Ein Mann und eine Frau sitzen am Tisch und haben jeweils einen Laptop aufgeschlagen. Sie blicken grimmig. Obwohl sie ihre Gesichter auf ihre Laptops gerichtet haben, schauen sie aus den Augenwinkeln auf den jeweils anderen.© AntonioGuillem / iStock / Getty Images Plus
Zwei, die sich misstrauen: Die Krankenkassen fürchten, Apotheken könnten Sonderregelungen ausnutzen. Die Apotheken fürchten Retaxationen in der Übergangszeit ohne vereinfachte Austauschregeln.

Retax-Gefahr

HÄNGEPARTIE BEI DER ARZNEIMITTELVERSORGUNG

Scharlachwelle, Antibiotikamangel, Lieferengpässe – als wäre das alles nicht genug, müssen sich die Apotheker und PTA in Deutschland seit Anfang April wieder streng an die Arzneimittel-Lieferverträge halten, sonst drohen teure Retaxationen. Oder doch nicht? In den Apotheken herrscht Verunsicherung.

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Seit Ostersamstag sind die erweiterten Austauschregeln, die während der Pandemie die Arzneimittelversorgung einfacher gemacht haben, außer Kraft. Eine Anschlussregelung lässt auf sich warten. Das Bundesgesundheitsministerium versucht zu vermitteln, doch nicht alle Krankenkassen sichern ihre Unterstützung zu.

Für die rund 18 000 öffentlichen Apotheken in Deutschland ist die rechtliche Lage unsicher, denn das Gesetz, das die Verlängerung der Pandemie-Regelungen festschreiben soll, verzögert sich. Zwar hat der Entwurf fristgerecht den Bundesrat passiert, allerdings tritt in Deutschland ein Gesetz erst in Kraft, wenn es im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde. Genau das ist jetzt das Problem: Diese Veröffentlichung verzögert sich aus unbekannten Gründen.

Kein Verlass auf Retax-Verzicht

Die zeitliche Verzögerung bedeutet für die Apotheken die Rückkehr zu den strengen Vorgaben der Rabattverträge und Preisanker, wenn sie keine Rückforderungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) fürchten wollen. Doch in der Praxis fehlen weiterhin viele wichtige Medikamente; Rabattarzneimittel sind oftmals nicht zu bekommen.

Rund sechs Tage nach dem Auslaufen der Pandemie-Regelungen bat das Bundesgesundheitsministerium die GKV-Spitzenverbände in einer Pressemitteilung darum, von Retaxationen abzusehen. Diese Reaktion erfolgte nach intensiven Gesprächen des Deutschen Apothekerverbandes DAV mit dem Ministerium.

DAK, Barmer und die Techniker Krankenkasse erklärten auf Nachfrage des Nachrichtenportals apotheke adhoc, den Willen des Gesetzgebers zu respektieren und keine Retaxationen durchzuführen. Ebenfalls auf Nachfrage gab der GKV-Spitzenverband bekannt, die Entscheidung liege bei den einzelnen Kassen. Man habe aufgrund des Schreibens des Bundesgesundheitsministeriums „auf allen Ebenen informiert“. Auch die AOK Bayern geht von einer baldigen Veröffentlichung des Gesetzes aus und wird bis dahin „die Prüfungen aussetzen“. Es bleibt also dabei: eine allgemeingültige Regelung fehlt.

Kassen fürchten Missbrauch

Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg, Matthias Mohrmann, spricht sich deutlich gegen eine Verlängerung der Regeln aus. Seiner Meinung nach sei zu beobachten, dass die Regeln weitaus öfter genutzt würden als bestehende oder gemeldete Engpässe erwarten ließen. Das führe zu vermehrter Abgabe teurerer Arzneimittel- und das belaste die Solidargemeinschaft.

Die Lockerungen sind ihm zufolge „nicht geeignet, den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen in der Medikamentenversorgung zu begegnen“. Mohrmann fordert die Bundesregierung auf, klare Regeln zu schaffen, um künftigen Lieferengpässen vorzubeugen.

Mehr Aufwand in Apotheken und Praxen

In der aktuellen Situation, die in deutschen Apotheken herrscht, fehlen nun nicht nur Arzneimittel. Zusätzlich dürfte es in vielen Situationen nötig werden, Rezeptänderungen durch die ohnehin überlasteten Arztpraxen anzufordern. Das bedeutet, bis das neue Gesetz gilt: noch mehr Aufwand für die Apotheken und Ärzte und weiter Verunsicherung und Frust bei den Kunden und Patienten. Eine einheitliche, schnelle Lösung für die konkreten Probleme ist nicht absehbar.

Quellen:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/kassen-wollen-von-retaxationen-absehen-139608/
https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/politik/dav-austausch-retax-ausgeschlossen/
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2023/04/03/aok-rheinland-hamburg-gegen-dauerhaft-erweiterte-austauschregeln

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