Psychologie in der Apotheke
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Als Traumata bezeichnet man in der Psychiatrie Ausnahmesituationen, die mit belastenden Ereignissen, wie beispielsweise Krieg, Unfällen, Naturkatastrophen oder körperlichen, psychischen oder sexuellen Gewalttaten, einhergehen. Sie führen zu einer tiefen seelischen Erschütterung und können sich auch körperlich manifestieren. Eine Erfahrung ist genau dann traumatisierend, wenn sie die Bewältigungsfähigkeit der Person übersteigt.
Eingriff in die psychische Gesundheit Betroffene reagieren in der Regel unmittelbar nach dem Erlebten mit extremem Stress, emotionaler Taubheit (Numbing) oder starken, emotionalen Schwankungen. Diese akuten Belastungsreaktionen (ABR) lassen meist nach kurzer Zeit wieder nach. Langfristig entwickelt sich bei einigen Menschen jedoch eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die sich durch Albträume, Vermeidungsverhalten, Gefühlstaubheit oder durch aufkommende Erinnerungen in Form von unkontrollierten Gedanken und Flashbacks äußert. Die aufkommenden, belastenden Erinnerungen in Form von Bildern, Flashbacks oder Albträumen bezeichnet man als Intrusionen.
Auch Angstgefühle, Unruhe, Schlafstörungen, Depressivität, Hilflosigkeit, Verzweiflung oder eine eingeschränkte Wahrnehmung der Umgebung sind charakteristische Beschwerden. Symptome der Übererregung, wie Schlafstörungen, eine verstärkte Reizbarkeit oder Schreckhaftigkeit zählen zum sogenannten Hyperarousel, dem Zustand eines permanent erhöhten Aktivitätsniveaus. Die Lebensqualität sowie die Bewältigung des Alltags von Menschen mit PTBS können stark beeinträchtigt sein. Sie sollten sich möglichst frühzeitig in eine Traumatherapie begeben.
Grundsätzlich sind verzweifelte Reaktionen auf Traumata allerdings nicht automatisch pathologisch, sondern gehören zur Bewältigung des Ereignisses. Problematisch wird es, wenn der Alltag nur schwer zu bewältigen ist, Betroffene permanent gedanklich mit der Situation beschäftigt sind oder es zu gravierenden Verhaltensänderungen kommt. Empfehlen Sie Kunden, die über traumatische Erlebnisse berichten, den Besuch eines Facharztes, sodass dieser die Situation beurteilen kann.
Das ICD-10 unterscheidet unter der Bezeichnung „Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen“ drei verschiedene Krankheitsbilder und zwar die bereits erwähnten ABR und PTBS sowie eine Anpassungsstörung, die auf eine psychosoziale Belastung (Trennungen, Konflikte, Tod von Bezugspersonen, Geburt eines Kindes) folgt. Bei Letzterer handelt es sich demnach nicht um typische katastrophale Ereignisse, sondern um Situationen mit einem hohen Maß an Veränderungen des eigenen Lebens.
Psychologische Betreuung Eine Traumatherapie setzt sich in der Regel aus drei Phasen zusammen. Die erste, die Stabilisierungsphase, dauert meist am längsten. Betroffene lernen bestimmte Techniken, um mit Ängsten, Albträumen und anderen Manifestationen des Traumas umzugehen. In vielen Fällen helfen Entspannungsverfahren, zusätzlich bietet sich die Einnahme von Antidepressiva an, um beispielsweise Ängste und Schlafstörungen zu reduzieren. In der Traumaaufarbeitungsphase findet die Konfrontation mit dem belastenden Ereignis statt, damit die Verarbeitung in Gang gesetzt wird.
