Pflanzliche Inhaltsstoffe
SCHUTZWAND GEGEN REIZE
Seite 1/1 4 Minuten
Chemisch gesehen sind Gerbstoffe eine heterogene Gruppe. Deshalb werden sie über ihre Eigenschaft definiert, in Lösung tierische Häute zu gerben. Das Gerben als eine der ältesten kulturellen Errungenschaften der Menschheit bezeichnet die Vernetzung von Proteinen, sodass wenig quellbare, gegen mikrobielle Einflüsse weitgehend resistente Produkte entstehen. Möglich wird diese Reaktion durch Wechselwirkungen der phenolischen Hydroxygruppen der Gerbstoffe mit freien funktionellen Gruppen der Aminosäuren in den Proteinen des zu gerbenden Stücks.
Hier entstehen neue Wasserstoffbrücken, Ionenbeziehungen bis hin zu kovalenten Bindungen. Um einen wasserunlöslichen Komplex zwischen Proteinen und Gerbstoffen entstehen zu lassen, bedarf es einer Mindestanzahl an reagierenden Hydroxygruppen. Da Gerbstoffmoleküle recht groß sind, stellt dies in der Regel kein Problem dar. Vielmehr kommt es zu Problemen, wenn die Moleküle zu groß sind, da ihre Wasserlöslichkeit mit steigender Größe stetig abnimmt. Außerdem gelten Gerbstoffe nicht als die stabilste Gruppe. Sie oxidieren leicht oder reagieren miteinander, was ihre gewünschte Wirkung gegenüber Proteinen vermindert.
Leider schlecht bioverfügbar Auch die Bioverfügbarkeit stellt ein Problem dar. Gerbstoffe reagieren mit den erstbesten Proteinen und können danach nicht mehr in der benötigten Form aufgenommen werden. Somit beschränkt sich ihre Wirkung therapeutisch gesehen vorrangig auf eine lokale Anwendung. Dies ist sehr schade, da die Möglichkeiten in vitro schier endlos erscheinen: Im Raum stehen Möglichkeiten in der Tumortherapie, auch ein antiviraler Einsatz wird diskutiert. Bestimmte Vertreter verhindern die Adsorption von Viren an die Wirtszelle oder hemmen sogar bestimmte virale Enzyme. Auch die hohe antioxidative und radikalfangende Wirkung von Gerbstoffen könnte an der richtigen Stelle Therapieerfolge sichern.
Wichtige Vertreter
+ Gallotannine aus dem ostasiatischen Gallen-Sumach und der Aleppo-Eiche
+ Gallotannine aus der Hamamelisrinde
+ Catechingerbstoffe aus Hamamelisblättern
+ Eichenrinde enthält je nach Erntezeitpunkt verschiedene Mengen der Gerbstoffgruppen.
Einteilung Gerbstoffe werden aufgrund ihrer chemischen Struktur in mehrere Klassen unterteilt, von denen wir hier nur die zwei bedeutendsten betrachten. Die wichtigste therapeutisch eingesetzte Gruppe bilden die Gallotannine. Diese hydrolysierbaren Gerbstoffe bestehen aus einem Ester der Gallussäure und ihren Derivaten sowie einem Zucker als Alkoholkomponente des Esters, meist Glucose. Manche Pflanzen enthalten auch Gallotannine, bei denen mehr als nur eine Säurekomponente an den Zucker verknüpft ist. So sind in Gallotanninen des Gallen-Sumach bis zu acht Gallussäuren an ein Molekül Glucose geknüpft.
Die zweite Gruppe der Gerbstoffe bilden die Catechine. Diese nichthydrolysierbaren oder kondensierten Gerbstoffe sind Abkömmlinge der Flavonoide. Catechine sind meist sehr große Molekülen, die wie oben erwähnt kaum noch therapeutischen Nutzen haben. Nur die kleineren Vertreter dieser Gruppe weisen einen adstringierenden Effekt auf, der aber insgesamt schwächer ausfällt als der Effekt der Gallotannine.
Eingedampft
+ Gerbstoffe bilden unspezifisch mit den Proteinen der obersten Schleimhautschicht wasserunlösliche Komplexe. So dichten sie das Gewebe oberflächlich ab und wirken reizmildernd, entzündungs- und sekretionshemmend.
+ Gallotannine weisen eine größere adstringierende Wirkung auf als Catechine. Bei Durchfall werden Tannin-Eiweiß-Komplexe eingesetzt, die sich erst im alkalischen Milieu des Darms lösen und dort Fällungsmembranen bilden, die die Darmmotilität hemmen.
Nutzen auf Haut und Schleimhaut Wie erwähnt reagieren Gerbstoffe unspezifisch mit den ersten Proteinen, auf die sie treffen. Kommen sie lokal auf Wunden oder Schleimhäuten zum Einsatz, besteht kein Problem; nässende und juckende Hautleiden bilden ein Haupteinsatzgebiet. Als 0,5-prozentige Spülung oder 5-prozentige Salbe werden sie direkt aufgetragen. Es entsteht eine Koagulationsmembran, die das darunterliegende Gewebe schützt. Diese Wirkung wird als adstringierend bezeichnet. Die Membran sorgt dafür, dass äußere Reize das Gewebe nicht weiter schädigen können, die Entzündung geht zurück.
Schwieriger gestaltet sich der Einsatz bei Reizungen oder Entzündungen im Darm, die zu Durchfall führen. Hier findet sich der Wirkmechanismus wieder, für den Pflanzen ihre Gerbstoffe ursprünglich produzieren: als Fraßschutz. Denn sobald Gerbstoffe auf die Magen-Darm-Schleimhaut treffen, reagieren Sie mit den Proteinen und bilden eine Fällungsmembran. Diese lässt den Darm weniger auf motilitätsauslösende Reize ansprechen. Es kommt zu Verstopfung, Völlegefühl und Magenreizung.
Dieser antinutritive Effekt sorgt dafür, dass sich der Fraßfeind beim nächsten Mal eine andere Mahlzeit besorgt. Was in der Natur zum Schutz der Pflanze dient, wird als therapeutische Maßnahme zweckentfremdet. Die verdauungshemmende, stopfende und adstringierende Wirkung hilft bei Durchfallerkrankungen. Um die Magenreizung zu umgehen, werden Gallotannine um eine Hühnereiweißkomponente ergänzt. Der Komplex löst sich erst im alkalischen Milieu des Darms, wo die Gallotannine wirken können ohne den Magen zu reizen.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2022 ab Seite 70.
Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde