Lebensmittelverschwendung
MUSS DAS WIRKLICH WEG?
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Ungefähr 55 Kilogramm wirft jeder Bundesbürger pro Jahr in die Tonne. Schwer vorstellbar. Daher hier ein Bild: Man stelle sich alle Lebensmittel vor, die bis zum 2. Mai eines Jahres produziert worden sind: Obst, Gemüse, Getreideprodukte, Fleisch, Eier – und werfe alles auf einen riesigen Haufen. So viel schmeißen wir Deutschen jährlich an Lebensmitteln weg. Dieser Tag der Lebensmittelverschwendung wurde 2016 eingeführt, um auf diese große Problematik aufmerksam zu machen. Erst ab dem 3. Mai landen die produzierten Lebensmittel, symbolisch gesehen, auf unserem Teller und nicht in der Tonne. Dem gegenüber steht die ebenfalls schwer vorstellbare Zahl von rund 800 Millionen hungernden Menschen weltweit. In anderen europäischen Ländern sind Supermärkte beispielsweise dazu verpflichtet, unverkaufte Lebensmittel an Hilfsorganisationen zu spenden – und bei uns? Bislang engagieren sich hauptsächlich Vereine, Organisationen, aber auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft für ein Umdenken bei Verbraucher und Wirtschaft.
Lebensmittelabfälle bis 2030 halbieren Und jetzt möchte Bundesernährungsministerin Julia Klöckner das Thema Lebensmittelverschwendung gerne wieder zum Regierungsthema machen und stellte dem Kabinett ihre Strategien vor. Diese sollen die gesamte Lebensmittelkette betreffen – vom Feld auf den Teller. Denn die Probleme häufen sich entlang der gesamten Kette: beschädigte Packungen durch Transport und Lagerung, Störungen bei der Kühlung, zu große Bestellmengen, zu große Portionen im Restaurant, Fehlplanungen beim Buffet oder Wareneinkäufen der Verbraucher. Hierfür sollen sogenannte Dialogforen mit Vertretern von Unternehmen, Verbänden, Ländern und Wissenschaft eingeführt werden, um Maßnahmen für die jeweiligen Felder zu erarbeiten. Diese könnten unter anderem definierte Zielmarken beinhalten, wie häufigere Lieferungen kleinerer Bestellmengen, Austausch zwischen den Filialen, besondere Preisaktionen. Junge Familien und Jugendliche könnten über das Internet sensibilisiert werden, Bund und Länder sollen prüfen, wo die Hürden liegen bei der Weitergabe unverkaufter Lebensmittel an Hilfsorganisationen.
Alleine für die Forschungsförderung sollen 14 Millionen lockergemacht werden. Letztlich sollen durch die Maßnahmen Ressourcen geschont, wirtschaftlicher agiert und der Klimaschutz gefördert werden – ein wichtiger Punkt, wenn man bedenkt, dass allein 820 Liter Wasser gebraucht werden, bis ein Kilo Äpfel geerntet ist. Julia Klöckner setzt dabei auf Freiwilligkeit. Zusammen mit einem Lebensmittel-Discounter stellte die Ernährungsministerin zum Beispiel vor kurzem die Kampagne „Kostbares Retten“ vor. Auf den Packungen von Joghurt, Sahne und Co. wird es nahe dem Mindesthaltbarkeitsdatum Hinweise geben, dass das Produkt möglicherweise auch nach dessen Ablauf noch verzehrt werden kann. Denn gerade Milchprodukte landen hierzulande schnell in der Tonne, wenn sie „drüber“ sind. Unnötig im Müll landen außerdem häufig geöffnete Packungen, Obst, Gemüse, Brot und gekochte Speisen. Der Ministerin schweben hierfür unter anderem auch intelligente Verpackungen vor, die die Genusstauglichkeit und Verwendbarkeit von Lebensmittel konkret anzeigen können.
Das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein für den Wert eines Lebensmittels muss steigen.
