Berühmte Apotheker
VOM APOTHEKER ZUM PHYSIKER
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Ursprünglich stammte Johann Christian Poggendorff aus einer sehr vermögenden Familie. Sein Vater, Hinrich Ernst Poggendorf (1744 bis 1817) hatte in Hamburg den Beruf des Zuckersieders erlernt, ein damals florierendes Gewerbe. So schaffte er es zum vermögenden Zuckerfabrikbesitzer. Die zweite Ehefrau Johanna Maria Schreier (1758 bis 1816) gebar insgesamt acht Kinder, darunter am 29. Dezember 1796 Johann Christian. Der kleine Poggendorff besuchte nach der Elementarschule das Johanneum in Hamburg, bekam anschließend noch Unterricht an der Privatschule von Dr. Schöning und ab 1807 an der renommierten Erziehungsanstalt des Hofrats Fiedler in Schiffbek bei Hamburg, wo er Ostern 1812 seinen Abschluss machte.
Doch die politischen Zeiten waren unruhig, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurden eklatant: zunächst Kontinentalsperre 1806, dann französische Besatzung, schließlich Befreiungskriege. Am 15. Januar 1814 wurde sogar der Poggendorffsche Landsitz in Hamm vor den Toren Hamburgs ein Raub der Flammen. Johann Christian Poggendorffs Vater verlor sein mit großem Fleiß erworbenes Vermögen und starb drei Jahre nach dem Brand verbittert in Wandsbek bei Hamburg.
Verarmt zum Apothekerberuf Der 16-jährige Johann Christian Poggendorff musste – statt in die Fußstapfen seines Vaters zu treten – deshalb eine Apothekenlehre bei Christoph Hasse in Hamburg am Großen Neumarkt 92 absolvieren. Anscheinend stellte er sich jedoch sehr geschickt an, denn bereits ein Jahr vor normalem Lehrzeit-Ende absolvierte er die Gehilfenprüfung. Anschließend arbeitete er als Gehilfe in der Hasseschen Apotheke Hamburg weiter. 1818 verließ er jedoch Hamburg, um bei Apotheker Julius Spalkhafer in Itzehoe eine Gehilfenstelle anzutreten und sich in dessen durchaus umfangreicher Bibliothek durch intensives Selbststudium fortzubilden.
Da ihm nach dem Verlust des väterlichen Vermögens für eine eigene Apotheke allerdings das nötige Kapital fehlte und angestellter Gehilfe nicht sein Lebensziel war, entschloss Poggendorff sich – nicht zuletzt angeregt durch seinen ehemaligen Mitschüler Friedlieb Ferdinand Runge (1794 bis 1867), dem späteren Entdecker des Anilins – seine naturwissenschaftlichen Studien ab 1820 an der Universität Berlin fortzusetzen.
Karrierebeginn in Berlin Zunächst wohnte er bei seinem Freund Runge, der in Berlin noch Medizin studierte. Hoffmann von Fallersleben (1797 bis 1874) berichtet über die „Junggesellenwirtschaft“: „Die Stube war bei den allerlei chemischen Versuchen fürchterlich zugerichtet: auf dem Fußboden, an den Wänden, an den Fensterscheiben zeigten sich Spuren von allerlei Farben und schmutzigen Überresten. … Neben dem lebendigen unruhigen Runge beschäftigte sich sein stiller, bedächtiger Landsmann Poggendorff, früher auch Apotheker, meist mit Physik.“ Tatsächlich fand Poggendorff, der insbesondere Chemie und Physik belegte, in dem experimentellen Physiker Paul Erman (1764 bis 1851), einem Gegner der romantischen Naturphilosophie, einen Mentor, der seine Studien unterstützte.
1821 veröffentlichte Poggendorff seine erste Publikation über ein Strommessgerät in Lorenz Okens naturwissenschaftlicher Zeitschrift „Isis“. Dies war durchaus ein deutliches Anzeichen, dass sich Poggendorff selbst allmählich vom Apotheker immer mehr zum Physiker entwickelte. In der damaligen Zeit war dies eine Ausnahme, da wissenschaftlich ambitionierte Pharmazeuten sich im 18. und 19. Jahrhundert eher der Chemie oder Botanik zuwendeten. Viele Wissenschaftler, aber auch Verleger, erkannten schnell Poggendorffs Fähigkeiten.
