Mann sitzt in Dunkelheit© KatarzynaBialasiewicz / iStock / Getty Images

Depression

KRAFTLOS, BITTER, TRAURIG

Im Alter verursachen Depressionen die gleichen Beschwerden wie in jungen Jahren, doch sie sind schwerer zu entdecken. Man kann sie mit zahlreichen alterstypischen Leiden verwechseln und viele Senioren verschließen sich dem Thema gegenüber.

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Schwere Depressionen sind bei Älteren etwas seltener als bei jungen Erwachsenen. Während gut acht Prozent aller Erwachsenen im Laufe eines Jahres an einer Depression erkranken, sind es in der Gruppe der 70- bis 79-Jährigen nur sechs Prozent. Leichtere Formen hingegen kommen bei Hochbetagten zwei- bis dreimal häufiger vor. Und auch darunter leidet die Lebensqualität beträchtlich. Dennoch sind geistige Erkrankungen wie Depressionen für viele ein Tabuthema, besonders in den älteren Generationen. Gerade bei Männern ist es oft verpönt, über Gefühle und Schwächen zu sprechen.

Eine Studie der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern zeigt, dass bei über-60-jährigen Männern mehr als 60 Prozent der Depressiven unbehandelt bleiben. Das führt dazu, dass die Suizidrate laut der offiziellen Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes mit dem Alter steigt. Über ein Drittel der Selbstmorde werden von Menschen über 65 verübt, obwohl sie nur ein Fünftel der Gesamtbevölkerung ausmachen. Insbesondere ältere Männer haben demnach ein vielfach erhöhtes Suizidrisiko.

Ein einziges Symptom kann entscheiden, ob eine Depression schwer oder leicht ist.

Traurig oder depressiv? Von einer Major Depression spricht man, wenn der Betroffene über zwei Wochen lang mindestens fünf dieser Symptome zeigt: depressive Verstimmung, deutlich vermindertes Interesse, Appetitverlust, Schlafstörungen, Unruhe oder psychomotorische Verlangsamung, Müdigkeit oder Energieverlust, Gefühle von Wertlosigkeit oder Schuld, Konzentrations- und Entscheidungsprobleme oder suizidale Gedanken oder Handlungen. Mindestens eins der Symptome muss für die Diagnose die depressive Verstimmung oder das verminderte Interesse sein.

Das heißt auch, der Unterschied zwischen einer mittelschweren und einer schweren Depression kann in einem einzigen Symptom liegen. Auch leichtere Formen sind also behandlungsbedürftig. Damit unterscheidet sich die Altersdepression nicht von Depressionen in anderen Altersgruppen. Was die Diagnose bei Senioren jedoch kompliziert, ist, dass die Beschwerden sich teilweise mit denen einer Demenz überschneiden. Denn auch eine Depression kann Verwirrung und Vergesslichkeit auslösen, man spricht dann von einer depressiven Pseudodemenz. Demente sind im Gegensatz zu Depressiven jedoch häufiger desorientiert, können beispielsweise das Datum nicht korrekt benennen.

Befragt man sie nach ihren Beschwerden, versuchen Personen mit einer beginnenden Demenz oft, Unzulänglichkeiten zu verstecken. Die Depression hingegen geht meist mit einem hohen Leidensdruck einher. Typisch für eine Depression im Alter ist auch, dass für Betroffene körperliche Leiden im Fokus stehen. Ohrgeräusche oder Rückenschmerzen scheinen dann unerträglich oder Kraftlosigkeit wird auf rein körperliche Ursachen geschoben. Diese Beschwerden sind es meist, über die depressive Senioren bei ihrem Hausarzt oder in der Apotheke klagen.

