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Schleudertrauma

HALS ÜBER KOPF

Die Halswirbelsäule ist der beweglichste Wirbelsäulenabschnitt. Genau diese Eigenschaft und die Schwere des Kopfes macht sie für indirekte Gewalteinwirkung so anfällig.

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Das Schleudertrauma, genauer: Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule oder HWS-Distorsion, ist eine häufige Unfallfolge. Meist assoziiert man mit dem Begriff einen Auffahrunfall; Ursachen können aber auch Fahrten mit Fahrgeschäften in Vergnügungsparks sein, häufig auch Verletzungen bei sportlicher Aktivität.

Definitionsgemäß handelt es sich um eine traumatisch bedingte Weichteilverletzung im Bereich der Halswirbelsäule. Beim Aufprall eines auffahrenden Pkw auf das Heck eines Wagens bewirkt die physikalische Trägheit, dass sich der schwere Kopf gegenläufig zum fixierten Rumpf mit Schwung nach hinten bewegt. Die Beschleunigungskräfte auf den Kopf betragen dabei oft ein Mehrfaches der Erdbeschleunigung. Die Halswirbelsäule wird dadurch überstreckt . Wurde in dem Moment gerade eine Drehbewegung ausgeführt, kann dies zu einer komplexeren passiven Bewegung führen.

Nackenmuskeln werden automatisch angespannt; diese Muskelreflexe können die Halswirbelsäule vor schwereren Verletzungen schützen. Unmittelbar nach dem Anprall fällt der Kopf wieder nach vorne, was eine starke Beugung (Hyperflexion) von Teilen der HWS bedingt.

Im Rahmen der innerhalb von Sekundenbruchteilen stattfindenden Abläufe kommt es zu Zerrungen und Stauchungen im Bereich der HWS, die sowohl den Halteapparat aus Sehnen und Bändern, manchmal auch Muskelstränge und sogar knöcherne Anteile der Wirbelsäule betreffen können. Muskeln und Bänder können durch Mikroverletzungen geschädigt werden.

Bunte Symptomatik Meist treten die Beschwerden, hauptsächlich Nackenschmerzen, ähnlich einem Muskelkater, sowie Druckschmerzen und Nackensteife erst mit einer Verzögerung (Latenz) von Stunden bis zu zwei Tagen auf. Es wird vermutet, dass dafür „entzündlich-reparative Reaktionen” verantwortlich sind, die als Antwort auf die gesetzten Gewebeschäden in Gang kommen.
Trotz anfangs oft heftiger Schmerzen sind die Folgen in der Mehrzahl der Fälle harmlos. Meist gehen die Beschwerden innerhalb von Tagen bis Wochen spontan zurück; es werden aber auch lang andauernde starke Beschwerden beschrieben.

Verschiedene Schweregrade existieren, wobei bei Grad 1 Schmerzen und Steifigkeitsgefühl bestehen, ohne dass objektive Zeichen gefunden werden. Bei Grad 2 kommen zu den genannten Symptomen muskulo-skeletale Befunde wie Bewegungseinschränkung oder Druckschmerzen hinzu, bei Grad 3 werden neurologische Befunde erhoben, zum Beispiel eine Abschwächung von Muskelreflexen, Schwäche oder sensorische Defizite.

Auch bei geringem Schweregrad, selbst wenn Nackenbeschwerden fehlen, kommen Schwindel, Tinnitus, Kopf- und Kieferschmerzen, Schluckbeschwerden und Hörstörungen bis zu Konzentrationsschwierigkeiten vor. Auch Übelkeit, Taubheitsgefühl in den Armen sowie andere Missempfindungen werden beschrieben.

Was man nicht sieht Wie Kopfschmerzen, Gleichgewichtsprobleme und die anderen vielfältigen Phänomene genau zustande kommen, ist nicht geklärt und wird häufig als direkte Unfallfolge angezweifelt, da meist kein Korrelat, also keine sichtbare Ursache dafür gefunden wird. Sofern nicht noch zusätzlich ein Schädel-Hirn-Trauma vorliegt, kann nach bisherigem Stand jedenfalls eine Verletzung von Gehirnstrukturen ausgeschlossen werden.

Eine Frage der Einstellung
Sicherheitsgurte können einen harten Anprall des Kopfes zumindest abschwächen und individuell eingestellte Kopfstützen können die Auswirkung des Crashs deutlich reduzieren.
Wichtig: Die Oberkante der Kopfstütze sollte sich auf gleicher Höhe wie der höchste Punkt des Kopfes befinden. Am besten berührt der Hinterkopf die Kopfstütze, beziehungsweise sollte der Abstand zu ihr so klein wie möglich sein. Wo die Einstellung schwierig ist (speziell bei größeren Menschen) kann es helfen, die Rückenlehne steiler zu stellen oder zu erwägen, eine so genannte Kopfstützenergänzung anzubringen.

Nach gängiger Lehrmeinung erklärt man sich das Auftreten der genannten Symptome mit der jeweils individuellen Art der Schmerzverarbeitung oder so genannten „erlebnisreaktiven Momenten”. Nach manchen Autoren ist der weitere Verlauf eher von der „psychischen Reaktion auf das Unfallereignis” abhängig als von körperlichen Schäden, die der Körper davongetragen hat. Andere Ärzte vermuten, dass funktionelle Störungen bei den kleinen Muskeln vorliegen, die im Bereich der Kopfgelenke mit für die richtige Positionierung des Kopfes zuständig sind.

Und manche Neurologen und Radiologen geben zu bedenken, dass unter Umständen die nötige Bildgebung nicht im richtigen Zeitfenster veranlasst wurde beziehungsweise dass möglicherweise andere Verfahren – eine funktionelle Bildgebung der Nuklearmedizin – nötig wären, um mögliche metabolische Veränderungen im Gehirn darzustellen.

Nur keine Halskrause! Nach Ausschluss schwerer Schäden lässt sich das Behandlungskonzept als aktivierend umschreiben. Um zu vermeiden, dass sich im ZNS eine gesteigerte Erregbarkeit entwickelt, durch die Schmerz empfunden wird, auch wenn der ursprüngliche schmerzauslösende Reiz nicht mehr vorhanden ist (Chronifizierung des Schmerzes), ist es wichtig, dass möglichst frühzeitig und in ausreichender Menge Schmerzmittel, etwa NSAR, eingenommen werden.

Physiotherapie (Dehnungsgriffe) kann die Beschwerden durch Muskelverspannungen lindern. Auch Wärmeanwendungen (Rotlicht, Heißluft) werden empfohlen. Schmerztherapeuten empfehlen außerdem TENS, die transkutane elektrische Nervenstimulation, Akupunktur oder manuelle Therapie. Mit – zunächst sehr vorsichtig zu beginnenden – isometrischen Übungen kann die muskuläre Stabilisierung unterstützt werden.

Sofern nicht massivste Bewegungsschmerzen oder der Befund „Instabilität” es erfordern, wird eine Ruhigstellung heute als eher ungünstig angesehen. Das Anlegen einer Zervikalstütze oder Schanzschen Krawatte gilt daher als überholt. Denn durch die erzwungene Schonhaltung verliert die Halsmuskulatur an Kraft, die dringend benötigt wird, um die Wirbelsäule zu stabilisieren; der Heilungsprozess wird verzögert.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/13 ab Seite 92.

Waltraud Paukstadt, Dipl. Biologin

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