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Kälteurtikaria

VORSICHT, FROSTIG!

Ein eisiger Wind weht um die Nase und prompt bilden sich stark juckende Quaddeln auf der Haut – typische Beschwerden für eine Kälteurtikaria. Die eigenwillige Erkrankung kann mittlerweile erfolgversprechend behandelt werden.

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Kälte können Betroffene gar nicht vertragen, winterliche Vergnügen wie Schneeballschlachten oder Eisstockschießen sind für sie tabu. Aber auch, wenn draußen keine Minusgrade herrschen, kann die Kälteurtikaria auftreten: Oft reicht es schon, wenn ein kalter Gegenstand die Haut berührt, ein Getränk aus dem Kühlschrank getrunken oder ein Eis gegessen wird, wenn kalte Luft auf unbedeckte Hautstellen trifft, Schweiß auf der Haut verdunstet oder man sich einfach nur auf eine kalte Toilettenbrille setzt. Durch den Kontakt mit Kaltem kommt es bei Menschen mit Kälteurtikaria zu Rötungen, Juckreiz und Quaddeln auf der Haut, mitunter auch zu Schwellungen der Schleimhäute, medizinisch als Angioödeme bezeichnet.

Die rötlichen, mit Gewebeflüssigkeit gefüllten Quaddeln sehen – ähnlich wie bei anderen Formen der Nesselsucht – aus, als hätte man in Brennnesseln gefasst. Auch, wenn die juckenden Hauterscheinungen nach einiger Zeit wieder verschwinden, ist mit einer Kälteurtikaria nicht zu spaßen. Mitunter kann sie sogar sehr gefährlich werden. So kann beispielsweise ein Sprung ins kühle Schwimmbecken eine generalisierte Urtikaria-Reaktion auslösen und bis zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock führen.

Oder der Genuss eines kalten Drinks kann Schwellungen im Rachenbereich und Atemnot nach sich ziehen. Doch auch weniger dramatische Ausprägungen der Krankheit können die Lebensqualität merklich trüben: Schwimmbadbesuche und Schneewanderungen sind für Betroffene unmöglich, aber auch auf viele alltägliche Tätigkeiten – vom Obstwaschen bis zum Eisessen – muss man krankheitsbedingt verzichten.

Rätselhafte Pseudoallergie Bei der Kälteurtikaria handelt es sich um eine physikalische Form der Nesselsucht, über deren exakte Ursachen nach wie vor spekuliert wird. Bekannt ist, dass das rätselhafte Leiden meist plötzlich auftritt – manchmal schon in der Kindheit, manchmal aber auch erst im höheren Lebensalter – und nach etwa fünf bis sieben Jahren wieder verschwindet. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Virale und bakterielle Infektionskrankheiten können als Auslöser eine Rolle spielen. Viele Patienten mit Kälteurtikaria leiden zusätzlich auch unter anderen Formen der Nesselsucht.

Ab welchen Temperaturen die charakteristischen Symptome auftreten, variiert von Patient zu Patient – eine allgemeine Schwellentemperatur, ab der mit den juckenden Quaddeln gerechnet werden muss, gibt es also nicht. Auch die auslösende Form der Kälte (z. B. kalte Luft, Gegenstände oder Nahrungsmittel) ist individuell unterschiedlich. Viele Patienten leiden auch dann unter der juckenden Quaddelbildung, wenn sie starken Temperaturunterschieden ausgesetzt sind, etwa aus dem gut geheizten Wohnzimmer an die kühle Luft im Freien kommen. Bei der Kälteurtikaria handelt es sich übrigens nicht um eine Allergie. Der Begriff „Kälteallergie“, der oft synonym verwendet wird, ist medizinisch betrachtet falsch.

Der Grund: Anders als bei einer echten Allergie werden bei der Kälteurtikaria keine Antikörper gegen Allergene gebildet. Die krankheitstypische Quaddelbildung beruht auf einer Ausschüttung von Entzündungsstoffen, insbesondere Histamin, aus den Mastzellen. Experten bezeichnen diese Form der Nesselsucht deshalb als Pseudoallergie. Die Diagnose „Kälteurtikaria“ lässt sich durch einfache Testmethoden stellen, etwa durch einen Eiswürfeltest. Es gibt auch spezielle elektronische Testgeräte, mit denen sich nicht nur die Krankheit diagnostizieren, sondern auch die individuelle Schwellentemperatur ermitteln lässt, ab der der Patient unter den Hautreaktionen leidet.