Hier kommen verschiedene Methoden zur Anwendung, wie etwa das Eye Movement Desensitization and Reprocessing (siehe unten). Es existieren weitere Ansätze in der Traumatherapie, beispielsweise die kognitive Verhaltenstherapie, die psychodynamische Psychotherapie (unbewusste Wirkungen des Traumas werden behandelt), die narrative Konfrontation (die erinnerten Elemente des Traumas werden zu einer Geschichte zusammengefügt) oder das Imagery Rescripting nach Smucker („Bild-Neuschreiben“ nach sexueller Traumatisierung).
Gelegentlich kann es zu Dissoziationen während der Therapie kommen, wobei der Patient das Gefühl hat, nicht er selbst zu sein (Depersonalisation) und die Welt aus einer Distanz zu erleben (Derealisation). In solchen Situationen greift der Therapeut sofort ein, um den Bezug zum Hier und Jetzt wiederherzustellen und die Aufmerksamkeit von Betroffenen wieder in die Realität zurückzuholen. Die letzte Phase einer Traumatherapie ist die Integrationsphase, in welcher die nicht mehr rückgängig zu machenden Ereignisse akzeptiert und in den Lebenslauf integriert werden. Zusätzlich beschäftigen sich Therapeut und Klient mit dem Aufbau neuer Lebensperspektiven sowie mit der Vorbeugung von Rückfällen.
Heilendes Augenrollen Bei der EMDR-Methode (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) handelt es sich um eine effektive Behandlungsmaßnahme, die bei posttraumatischen Belastungsstörungen hilfreich ist. Das Verfahren gilt als eines der großen Hoffnungsträger in der Traumatherapie und wird seit Ende der 1980er Jahre angewendet. Vorteilhaft ist, dass weniger Therapiesitzungen als bei einer Verhaltenstherapie benötigt werden. Außerdem gilt die Abbruchquote als relativ gering. EMDR wurde von der amerikanischen Psychologin Francine Shapiro, einer Forscherin vom Mental Research Institute in Palo Alto (Kalifornien), entwickelt. Der Patient verfolgt beim EMDR mit den Augen die Finger des Therapeuten, während er sich auf eine von ihm nicht verarbeitete Erinnerung konzentriert.
Im Gehirn wird dadurch vermutlich ein Informationsverarbeitungsprozess aktiviert, bei dem sich der Patient an das traumatische Erlebnis erinnert, das bei ihm heftige Reaktionen hervorruft. Das Trauma ist im Gedächtnis oft in Form von bruchstückhaften Teilen hinterlegt, durch die visuelle Stimulierung werden die Erinnerungsstücke zusammengefügt und im Gedächtnis von nun an als Ganzes gespeichert. Man geht demnach von einer Synchronisation der beiden Hirnhälften aus, da die Gehirnhälften abwechselnd aktiviert werden (bilaterale Stimulation). Die Geschehnisse werden auf diese Weise verarbeitet und in die Biografie integriert, anstatt als Fremdkörper zu stören. Sie sind nun Teil der Lebensgeschichte und emotional entschärft.
Sleep mimicry-Modell Es gibt weitere Erklärungen dazu, wie die EMDR-Methode wirken soll: Eine andere Theorie geht davon aus, dass die rapid eye movement-Phase (REM-Phase) des Schlafs durch die Augenbewegungen imitiert wird. In dieser Phase findet in der Nacht die Verarbeitung von negativen Erfahrungen statt. Bestätigt wird diese Vermutung durch Studien, die zeigen, dass beim EMDR ähnliche Hirnwellenmuster im EEG auftreten wie im REM-Schlaf. Äußern Kunden bei Ihnen in der Apotheke Interesse an einer EMDR-Behandlung, können Sie sie auf die Homepage emdria.de hinweisen. Emdria ist der wissenschaftliche Fachverband für die Anwender der Methode, die aus Ärzten, psychologischen Psychotherapeuten und Therapeuten für Kinder und Jugendliche bestehen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Therapiekosten bei PTBS. Auch Heilpraktiker bieten diese Methode gelegentlich an, die Behandlung muss in diesen Fällen von den Patienten selbst gezahlt werden.
Diesen Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/2021 ab Seite 50.
Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie, Fachjournalistin