Geschmack und Psyche
SÜSSES STÄRKT SOZIALVERHALTEN
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Ganz klein ist er noch, der Embryo im Mutterleib, da sprießen ihm schon die ersten Geschmacksknospen. Das unterstreicht, wie wichtig die Natur die Fähigkeit, Geschmäcker zu interpretieren erachtet; selbst innerhalb der Evolution war es der erste Sinn, der sich entwickelte.
Da ist es nicht überraschend, dass psychologische Effekte nicht ausbleiben: Geschmackserfahrungen beeinflussen unser Denken und Verhalten. Die meisten Studien dazu wurden in Richtung süß veranstaltet. Naschereien scheinen bei uns Menschen sehr eng mit romantischen Gedanken verbunden zu sein. Auch an Valentinstag verschenkt man gern Süßes.
Geschmack aktiviert Hirnareal
Sie schienen aber auch noch etwas anderes bei uns auszulösen. Unter Kernspin zeigte sich, dass sich Probanden nach einem süßen Geschmackserlebnis bei nachfolgenden Entscheidungen sozialer verhielten, weil die entsprechende Gehirnregion ein erhöhtes Aktivitätslevel aufwies. In einem Experiment bekamen sie dazu süße, salzige oder neutrale Geschmacksproben, bevor sie an einem Entscheidungsspiel teilnahmen. Die Ergebnisse zeigten, dass diejenigen Probanden, die süß gekostet hatten, gegenüber den Mitspielern sozialer agierten.
Man kontrollierte dies sogleich: Süßer Geschmack macht nicht deshalb sozial, weil er uns allgemein in gute Stimmung versetzt. Vielmehr hat das Süße bei der Bewertung von unterschiedlichen Produkten keinen Einfluss – es scheint also ausschließlich mit prosozialem Verhalten zusammenzuhängen.
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Geschmack in Korrelation mit Entscheidungsebene
Auch auf neuronaler Ebene zeigt dies Wirkung: Süß = Sozialverhalten war nachweisbar mit dem dorsalen anterioren cingulären Kortex verbunden. Dieser Hirnbereich nimmt eine zentrale Rolle bei der Kontrolle von Konflikten und Entscheidungen ein: beispielsweise bei der Wahl zwischen „sozial“ und „egoistisch“. Dieser Kortex ist auch mit dem Geschmacksempfinden verbunden, und so scheint er das Entscheidungsverhalten über diese Hirnregion zu beeinflussen.
Die Hintergründe dieser Effekte sind allerdings noch unklar. Eine Rolle könnte die Sprache spielen – ob Deutsch, Englisch oder Mandarin, überall korreliert „süß“ mit „romantisch“ – oder frühkindliche Prägungen wie der süßliche Geschmack der Muttermilch, der ja mit zutiefst sozialem Verhalten verbunden ist – dem Füttern.
Praktisch ist hier noch vieles am Versuchsergebnis unklar; es muss noch nachgefeilt werden. Es genügt also nicht, Schokoriegel zu verteilen, weil wir jemanden für den Umzug suchen. Aber ein Anfang ist gemacht: Die in der Zeitschrift Scientific Reports veröffentlichten Studienergebnisse der MSB Medical School Berlin zeigen immerhin, welche komplexen und erstaunlichen Wirkungen Geschmackswahrnehmungen auf unser Denken und Verhalten haben können.
Quelle: informationsdienst wissenschaft