Medizingeschichten | Psychoanalyse
6. MAI 1856: SIGMUND FREUD WIRD GEBOREN
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Sigmunds Vater war wohl das, was man heute einen „Womanizer“ nennt. Er heiratete in dritter Ehe die bildschöne Amalia Nathanson, obwohl er als Wollhändler nicht gerade begütert war. Seine Frau gebar als erstes Sohn Sigmund Schlomo – und danach noch sieben weitere Kinder. Doch der Erstgeborene sollte der Lieblingssohn werden, der einzige mit eigenem Zimmer, ein Überflieger in der Schule, der seine Matura 1873 in Wien mit Auszeichnung ablegt.
Er studiert Medizin, erhält eine Arztstelle und befasst sich mit der pharmazeutischen Wirkung von Kokain, von dem er begeistert ist. Erst später wird dessen Suchtpotential entdeckt. Freud rudert kleinlaut zurück – doch zurück bleibt eine Studie, die von der lokalanästhetischen Wirkung des Kokain auf das Auge handelt, damals eine bahnbrechende Neuerung.
In die Zeit seiner ersten Anstellung fällt die Begegnung mit seinem Lebensthema: Während einer Studienreise nach Paris lernt er einen Arzt kennen, der „Hysterie“ als echte Krankheit wertet und die Hypnose als Heilungsmöglichkeit. Und obwohl Freud sich schnell von der Hypnose abwendet, legt sie in ihm doch den Grundgedanken, dass die Psyche des Menschen mehrere Ebenen haben muss. Er verwendet erstmals den Ausdruck des „Unbewussten“, was später in der weltberühmten Veröffentlichung über das „Es, Ich und Über-Ich“ führen soll. Freud postuliert darin das „Es“ als Sitz der Triebe, Bedürfnisse und Affekte, das „Ich“ als Sitz der Vernunft und selbstkritischen Denkens, das nur reagiert, und schließlich das „Über-Ich“, in dem Gebote, Verbote und moralische Wertvorstellungen verankert sind. Sein Denkmodell vom Bewussten und Unbewussten wirft für ihn die Frage auf, ob der Mensch überhaupt noch „Herr im eigenen Haus“ ist.
Schnell erlangt er als Psychiater Berühmtheit. In der Wiener Berggasse 19 geben sich die Patienten die Klinke in die Hand. Freud lässt sich von ihren Träumen, ihren Leiden, ihren Assoziationen berichten, von ihrer Kindheit und ihren Ängsten. So etwas gab es damals nicht. Er entwickelt so manche streitbare Theorie: So sieht Sigmund Freud die Masturbation als Ursache neurotischer Erkrankungen, bezeichnet sie als „Ursucht“, an deren Stelle später erwachsenentypische Süchte wie das Rauchen träten. Im „Ödipuskomplex“ sieht er frühkindliches Begehren des kleinen Jungen der Mutter gegenüber, bei gleichzeitigem Todeswunsch dem Vater gegenüber.
Apropos Rauchen: Freud ist zeitlebens dem Nikotin verfallen und auch, nachdem bei ihm ein Oberkieferkarzinom diagnostiziert wird und ein Teil seines Kiefers entfernt werden muss, lässt er nicht von seiner Sucht, an der er schließlich auch stirbt. In seinen letzten Lebensjahren beschert ihm nur seine Tochter Anna eine große Freude (die seine Nachfolgerin werden sollte) – und sein Hund Jofie, dem vielleicht ersten Therapiebegleithund der Welt. Die Hündin nimmt neue Patienten stets mit ihrem Herrn zusammen in Empfang. Knurrt sie und verzieht sich unter den Schreibtisch, weiß Freud Bescheid: „Wen Jofie nicht mag, mit dem stimmt etwas nicht.“ Andererseits gesellt sich die ansonsten nicht gerade schmusige Hündin neben Patienten, die sehr aufgewühlt sind; diese dürfen sie dann streicheln. Nach exakt 50 Minuten ging der Chow-Chow zur Tür: Jofie wusste, wann eine Therapiestunde zu Ende war.