Kritikern fehlt die Verbindlichkeit Der Lebensmittelhandel und die Branche begrüßen die Pläne, auch Umweltverbände stimmen der Richtung der Pläne zu. Doch gerade letzteren fehlt es an gesetzlichen Verbindlichkeiten. Auch auf politischer Ebene stößt Klöckner mit ihren Plänen nicht nur auf Zustimmung. Die Grünen fordern beispielsweise klare Senkungsziele für Einzelhandel und Produzenten. „Bis 2025 muss das Ziel sein, mindestens ein Drittel weniger Lebensmittel wegzuwerfen. Alles andere wäre Augenwischerei“, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Partei sieht zudem die Verbraucher zu sehr in die Verantwortung genommen, während die Lebensmittelkonzerne mit freiwilligen Leistungen glimpflich davonkommen würden. Hofreiter fordert wörtlich Schluss „mit einer Kühlschrankpolitik, die nur in den Blick nimmt, wie die Verbraucher mit Lebensmitteln umgehen“. Die Freiwilligkeit wurde auch von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen kritisiert. Gesetzesänderungen sind zurzeit zwar nicht vorgesehen, seien aber in der Strategie nicht ausdrücklich ausgeschlossen.
Was kann jeder einzelne jetzt schon tun? Ohne einer Gruppe den schwarzen Peter zuzuschieben, es kann natürlich trotzdem jeder einzelne etwas zur Eindämmung der Lebensmittelverschwendung beitragen. Das beginnt schon direkt beim Einkauf: Am besten einen Einkaufszettel schreiben, nicht hungrig und planlos einkaufen, frisches Obst und Gemüse oder Brot bedarfsgerecht und häufiger, dafür kleinere Portionen einkaufen. Zuhause angekommen kann durch korrekte Lagerung die Haltbarkeit der Lebensmittel beeinflusst werden. Im Kühlschrank gehören Obst und Gemüse nach unten ins Gemüsefach, Fisch und Fleisch auf die unterste, Milchprodukte auf die mittlere und Käse sowie Speisereste auf die obere Ablage. Eier, Butter und Getränke fühlen sich in der Tür wohl, Brot, Öle, Kartoffeln, Auberginen, Avocados, die meisten Südfrüchte und Tomaten haben wiederum nichts im Kühlschrank verloren. Kartoffeln, Zwiebeln und Brot mögen es zudem gerne dunkel und trocken. Äpfel und Tomaten begünstigen den Reifungsprozess anderer Obst- und Gemüsesorten – am besten separat lagern. Und wenn doch einmal zu viel eingekauft wurde oder das gekaufte Produkt einfach nicht schmeckt? Wie wäre es mit verschenken?
Sogenannte Foodsharer oder Foodsaver sind mittlerweile gut vernetzt und finden sich in vielen größeren und kleineren Städten Deutschlands. Nicht gebrauchtes Essen oder Lebensmittel werden eingesammelt und via Verteilungsstationen ausgegeben. Teilweise gibt es Tausch- und Verschenkbörsen, auch lokale Entsorgungsbetriebe bieten derartige Plattformen an – einfach mal surfen und andere Leute mit Lebensmitteln eine Freude machen. Hilfsorganisationen wie zum Beispiel die Tafel nehmen auch gerne private Lebensmittelspenden an. Manchmal sind die Sachen zwar unschön, aber durchaus noch genießbar – zum Beispiel schrumpelige Kartoffeln oder trockenes, übrig gebliebenes Weihnachtsgebäck. Auf www.zugutfuerdietonne.de findet man dazu Anregungen, Tipps oder Rezepte, mit denen sich Reste oder vermeintlich unschöne Lebensmittel noch gut verwerten lassen. Die Seite wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft betrieben. Seit 2016 wird auch jährlich ein Bundespreis für Innovationen gegen Lebensmittelverschwendung vergeben. Man darf gespannt sein, welche Auswirkungen das Strategie-Paket haben wird. Bis dahin gilt: Lieber zweimal nachdenken, bevor man etwas wegschmeißt. Doch Vorsicht bei Schimmel: Bei Brot, Joghurt, Marmelade und Käse lieber doch die ganze Packung entsorgen, befallene Früchte oder Gemüse mit hohem Wassergehalt auch vorsorglich komplett verwerfen.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/19 ab Seite 128.
Farina Haase, Apothekerin/Redaktion