Wald© Dariusz Leszczynski / iStock / Getty Images

Waldbaden und Wiesenliegen

HÖR MAL!

„Was?“ „Ja, hör doch mal!“ „Ich hör nix.“ „Das gibt’s doch nicht! Hörst Du nicht die Bienen, die Vögel, den Wind?“ „Ach so, na klar. Und? Was soll ich da jetzt hören?“ „Na, was schon! Den Wald, die Wiese. Einfach Leben und Frieden.“ „Ist schon gut …!“

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Stimmt! Das ist gut! Viele von uns sind an die Annehmlichkeiten der Stadt gewöhnt. Die Infrastruktur für einen bequemen Tagesablauf morgens vor und abends nach dem Job ist perfekt, es gibt Schwimmbäder, Bars, Restaurants, der Arzt ist in erreichbarer Nähe, Kunst und Kultur können nach Herzenslust genossen werden. Wie wunderbar ist das! Und mittlerweile ist es ja auch so, dass zahlreiche Pflanzen, Insekten, Tier- und im Besonderen Vogelarten Kulturfolger sind, sprich, sie folgen dem Menschen, weil sie in seiner Nähe günstige Voraussetzungen für ihr Leben finden.

In den innerstädtischen Parks ist, was das Summen, Brummen und Zwitschern betrifft, oft mehr los als in vielen Feldern oder auf monokulturellen Äckern. Mittlerweile brüten auf zahlreichen Balkons in der Stadt Schwalben, und in den Blumenkästen piepen andere kleine, noch spärlich gefiederte Gesellen und warten auf ihr Futter. Erstaunlich, manches scheint sich im Lauf der Jahre umgekehrt zu haben, galt doch früher immer das Land als Ziel für Natur, Ruhe und Besinnung. Aber manches geht eben auch in der Stadt.

Ursprung und Sehnsüchte Wenn wir uns mal vor Augen führen, was der Mensch in seinem genetischen Urprogramm gespeichert hat, so kommen wir schnell an bestimmte Punkte. Dazu gehört das Meer, dazu gehören der Wald, die Weite einer Landschaft, und auch um die Berge kommen wir nicht umhin. Aus dem Meer stammen wir, die Wälder haben wir in grauer Vorzeit bewohnt, Gebirge haben wir überquert, um weniger Feinden ausgeliefert zu sein und um in anderen Gebieten neue Lebensräume zu finden, und Felder wandelten sich irgendwann von der gefahrvollen offenen Fläche in die Basis für unsere Sesshaftigkeit: Wir machten sie urbar. Sprich, irgendwie tragen die meisten von uns wohl noch diese Bilder, diese Schlüssel in sich.

Dabei spielt es keine Rolle, ob man aus einer eher städtisch geprägten Familienhistorie stammt oder ob die Ahnen von Ackerbau und Viehzucht lebten. Sicher, das ganz persönliche Erfahren der jeweiligen Umstände ab der Kindheit hat wesentlichen Anteil am Manifestieren bestimmter Vorlieben. Allerdings hätten es Traumstrände und Sehnsuchtsorte in den Bergen oder auf dem Land schwer, wenn nicht diese besagten Urbedürfnisse existierten.

Der Körper weiß, was ihm guttut Man muss nicht studiert haben und sich mit der Physiologie und dem Stoffwechsel des Körpers detailliert auskennen, um zu wissen, dass physische und psychische Beweglichkeit sehr stark davon abhängen, was wir unserem Körper zuführen und wie oft wir ihn in für ihn geeignete Umgebungen bringen. Vitamine, Spurenelemente, Proteine sind lebensnotwendige Bausteine für unser Wohlbefinden. Und je nachdem, was wir uns einverleiben, geht der Körper mit all seiner Kraft daran, sich sehr dezidiert diese Stoffe aus der Nahrung zu holen und so für seine und damit natürlich unsere Mobilisierung und Stärkung zu sorgen. Bewegung ist in so gut wie allen Lebenslagen ein bestens geeigneter „Treibstoff“ für unsere Zellen, da mit der Bewegung Körper und Geist sprichwörtlich beweglich gehalten werden. Wesentlich dafür ist die Luft, der Sauerstoff. Ohne ihn geht gar nichts.

Die Luft um uns herum – ein vielseitiger Stoff Unabhängig davon, dass für uns ein Leben ohne Luft nicht denkbar ist, so enthält sie auch ganz viele Informationen, die wir beim Einatmen in uns aufnehmen. Wem gefällt nicht der Geruch von Holz, von Moos, von Waldboden, von frisch gemähtem Gras? Erst recht im Sommer, wenn aufgrund der Wärme die Gerüche viel intensiver wahrgenommen werden können. Mir fallen dabei immer die Urlaube von früher mit meinen Eltern in Kroatien oder Griechenland ein, wo die Pinienwälder einen unverwechselbaren Duft ausströmten, der vom ununterbrochenen Gesang der Zikaden begleitet wurde.