Selbstmordgedanken: Hinweise für Angehörige und Pflegende
+ Äußerungen wie „Ich kann nicht mehr“, „Ich will nicht mehr“ können auf suizidale Gedanken oder Absichten hinweisen. Deshalb sind sie immer ernst zu nehmen. Die Angehörigen oder Pflegenden sollten den Betroffenen darauf ansprechen.
+ Bei Selbstmordgedanken oder bei suizidalem Verhalten ist immer ein Arzt hinzuziehen. Denn: Wird eine Depression behandelt, sinkt das Suizidrisiko.

Antidepressiva im Alter Steht die Diagnose Depression, kann die Wahl des richtigen Antidepressivums zur Herausforderung werden. Zahlreiche Arzneistoffe stehen auf der PRISCUS-Liste der potenziell für ältere Menschen ungeeigneten Arzneimittel. Amitriptylin beispielsweise kann bei älteren Anwendern zu einem Delir führen und erhöht das Risiko für Hüftfrakturen. Und die Polymedikation vieler Senioren erhöht das Risiko für Wechselwirkungen. Legt Ihnen ein Kunde ein Rezept über Antidepressiva vor, erkennen Sie die Diagnose an der Verordnung.

In der Selbstmedikation fragen jedoch die wenigsten Betroffenen nach einem Antidepressivum oder etwas Stimmungsaufhellendem. Wahrscheinlicher ist es, dass ein Kunde nach einem Aufbaumittel fragt, über Erschöpfung, Konzentrationsprobleme oder Schlafstörungen klagt. Auch, wenn ein Kunde wiederholt Beruhigungs-, Schlaf- oder Schmerzmittel (bei wechselnden oder unklaren Schmerzen) kauft, kann das auf eine Depression hinweisen. In der Beratung ist Ihr Einfühlungsvermögen gefragt. Hinterfragen Sie die Beschwerden genau und versuchen Sie, Ihren Kunden zu einem Arztbesuch zu bewegen. Raten Sie ihm, dort nicht nur die körperlichen Beschwerden zu schildern. Und geben Sie ihm weitere Anlaufstellen wie www.deutsche-depressionshilfe.de oder regionale Krisendienste und Beratungsstellen schriftlich mit.

In der Selbstmedikation sind die Möglichkeiten begrenzt. Der bessere Weg für Ihren Kunden ist es immer, beim Arzt zunächst eine Diagnose einzuholen. Nur bei leichten Beschwerden sollten Sie Johanniskraut-Präparate empfehlen. Denken Sie daran, Wechselwirkungen mit seinen anderen Medikamenten zu überprüfen. Und behalten Sie vor Augen, dass bei Kunden mit suizidalen Gedanken die antriebssteigernde vor der stimmungsaufhellenden Wirkung eintreten kann. Entscheiden Sie sich für die Empfehlung, sollte ihr Kunde täglich 600 bis 900 Milligramm standardisierten Johanniskraut-Extrakt einnehmen, mindestens zwei Wochen lang. Ist nach vier Wochen keine Besserung eingetreten, verweisen Sie ihn bitte an den Arzt.

Eingedampft
Depressionen im Alter sind schwierig zu behandeln. Zum einen nehmen viele Senioren psychische Beschwerden selbst nicht ernst oder reden nicht darüber. Zum anderen muss die Diagnose eine Depression von belastenden körperlichen Beschwerden wie Schmerzen oder Schlafstörungen abgrenzen. Die pseudodemenzielle Depression muss von einer echten Demenz unterschieden werden. Und schließlich ist die Wahl eines Antidepressivums erschwert, da ältere Menschen meist schon mehrere andere Arzneimittel einnehmen und einige Wirkstoffe für Senioren nicht geeignet sind.

