Winterdepression in Skandinavien
RAUS AUS DEM WINTERSCHLAF
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Der kürzeste Tag des Jahres ist auf der Nordhalbkugel der 21. Dezember. In Stockholm, Schwedens Hauptstadt, zeigte sich dieses Jahr die Sonne von 8.43 Uhr bis 14.48 Uhr. Bewegt man sich weiter in den Norden, sind die Lichtstunden noch weniger. Der Grund dafür ist die Nähe zum nördlichen Polarkreis, der unter anderem durch Norwegen, Schweden und Finnland verläuft. Nur am Äquator ist die Dauer von Tag und Nacht über das ganze Jahr gleich. Je weiter man sich entfernt, desto größer werden die Unterschiede.
Oberhalb des Polarkreises gibt es deshalb Wintertage, an denen sich die Sonne gar nicht blicken lässt. Im Gegenzug geht sie im Sommer tagelang nicht unter. Genau genommen ist es also falsch zu sagen, dass es in Schweden dunkler ist als in Deutschland. Die Gesamtanzahl der Lichtstunden über das ganze Jahr ist überall auf der Welt gleich. Allerdings wird ein Großteil der Helligkeit im Sommer verschlafen. Menschen, die in Skandinavien leben, bekommen also tatsächlich insgesamt weniger Licht ab als Menschen, die weiter südlich wohnen.
Schlafen und essen Der Lichtmangel im Winter schlägt vielen Menschen nicht nur in Skandinavien, sondern auch in Deutschland und anderswo aufs Gemüt. Viele ziehen sich zurück. Auch die Anfälligkeit für depressive Erkrankungen erhöht sich bei einigen Menschen. Die meisten wetter- und saisonal abhängigen Stimmungsschwankungen sind nur von kurzer Dauer und nicht behandlungsbedürftig.
Wenn das Stimmungstief aber über einen längeren Zeitraum, etwa zwei Wochen am Stück, anhält, kann es sich um eine saisonal abhängige Depression SAD (= Seasonal Affective Disorder) handeln. Bei dieser Art der Depression wird auch von einer „Winterdepression“ gesprochen, da sie ausschließlich und wiederholt zu dieser bestimmten Jahreszeit auftritt. Neben typischen Symptomen einer Depression, wie Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit, treten bei Menschen mit SAD oft Heißhungerattacken, Appetitsteigerung und Gewichtszunahme sowie Müdigkeit und ein erhöhtes Schlafbedürfnis auf.
Viel Melatonin, wenig Serotonin Das Hormon Melatonin spielt eine wichtige Rolle beim rein saisonalen Stimmungstief. Es wirkt als Neurotransmitter, also als Botenstoff zwischen Nervenzellen, und reguliert unseren Schlaf-Wach-Rhythmus. Als Schlafhormon wird es normalerweise nachts ausgeschüttet. In den Wintermonaten fehlt aber durch die andauernde geringe Lichteinwirkung die Unterdrückung der Ausschüttung.
Daher kann es dazu kommen, dass Melatonin auch tagsüber produziert und in einer hohen Konzentration vorhanden ist. Dies macht sich dann in Form von Müdigkeit und Antriebslosigkeit bemerkbar. Außerdem braucht der Körper für die Produktion von Melatonin die Aminosäure Tryptophan, die auch für die Bildung des „Glückshormons“ Serotonin benötigt wird. Wenn Tryptophan also vermehrt verbraucht wird, um Melatonin herzustellen, kann nur noch wenig Serotonin gebildet werden. Dies wirkt sich negativ auf das psychische Wohlbefinden aus.
Licht am Ende des Tunnels Zur Behandlung der Winterdepression werden zwei Therapien empfohlen: die Lichttherapie und hochdosiertes Vitamin D. Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass die Lichttherapie besonders bei saisonal bedingten Depressionen wirkt. Auch für zuhause gibt es spezielle Lampen, sogenannte Lichtduschen, die sogar vom Arzt verschrieben werden können. Den Patienten wird empfohlen, sich täglich für 30 bis 40 Minuten der Lichtdusche mit einer Beleuchtungsstärke von 2500 bis 10 000 Lux auszusetzen.
Die Behandlung dauert mehrere Tage bis zu einer Woche. Nach einer Woche erleben 60 Prozent der Patienten mit jahreszeitlich bedingter Depression eine Verbesserung ihres Befindens. Neuere Studien weisen darauf hin, dass das spezielle Licht über die Netzhaut des Auges und über den Sehnerv die Ausschüttung von Botenstoffen im Gehirn modifiziert. Dies verbessert die Stimmung. Erfahrene „Lampenanbeter“ beginnen oft bereits im Oktober mit einer prophylaktischen Lichttherapie und der Einnahme von Vitamin D.
Hyggeligkeit für zuhause Die meisten Skandinavier zeigen sich aber relativ unbeeindruckt von den dunklen Wintertagen und haben gelernt, das Beste daraus zu machen. Die Straßen sind oft gegen Nachmittag wie leergefegt, die meisten Leute machen es sich lieber in ihrem „hyggeligen“ Zuhause bequem. Der Begriff „Hygge“, der auch in Deutschland beliebt geworden ist – nicht zuletzt durch Ikea – kommt aus dem Norwegischen und Dänischen und heißt so viel wie gemütlich oder geborgen.
Die Skandinavier machen‘s also vor: Mit ein bisschen Gemütlichkeit zuhause, zum Beispiel durch Kerzen und Lichter, steigt auch die Stimmung. Abgesehen davon ist es besonders wichtig, das wenige Tageslicht mit Bewegung an der frischen Luft zu nutzen. Menschen, die im winterlichen Stimmungstief sind oder unter einer saisonalen Depression leiden, neigen dazu, lieber zuhause zu bleiben. Bewegung im Freien wirkt sich aber positiv auf den Serotonin-Spiegel aus. Selbst an grauen Tagen ohne Sonne sorgt das Tageslicht dafür, dass die Melatonin-Produktion etwas gebremst wird. Auch Sport und ein regelmäßiger Schlafrhythmus helfen dabei wieder in eine positivere Stimmung zu kommen. In diesem Sinne: Hej då Winterschlaf!
Diesen Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2022 ab Seite 56.
Leoni Bender, freie Journalistin