Therapietiere
PFUI SPINNE?
Seite 1/1 3 Minuten
Mach das weg! Igitt! gilt noch als harmlose Reaktion bei der Begegnung mit einer Spinne. Viele Menschen empfinden beim Anblick des Achtbeiners zumindest einen Anflug von Schauder und Ekel. Personen mit ausgeprägter Furcht vor den Krabblern (fünf Prozent der Frauen und ein Prozent der Männer) reagieren sogar mit Panik oder mit Todesangst. Spinnenangst, auch als Arachnophobie bezeichnet, ist die unangemessene Angst beim Anblick oder beim Berühren einer Spinne.
Oft reicht es bereits, wenn sich Betroffene nur vorstellen, einer Spinne zu begegnen, um das Gruseln auszulösen. Patienten ekeln sich nicht nur vor den Krabbeltieren, sondern sie verfallen geradezu in Panik, was sich durch Herzrasen, Atemnot und in starker Unruhe äußern kann. Spinnenphobiker riegeln alles dicht ab und verbarrikadieren sich in ihrem Haus, um die Tiere bloß fernzuhalten. Vor dem Gang in den Keller oder in die Garage, vor Ausflügen aufs Land sowie vor Waldspaziergängen graust es ihnen regelrecht.
Verschiedene Erklärungsansätze Doch warum haben Menschen in Deutschland Angst vor Spinnen, obwohl sie hierzulande keine echte Gefahr darstellen? Erstens: Kinder können sich die Furcht vor den Krabbeltieren bei ihren Eltern abgucken (Modelllernen). Im Umkehrschluss können Mutter und Vater ihren Kindern einen normalen Umgang mit Spinnen vorleben, indem sie die Tiere beispielsweise mit einem Glas einfangen und nach draußen setzen.
Zweitens geht der evolutionsbiologische Ansatz davon aus, dass die Vorfahren der Menschen mit gefährlichen Spinnen in Kontakt kamen und die Phobie sich aus diesen Erfahrungswerten entwickelt hat. Ein weitere, dritte Theorie besagt, dass die Art und Weise, wie die Achtbeiner sich fortbewegen, gegen die menschliche Natur spricht und den Zweibeinern deshalb Angst macht: Die Tiere bewegen sich schnell und unvorhersehbar und können auf den menschlichen Körper klettern – für Spinnenphobiker ein Albtraum. Je weiter ein Tier vom menschlichen Erscheinungsbild abweicht, desto stärker, häufiger und weiter verbreitet ist die Angst.
Kategorisierung Laut ICD-10, dem Klassifikationssystem der WHO (Weltgesundheitsorganisation), werden unter Angststörungen die Panikstörungen, die Agoraphobie, soziale und spezifische Phobien sowie die generalisierte Angststörung zusammengefasst. Den Störungen ist gemeinsam, dass sie mit einer Angstreaktion, die dem Auslöser unangemessen ist, einhergehen. Beeinträchtigt die psychische Störung die Lebensqualität, sollten Betroffene die Arachnophobie behandeln. Im Rahmen der Konfrontationstherapie, die zu den Verhaltenstherapien gehört, wird der Patient dem Angstobjekt, also einer Therapiespinne, direkt ausgesetzt.
Die Therapeuten bedienen sich lebendiger Hausspinnen, Weberknechten und auch Vogelspinnen. In ganz seltenen, extremen Fällen wird zuvor mit Bildern oder mit Kuscheltierspinnen gearbeitet. Die behandelnden Psychologen müssen zunächst verschiedene Therapiespinnen in unterschiedlichen Größen sammeln, mit denen die Patienten konfrontiert werden. Im Rahmen der Konfrontation werden Betroffene zunächst aus der Distanz an den Achtbeiner herangeführt, später betrachten sie die Tiere aus der Nähe. Sie können versuchen, die Krabbler mit einem Glas einzufangen, sie mit oder ohne Hilfsmittel anzutippen oder die Spinne über die Hand krabbeln zu lassen.
Dabei ist es wichtig, die aufkommenden Ängste auszuhalten, die Angstsituation also zu durchleben, um im Anschluss feststellen zu können, dass es eigentlich doch gar nicht so schlimm war. Doch Vorsicht: Ein Ausweichen aus der Situation kann die Phobie noch verstärken. Ist die Furcht überwunden, trauen sich ehemalige Spinnenphobiker oftmals sogar, die Tiere (bis hin zu Vogelspinnen) zu streicheln oder halten sie sogar als Haustiere. Da es häufig sehr aufwändig ist, Spinnen zu fangen, sollten Spinnenphobien auch virtuell, etwa mit einer Datenbrille, welche die Situationen real darstellt, zu behandeln sein, sodass die Suche nach lebenden Objekten entfällt.
Achtbeinige Netzbauer Wie viele andere Wesen auf der Welt haben auch sie einen Nutzen und zwar vernichten sie Insekten wie Mücken oder Käfer – ohne die fleißigen Spinnen würde die Zahl der Insekten auf der Welt überhand nehmen. In Deutschland gibt es lediglich drei Spinnenarten, die den Menschen überhaupt Schaden zufügen könnten: Die giftigste in Deutschland lebende Spinne ist der Dornfinger. Mit ihrem Giftbiss durchdringt er die menschliche Haut und ruft Symptome wie Schwellungen, Kopfschmerzen, Übelkeit oder Fieber hervor, die nach wenigen Tagen wieder abklingen.
Die Wassersspinne lebt in Tümpeln oder vergleichbaren Gewässern und kommt nur selten mit dem Menschen in Berührung. Langt sie zu, ist die Verletzung mit einem Bienenstich vergleichbar. Die Kreuzspinne kann ebenfalls zubeißen, jedoch ist das Tier normalerweise zu klein, um die Haut zu durchdringen. In Deutschland sind Verletzungen durch die Krabbler allerdings recht unwahrscheinlich, sodass die Angst unnötig ist. In Australien beispielsweise, wo man auf hochgiftige Exemplare trifft, kann die Furcht vor den Tieren einen sinnvollen Schutz bieten.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/18 ab Seite 102.
Martina Görz, PTA und Fachjournalistin