Einfach herrlich und reine Sehnsucht!! Das geht auch in unseren Wäldern. Die Luft im Wald ist nun mal ein besonderer Stoff. Nadel- und Laubbäume verströmen ihre Düfte, Moose und Gräser tun das ihre. Und nirgends bekommen wir so viel Sauerstoff ab wie im Wald. Er ist der Sauerstoffproduzent Nummer eins. Dafür befreit er seine Umwelt von CO2. Hier lässt es sich so richtig tief durchatmen. Nachdem viele von uns einen Großteil ihrer Zeit innerhalb geschlossener Räume und dann oft auch noch mit Klimaanlagenluft verbringen, ist ein Wald- und Wiesenspaziergang eine regelrechte Kur für Körper und Geist.

Die Japaner mal wieder! Genau! Die Japaner sind auf die Idee mit dem „Waldbaden“ gekommen. Letztlich ist es nichts anderes, als im Wald spazieren zu gehen. Na ja, es kommt doch noch etwas hinzu: Bewusstsein und Achtsamkeit. Seit den 80ern in Japan schon eine anerkannte Heilmethode, wurde das Waldbaden bei uns zunächst belächelt, da es immer wieder mit Bildern von Menschen assoziiert wurde, die „einfach nur“ einen Baum umarmten. Allmählich hat sich aber schließlich doch die Erkenntnis durchgesetzt, dass da tatsächlich etwas mit und in uns passiert.

Lösen wir uns einmal von unserer Vorstellung, dass wir doch eigentlich nur Lebewesen umarmen, die uns auch zurück umarmen oder uns zumindest ein Kuschelgefühl vermitteln können, dann finden wir durchaus den Punkt, an dem wir merken, dass die Haptik der Rinde, die Stabilität des Stammes, die im Vergleich zu uns schiere Größe, der Geruch des Holzes sehr wohl eine Menge positiver Gefühle in uns auslösen. Vor allem wurde in japanischen Studien nachgewiesen, dass bereits ein Waldaufenthalt von zwei Stunden pro Woche sich sehr positiv auf unser Immunsystem auswirkt. Der Gehalt wichtiger Killer- und T-Zellen nahm binnen dieser Zeit um 40 bis 70 Prozent zu.

Wald und Wiese hören und riechen Als Kinder haben wir doch schon immer gerne geraten, welcher Vogel da gerade gezwitschert hat, ob da eine Hummel oder eine Biene um uns herum summte und ob der Schmetterling die Blüte, auf der er sich gerade niedergelassen hat, in Farbe sah oder doch nur olfaktorisch wahrgenommen hat. Das alles gibt es auch heute noch. Sicher, auf manche Düfte und Geräusche hoffen wir mittlerweile vergebens. Aber was ist das nach wie vor für ein unvergleichliches Erlebnis, sich mitten in eine Wiese zu legen, zu schnuppern und zu lauschen. Die Panik vor Zecken und sonstigen ungebetenen „Mitlauschern“ sollte nicht zu groß werden.

Ein paar Dinge gilt es zu beachten, dann kommt man vollkommen unbeschadet aus diesen Naturerlebnissen heraus. Man ist hinterher sogar viel reicher, angefüllter und beseelter. Darüber hinaus werden die Konzentration gefördert, Schlafstörungen gemildert, Bluthochdruck gesenkt, Atemprobleme (Vorsicht bei Lungenkrankheiten oder Heuschnupfen) gelindert, Stress abgebaut. Man muss sich nur darauf einlassen, gewohnte und sehr moderne Gedankenstrukturen für ein, zwei Stunden außen vor zu lassen. Und Smartphone und Konsorten sollten auf Flugmodus gestellt oder zu Hause gelassen werden.

Waldbaden und Wieseliegen sind nichts Albernes, Lächerliches oder irgendein Esokram. Nein, das Bedürfnis nach dem Kraftspendenden, nach dem Beruhigenden, nach dem Stimmungserhellenden steckt in uns allen, und Wald und Wiese sind die Urregionen, in denen schon unsere Vorfahren eben diese Facetten in Körper und Seele zum Strahlen bringen konnten. Und seien Sie sicher, das funktioniert heute wie damals. Tauchen Sie ein und nehmen Sie so oft wie möglich ein grünes, wunderbares und belebendes Bad – im Wald, im Park, in der Wiese. Sie werden sehen: Ihr Leben dankt es Ihnen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/2021 ab Seite 100.

Wolfram Glatzel, freier Journalist

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