Die Königliche Akademie der Wissenschaften bot ihm 1823 das Fach „Meteorologische Beobachtungen“ bei 200 Talern Salär und freier Wohnung an, was Poggendorff gerne annahm. Enge Freundschaften entwickelten sich zu den Berliner Professoren Eilhard Mitscherlich (1794 bis 1863) sowie Gustav Rose (1798 bis 1873).
Die „Annalen“ – sein Lebenswerk Größte Verdienste erwarb sich Poggendorff allerdings in seiner Funktion als Herausgeber und Redakteur. Nach dem Tod des Professors der Physik und Chemie Ludwig Wilhelm Gilbert (1769 bis 1824), übernahm der gerade 28-jährige aufstrebende Poggendorff die Redaktion der „Annalen der Physik“. Waren zuvor primär chemische Arbeiten abgedruckt worden (unter anderem auch Sertürners berühmte Morphium-Arbeit), so machte Poggendorff schnell deutlich, dass er die Zeitschrift inhaltlich ganz im Sinne des Utilitarismus öffnen wollte. Nicht nur Physik und Chemie, sondern das ganze weite Feld der Naturwissenschaften sollten bearbeitet werden, also auch die „nie genug zu berücksichtigende Mathematik“, aber auch „Meteorologie, Geographie, Geognosie, Mineralogie und Astronomie“, selbst „Künste und Gewerbe“ sollten aufgenommen werden.
Außerdem richtete er die Zeitschrift „Annalen der Physik und Chemie“, die bis zu seinem Tod 1877 zu seiner großen Lebensaufgabe werden sollte, nicht nur für den „schon gebildeten Mann“ sondern – ganz im Sinne der Aufklärung – auch für Laien/Dilettanten verständlicher aus. Poggendorffs Annalen wurden – nicht zuletzt durch seine akribisch ordentliche Arbeit, sein kühles und objektives Urteilsvermögen – schon bald zum führenden Wissenschaftsjournal in Europa. Insgesamt 160 Bände kamen unter Poggendorffs 53-jähriger Ägide heraus. 1830 erhielt Poggendorff den Professorentitel, 1831 heiratete er Charlotte Eleonore Kneser (1805 bis 1865), Cousine der Frau des Apothekers und Chemieprofessors Heinrich Rose (1795 bis 1864).
1834 promovierte ihn die Universität Berlin zum Dr. phil. h. c. und 1844 folgte der Dr. med. h. c. der Universität Königsberg. An der Berliner Universität hielt Poggendorff auch Vorlesungen zur allgemeinen Geschichte der neueren Physik und Chemie. Seine historischen Interessen mündeten zunächst in das Buch „Lebenslinien zur Geschichte der exakten Wissenschaften“, eine Zusammenstellung von 150 Wissenschaftlerbiographien und zugleich Vorstudie für ein größeres Werk: ein „Biographisch-literarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften“ (1856 bis 1863).
Eigene wissenschaftliche Leistung Poggendorff war auch selbst auf physikalisch-experimentellem Gebiet tätig. Nicht nur baute er schon 1820 das erste brauchbare Strommessgerät (Galvanometer, auch Multiplikator, Veröffentlichung in der „Isis“) und erfand 1826 zusammen mit Gauß die Spiegelablesung für dieses Messgerät. Er entwickelte 1841 auch die Poggendorffsche Kompensationsschaltung beziehungsweise Spannungs-Kompensation zur exakten Messung elektrischer Spannungen, Stromstärken und Widerständen. Poggendorf-Element (1842, eine heute nicht mehr gebräuchliche Sonderform der Nassbatterien) und Poggendorff-Täuschung (1850) sind weitere Stichworte seiner hauptsächlich ansonsten auf Magnetik und Elektrik ausgerichteten Hauptforschungsgebiete.
Daneben gilt Poggendorff als Mitbegründer der Physikalischen Chemie. Tatsächlich enthalten seine „Annalen“ einen „ansehnlichen“ Teil eigener Veröffentlichungen, von denen nicht wenige zu den bedeutsamsten ihrer Zeit zählen. Einen Ruf auf das Ordinariat für Physik an der Universität Gießen auf Betreiben Justus von Liebigs (1837) oder 1849 an die Universität Leipzig lehnte der nicht nach höheren Ämtern strebende Poggendorff jedoch ab. Ab 1876 litt Poggendorff unter qualvollen „nervösen Gesichtsschmerzen“, vermutlich Trigeminus-Neuralgien und verstarb letztlich am 24. Januar 1877. Sein Grab befindet sich auf dem St.-Marien- und St.-Nikolai-Friedhof I im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/18 ab Seite 98.
Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin