Frau mit grauen Haaren.© Zero Creatives / iStock / Getty Images

Mythen im Check

MACHT STRESS GRAUE HAARE?

Die ersten weißen Haare im Haaransatz finden die meisten mit Mitte 30. Bis zur melierten Mähne und dem letztlich schlohweißen Schopf vergehen dann noch einmal Jahre. Doch manche Menschen ergrauen scheinbar plötzlich – warum?

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Marie-Antoinette ergraute angeblich in der Nacht vor ihrer Hinrichtung auf einen Schlag, bei Karl Marx wich die Farbe wohl aus seinem Schopf, als sein Sohn starb, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier soll seine schlohweiße Frisur der Angst vor einer Augenoperation verdanken. Ist das möglich; können negative Emotionen wie Trauer, Angst oder Stress den Haaren urplötzlich ihre Farbe rauben?

Der Mythos Grau Unsere Haare sind im Prinzip transparente Röhren. Ihre Farbe erhalten sie von Pigmenten wie Melanin, die in den Kopfhautzellen an der Haarwurzel gebildet und dann ins Haar eingelagert werden. Irgendwann ist der Vorrat an Pigmentstammzellen jedoch erschöpft. Statt Melanin lagern sich nur noch Luftbläschen ins Haar ein, die das Licht brechen und das Haar weiß aussehen lassen. Graue Haare gibt es also gar nicht. Das Haar ist entweder mit Pigmenten befüllt oder nicht, erst die Mischung dunkler und weißer Haare erscheint grau.

Dabei verlieren die Haare, die die Haarwurzel bereits verlassen haben, ihr Melanin nicht. Nur der neue Teil des Haares, der in der Kopfhaut nachgebildet wird, wächst weiß nach. Dass über Nacht der ganze Schopf erbleicht, auch in den Längen und Spitzen, ist also Quatsch. Es gibt aber Faktoren, die der Frisur die Farbe schneller rauben. Zu diesen gehört auch Stress, und das gleich mit mehreren Mechanismen, wie Wissenschaftler herausfanden.

Die guten Nachrichten: Mitochondrien im Stress Für eine Studie des Vagelos College of Physicians and Surgeons der Columbia University entwickelte Ayelet Rosenberg eine neue Methode, die so hochdetaillierte Bilder von Haaren aufnimmt, dass man die Abschnitte erkennen kann, die eine Stunde Haarwachstum repräsentieren. Das Team glich diese Bilder mit Stresstagebüchern von Probanden ab und fand Parallelen zwischen Stressphasen und farblosen Haarabschnitten.

Außerdem schlossen sie, dass sich das Ergrauen auch umkehren lässt, denn bei einem Probanden lagerte das Haar wieder Pigmente ein, als er in den Urlaub fuhr. Studienleiter Martin Picard sieht diese Haaranalysemethode als mächtiges Werkzeug: wie die Jahresringe eines Baums, die Rückschlüsse auf die Vergangenheit ermöglichen. Als Ursache für das Ergrauen machte das Team stressbedingte Veränderungen in 300 Proteinen aus.

Sie errechneten, dass die auf die Mitochondrien zurückzuführen seien. Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle. Und bei Stress fahren diese Kraftwerke hoch. Das betrifft aber nicht nur den Energiestoffwechsel, sondern Mitochondrien haben auch ihr eigenes Spezial-Genom, das eigene Proteine codiert – eben jene, deren Veränderungen mit dem Haarausfall in Verbindung stehen.

Die nicht so guten Nachrichten Das Problem: Die überaktiven Mitochondrien sind nicht der einzige Faktor, der bei Stress Haare ergrauen lässt. Eine frühere Studie hat bereits gezeigt, dass auch übereifrige Sympathikusnerven ihr Übriges tun. Die innervieren nämlich die Melanozyten-Stammzellen und setzen dort bei Stress explosionsartig Noradrenalin frei. Daraufhin vermehren sich die Stammzellen zu rasch, differenzieren aus und wandern ab. Der Vorrat verbraucht sich also zu schnell. Dieser Vorgang ist, anders als bei den Mitochondrien, nicht reversibel. Doch es geht noch extremer: Von Stress können Haare auch ausfallen.

Die schlechten Nachrichten: Stresshormon Cortisol Forschende der Harvard University in Cambridge maßen bei Mäusen den Corticosteronlevel, also das Maus-Pendant zu Cortisol, und beobachteten gleichzeitig, in welcher Phase sich das Fell der Tiere befand. Denn wie menschliches Haar durchläuft auch Mäusefell die drei Stadien Wachstum, Degeneration und Ruhe. Während der Wachstumsphase sind Haarfollikel-Stammzellen aktiv, während der Degenerationsphase schrumpfen sie und bilden keine Haarsubstanz mehr, in der Ruhephase fallen sie aus.

Die Wissenschaftler stellten fest: Das Stresshormon bindet an die dermalen Papillen in der Kopfhaut. Dort hemmt es die Bildung des Proteins GAS6, welches in der Wachstumsphase eigentlich die Zellteilung in den Haarfollikel-Stammzellen anregen soll. Stress kann also die Wachstumsphase des Haars vorzeitig beenden und es so schneller ausfallen lassen. Und es geht noch weiter: Diesmal verabreichten Wissenschaftler der Duke University Mäusen einen adrenalinähnlichen Botenstoff, um Stress zu imitieren.

Dadurch bauten die Mäuse das Protein p53 ab, das die Erbsubstanz vor Schäden und so den Menschen vor Tumoren (und weiteren Effekten wie Haarausfall) schützt. Stress führt also nicht nur zu grauen Haaren, sondern auch zu Haarverlust und ist ganz generell gesundheitsschädlich.

Graue Haare in der Apotheke Wenn Sie Kundinnen oder Kunden haben, die sich darüber beklagen, plötzlich viele graue Haare zu entdecken und die sich mit dem Grauwerden nicht so recht anfreunden können, empfehlen Sie Methoden oder Phytopharmaka zur Stressreduktion – packen Sie das graue Haar quasi bei der Wurzel.

Denjenigen, die sich als Silberfuchs wohlfühlen, können Sie die passende Haarpflege empfehlen: Graue Haare sind oft dünner, trockener und empfindlicher als Haare mit Pigment. Dann hilft ein feuchtigkeitsspendendes Shampoo. Spezielle Grauhaar-Shampoos enthalten blaue Pigmente, die einen Gelbstich ausgleichen und für einen schönen Silberglanz sorgen. Haaröle glätten die raue Haaroberfläche und lassen die Frisur zusätzlich strahlen.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 05/2022 ab Seite 120.

Gesa Van Hecke, PTA/Redaktion

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