Steht die Diagnose fest, kann die Kälteurtikaria therapiert werden. Hier gibt es eine Reihe von medikamentösen Behandlungsansätzen, wobei allerdings nicht jede Therapie bei jedem Patienten gleichermaßen erfolgreich ist. Liegen der physikalischen Nesselsucht bakterielle Auslöser zugrunde, verspricht eine Antibiotikatherapie Erfolg. Um die Symptome zu lindern, kommen nicht-sedierende Antihistaminika zum Einsatz, die die Histamin-Rezeptoren blockieren. Bei Kälteurtikaria werden Antihistaminika vom Arzt oft in höherer Dosierung verordnet als bei Allergien wie Heuschnupfen.

Urtikaria – kurz & knapp

Eine Urtikaria, auch Nesselsucht oder Nesselfieber genannt, ist durch plötzliches Auftreten juckender Quaddeln an der Haut gekennzeichnet – mit oder ohne Angioödeme. Jeder Vierte erkrankt im Laufe seines Lebens daran. Während eine akute Urtikaria nur wenige Tage oder Wochen dauert, plagt die schwerer zu behandelnde chronische Verlaufsform Betroffene viele Monate, Jahre oder Jahrzehnte. Eine Urtikaria kann spontan, ganz unabhängig von äußeren Einflüssen auftreten oder durch einen bestimmten Reiz ausgelöst werden – etwa durch Kälte, Wärme, Druck oder Licht. Dann sprechen Experten von induzierbarer Urtikaria. Der Name der Krankheit leitet sich von der Brennnessel (lat. Urtica) ab.

Therapieerfolg mit Asthma-Mittel Erfolgreich kann die Kälteurtikaria auch mit dem aus der Asthmatherapie bekannten Wirkstoff Omalizumab therapiert werden. Dabei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der das Immunglobulin E neutralisiert, das die Mastzellen aktiviert. Erst kürzlich konnten Wissenschaftler der Charité Universitätsmedizin Berlin die hohe Wirksamkeit des Wirkstoffs bei verschiedenen Formen der physikalischen Nesselsucht, darunter auch bei Kälteurtikaria, nachweisen. In zwei im „Journal of Allergy and Clinical Immunology“ publizierten Studien behandelten Wissenschaftler der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie 61 Patienten mit Urticaria factitia (hier ruft Reibung, etwa durch Scheuern oder enge Kleidung Quaddeln und Juckreiz hervor) und 31 Patienten mit Kälteurtikaria über einen Zeitraum von drei Monaten mit Omalizumab.

Um die Effektivität der Behandlung zu überprüfen, wurde bei allen Studienteilnehmern der individuelle Schwellenwert zur Auslösung der Krankheitssymptome mithilfe objektiver Messverfahren bestimmt: Zunächst vor Gabe der Medikation, dann alle vier Wochen nach Erhalt der ersten zwei und zwei Wochen nach der letzten Gabe. Im Ergebnis zeigte sich für beide Krankheitsbilder, dass Omalizumab zu einer deutlichen Verbesserung der Beschwerden führte. Knapp die Hälfte der Patienten mit Kälteurtikaria und Urticaria factitia waren nach der Behandlung sogar vollständig vor dem Auftreten der Beschwerden geschützt – auch nach Kontakt mit den entsprechenden Reizen.

Zum Therapiespektrum gehört auch die Möglichkeit einer sogenannten Hardening-Therapie, bei der Betroffene durch Konfrontation allmählich an Kältereize gewöhnt werden sollen. Patienten, bei denen Komplikationen wie zum Beispiel Schleimhautschwellungen im Rachen möglich sind, sollten mit rasch wirksamen Notfallmedikamenten ausgestattet werden und ein entsprechendes Notfallset immer bei sich tragen.

Kaltes meiden Wichtig ist es natürlich auch, Betroffene über die Auslöser der Kälteurtikaria aufzuklären und ihnen naheliegende Verhaltenstipps mit auf den Weg zu geben: Das bedeutet zum Beispiel, auf kalte Speisen und Getränke zu verzichten, sich möglichst keinen starken Temperaturschwankungen auszusetzen und sich im Freien durch entsprechende Kleidung, Handschuhe und Mütze vor Winterkälte zu schützen. Unbedeckte Hautstellen wie das Gesicht sollten vor dem Aufenthalt im Freien mit einer fetthaltigen Creme geschützt werden.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/17 ab Seite 74.

Andrea Neuen, Freie Journalistin

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