Was ist mit Tryptophan? Tryptophan ist eine essenzielle Aminosäure und eine Vorstufe von Serotonin. Der Neurotransmitter ist an der Signalübertragung im Gehirn beteiligt. Bei einer Depression herrscht oft Serotonin-Mangel – deshalb werden Serotonin-Wiederaufnahmehemmer als Antidepressiva eingesetzt. So liegt der Gedanke nahe, Tryptophan oder seinen Metaboliten 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) als Nahrungsergänzungsmittel bei Depressionen einzusetzen. Eine Metaanalyse verglich 108 Studien, die die Wirksamkeit von Tryptophan oder 5-HTP mit Placebo verglichen. Nur zwei dieser Studien mit insgesamt 64 Probanden waren qualitativ aussagekräftig. Zwar ergaben sie, dass Tryptophan und 5-HTP Depressionen besser lindern könnten als Placebo, allerdings ist der klinische Nutzen damit nicht ausreichend belegt. Für eine Empfehlung fehlt die Evidenz.

Mehr als Medikamente Neben Arzneimitteln ist ein bedeutender Teil der Behandlung von Depressionen die Psychotherapie. Einige sträuben sich gegen den Gedanken. Dabei ist eine Depression eine behandlungsbedürftige Erkrankung wie organische Leiden auch. Die wenigsten kämen wohl auf die Idee, einen Beinbruch mit sich selbst auszumachen.

Rückblick auf das Leben Eine Therapieform, die im Alter häufig eingesetzt wird, ist die Lebensrückblicktherapie. Im Gespräch sollen die Patienten sich an wichtige Lebensereignisse, Konflikte und Erfolge erinnern und eine möglichst zusammenhängende Lebensgeschichte erzählen. Vor allem belastende Erfahrungen werden dabei wiederholt durchgesprochen. Das hilft den Patienten dabei, zurückliegende Probleme neu zu bewerten und Strategien wiederzuentdecken, mit denen sie früher Krisen bewältigten. Der so entwickelte Lebenslauf stärkt die Patienten in ihrer Identität. Sie können sich besser vor Augen rufen, welche positiven Dinge sie erreicht haben, und Hoffnung schöpfen für aktuelle Problemsituationen. Auch Unerledigtes, das sie umtreibt, können sie sich so bewusstmachen.

Weisheitskompetenzen wie Empathie, Toleranz und Humor lindern Verbitterung.

Weisheit erlernen Ein anderer Ansatz ist die Weisheitstherapie. Sie kommt vor allem zum Einsatz, wenn jemand unter unfairen, schmerzhaften Erfahrungen leidet – der posttraumatischen Verbitterungsstörung. Dr. Barbara Lieberei, medizinische Leiterin der Dr. Ebel Heinrich-Heine-Klinik, erklärt: „Die Verbitterung ist ein komplexer Zustand. Es ist eine Mischung aus Aggressivität und Resignation, aus Rachegefühl und Selbstzerstörung.“ Mit Verbitterung sei keine zynische Lebenseinstellung gemeint, sondern eine Kränkungsdepression, bei der schmerzhafte Ereignisse die Betroffenen immer wieder einholen. In der Therapie erlernt man sogenannte Weisheitskompetenzen wie Empathie, Toleranz und Humor, um diese Situationen neu zu bewerten. Eine Methode dafür sind Perspektivwechsel: Dazu müssen die Patienten beispielsweise aus der Sicht eines früheren Arbeitgebers oder des Ehepartners diskutieren und ihr Verhalten erklären.

Der Erkrankte ist nicht der einzige Betroffene Eine Depression belastet oft nicht nur den Depressiven selbst, auch Partner und Angehörige können darunter leiden. Womöglich verhält ein früher liebevolles Elternteil sich nun kalt. Oder der Versuch zu helfen und Pflichten des Familienmitglieds zu übernehmen, zehrt an den Kräften. Angehörige sollten sich bewusstmachen, dass abweisende Reaktionen und Interesselosigkeit Zeichen der Depression sind und nichts mit den Gefühlen ihnen gegenüber zu tun haben. Und schließlich sollten Familienmitglieder auch auf sich selbst achten, sich Auszeiten gönnen und Hilfe in Anspruch nehmen, wenn nötig.

Den Artikel finden Sie auch in der Sonderausgabe Senioren von DIE PTA IN DER APOTHEKE ab Seite 74.

Gesa Van Hecke, PTA/Redaktion

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