Frau sitzt auf Boden© tommaso79 / iStock / Getty Images

Psychologie in der Apotheke

PLÖTZLICH FUNKSTILLE

Ghosting zählt in der digitalen Gesellschaft zu den Phänomenen des 21. Jahrhunderts. Dabei werden Freunde, Partner oder Dating-Bekanntschaften von einer Person ohne Ankündigung aus ihrem Leben gekickt.

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Wie ein Geist verschwindet der Ghoster aus unserem Leben – ohne Erklärung und ohne Abschied wird der Kontakt plötzlich abgebrochen. Jegliche Nachrichten werden ignoriert und man hat im Grunde keine Chance mehr, den Menschen zu erreichen. Er hat auf stumm geschaltet und ist wie vom Erdboden verschluckt. In der Regel blockiert die Person den unerwünschten Kontakt in den sozialen Medien, nimmt weder Anrufe an noch beantwortet er Nachrichten. Für den Zurückgelassenen bleiben viele Fragen offen. Viele Dates, Beziehungen und Freundschaften enden heutzutage auf diese Weise, indem es ohne Ankündigung zu einem vollständigen Kontakt- und Kommunikationsabbruch kommt.

Das Verschwinden ist jederzeit möglich Das Ghosting kann noch vor dem ersten Date stattfinden, wenn eine der beteiligten Personen das Interesse an einem Treffen verliert. Auch nach dem ersten Date, nach dem ersten Geschlechtsverkehr, in einer Beziehung oder sogar in (monate- und jahrelangen) Bekanntschaften und Freundschaften kommt das Phänomen vor.

Tinder, Parship & Co. Die Abwahl von Personen gehört in den Dating-Portalen der digitalen Welt mit zum Alltagsgeschäft: Häufig gibt es einen Button, mit dem man das Gegenüber rasch wieder loswird. Mit einem Mausklick oder mit einem Wisch in der Dating-App ist man den potenziellen Partner rasch wieder los und für diesen auch nicht mehr erreichbar.

Häufiges Phänomen Bereits 2013 gaben in einer US-Online-Umfrage 13 Prozent der Teilnehmer an, mit Ghosting konfrontiert worden zu sein. Eine Umfrage von Statista aus dem Jahr 2018 legt nahe, dass immerhin 19,7 Prozent der Befragten schon mit Ghosting in Berührung gekommen sind. Laut einer Befragung der Dating-Plattform „ElitePartner“ haben bereits 36 Prozent der Frauen zwischen 29 und 36 Jahren und 19 Prozent der Männer schon einmal jemanden geghostet. Offiziell gibt es den Begriff „Ghosting“ seit 2015. Allerdings fällt es heutzutage eher auf, da die meisten Menschen durch die Nutzung des Smartphones permanent gut erreichbar sind. Außerdem geht die digitale Vernetzung soweit, dass man beispielsweise sieht, ob jemand online ist und die eigenen Nachrichten bewusst nicht liest. Dies war in damaligen Zeiten, als noch Briefe geschrieben wurden, nicht möglich.

Wegrennen ist leicht Ghosting stellt für den Ausführenden eine einfache Methode dar, den Kontakt zu einem anderen Menschen zu kappen. Grundsätzlich bedienen sich Personen, deren Reife- und Kommunikationsfähigkeit nicht gut ausgeprägt sind, dieser Maßnahme. Durch das Ghosting finden sie einen Weg, sich leicht, schnell und schmerzlos aus der Affäre zu ziehen, schließlich werden als schwierig empfundene Konfliktsituationen, Streitgespräche und Auseinandersetzungen vermieden. Häufig zeigt sich bereits in der Freundschaft oder Beziehung, dass sich Konfliktgespräche mit dem Partner schwierig gestalten.

Übrigens ist es nicht nur die junge Generation, die vom Ghosting betroffen ist – es kommt in allen Altersstufen und bei beiden Geschlechtern gleichermaßen vor. Ghoster kennzeichnen sich dadurch, dass sie konfliktscheu sind oder Angst vor Nähe haben. Oft schweigen sie, weil sie Angst vor Auseinandersetzungen haben, die beispielsweise beim Beenden einer Beziehung entstehen würden. Andere Charaktere möchten durch ihr Schweigen ihr Gegenüber strafen oder manipulieren, ein Verhaltensmuster, das unter anderem bei narzisstischen Persönlichkeiten vorkommt.

Was macht das Ghosting mit den Geghosteten? Betroffene empfinden das heimliche Verschwinden einer Person aus ihrem Leben oft als kränkend. Die Grundbedürfnisse nach Bindung und Orientierung werden durch das wortlose Verlassen zerstört. Der Täter signalisiert dem Ghosting-Opfer durch seine Ignoranz: „Dich gibt es für mich nicht und ich bin nie da gewesen.“ Häufig leiden Ghosting-Opfer nicht nur unter dem Trennungsschmerz, sondern quälen sich auch mit Selbstzweifeln. Es bleiben tiefe seelische Verletzungen, die Angst, neue Beziehungen einzugehen, oder Hemmungen bei der Partnersuche.

Ghosting-Opfer sollten sich jedoch bewusstmachen, dass das Problem nicht bei ihnen liegt, sondern dass das Verhalten des Ghosters unreif ist. Manchmal tut es gut, selbst aktiv zu werden, Kontakt aufzunehmen und den Klärungsbedarf zu signalisieren. Wird der Versuch nicht erwidert, sollten Geghostete jedoch loslassen und optimistisch in die Zukunft schauen. Hinterherlaufen macht dann keinen Sinn. Es ist in dieser Situation hilfreich, nach Vorteilen der vorzeitigen Trennung zu suchen, denn offensichtlich hat etwas nicht gestimmt. Auf einen Partner, der Probleme nicht anspricht, sondern sich stattdessen aus dem Staub macht, sollte man besser verzichten.

Posttraumatische Verbitterungsstörung Der Berliner Neurologe und Psychiater Michael Linden spricht unter anderem im Zusammenhang mit dem Ghosting von einem neuen Krankheitsbild und zwar von der Posttraumatischen Verbitterungsstörung. Laut Linden handelt es sich hierbei um eine reaktive psychische Störung infolge des Erlebens von Ungerechtigkeit, Herabwürdigung oder von einem Vertrauensbruch, gekennzeichnet durch nagende Verbitterungsgefühle, Aggressionsfantasien, schlechte Stimmung, Rückzug aus sozialen Beziehungen sowie die Einengung des eigenen Lebens.

Geister gibt es überall Das Ghosting hat bereits weitere Lebensbereiche erreicht und spielt sich nicht nur in Beziehungen und Freundschaften ab: Häufig erhalten Bewerber von potenziellen Arbeitgebern kein Feedback auf ihre Bewerbungen. Umgekehrt gibt es auch Arbeitnehmer, die plötzlich von der Bildschirmfläche verschwinden und weder bei der Arbeit erscheinen noch erreichbar sind. Auch Psychotherapeuten berichten von dem Phänomen, dass Patienten plötzlich abtauchen und weder zu Terminen erscheinen noch erreichbar sind.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 12/2021 ab Seite 68.

Martina Görz, PTA, Fachjournalistin, M.Sc. Psychologie

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