-wirkung/ 
https://www.aok.de/pk/magazin/ernaehrung/lebensmittel/gruenkohl-gesundes-superfood-im-winter/ 
https://www.internisten-im-netz.de/aktuelle-meldungen/aktuell/gruenkohl-beugt-besser-gegen-krebs-vor-als-brokkoli.html 
https://eatsmarter.de/ernaehrung/gesund-ernaehren/gruenkohl-gesund 
http://www.hortipendium.de/Gr%C3%BCnkohl_und_Palmkohl#Botanik 
https://www.biologie-seite.de/Biologie/Gr%C3%BCnkohl 
https://www.ndr.de/ratgeber/kochen/warenkunde/Gruenkohl-zubereiten-kochen-Rezepte,gruenkohl548.html 
http://www.hortipendium.de/Gr%C3%BCnkohl_und_Palmkohl#Botanik 

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