Dehnungsübung.© Martinan / iStock / Getty Images

Mythen im Check

HILFT MAGNESIUM BEI KRÄMPFEN?

Die meisten Menschen hatten schon einmal einen Wadenkrampf. Sportler, Schwangere und Senioren sind besonders häufig betroffen. Warum genau sie, wie entsteht ein Krampf überhaupt – und was bringt Magnesium?

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Ein Wadenkrampf ist unangenehm bis schmerzhaft – tritt er beim Schwimmen auf, kann er sogar gefährlich sein. Der Wadenmuskel zieht sich dabei unwillkürlich zusammen und wird hart. Ein Krampf ist jedoch nicht muskulär bedingt, sondern neuronal – die Motoneuronen, die den Muskel ansteuern, feuern zu schnell zu viele Signale ab. Warum genau sie das tun, ist noch unklar, es scheint jedoch mit einem Ungleichgewicht im Elektrolythaushalt zusammenzuhängen.

Elektrolyte außer Balance Wenn an den Zellen nicht die optimale Teilchenkonzentration vorliegt, können sie nicht richtig arbeiten. Dieses Gleichgewicht scheint jedoch nicht auf einen Mangel an Elektrolyten wie Magnesium-Ionen zurückzugehen. Natrium- und Kalium-Ionen sind für das Membranpotenzial verantwortlich, der Konzentrationsunterschied dieser Ionen zwischen dem Inneren der Nervenzelle und ihrer Umgebung macht die Membran erst erregbar. Ändert sich dieses Konzentrationsgefälle, ändert sich auch die Erregbarkeit des Nervs.

Experimente an Neuronen in Lösung zeigen, dass sie erregbarer werden, wenn man die Kaliumkonzentration in der Lösung erhöht. Im lebenden Körper ist es allerdings weniger wahrscheinlich, dass zu viel Kalium vorliegt. Stattdessen kann die Ionenkonzentration auch steigen, wenn die Wasserkonzentration sinkt. Das erklärt auch Scott Garrison, Mediziner und Forscher in Kanada im Interview mit Spektrum: „Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen Menschen, die Krämpfe haben: Wassermangel. Wenn das Flüssigkeitsvolumen im Körper zu gering ist, kann das einen Krampf auslösen, unabhängig davon, ob man einen Mangel an Ionen hat oder nicht.“

Bei wem krampft‘s? Das erkläre auch, weshalb Menschen, die kaliumsparende und Thiazid-Diuretika einnehmen, häufiger unter Krämpfen leiden: Sie entwässern, ohne den Kaliumspiegel zu senken. Die häufigsten Verwender von Diuretika sind ältere Menschen. Und die erfüllen gleich mehrere Risikofaktoren für Krämpfe: Zum einen trinken sie oft zu wenig. Zum anderen beginnt man ab einem Alter von etwa 50, Motoneuronen zu verlieren. Die verbleibenden Nervenzellen bilden Fortsätze, mit denen sie versuchen, den Muskel zu erreichen, der sonst nicht mehr versorgt wäre.

Diese neuen, kleinen Auswüchse sind leichter erregbar. So berichten etwa 60 Prozent der Älteren über Muskelkrämpfe. Auch bei Schwangeren kommt es gehäuft zu Krämpfen, da sie einen erhöhten Mineralstoffbedarf haben. Und auch Sportler, die ihre Muskeln stark beanspruchen, können zu Krämpfen neigen. Besonders, wenn Muskeln in verkürzte Positionen gebracht und dann angespannt werden, kommt es zu Krämpfen. Zudem verliert der Körper beim Sport Flüssigkeit, was auch bei ihnen den Mineralstoffhaushalt durcheinanderbringen kann.

Praxistipps

+ Wärme entspannt verkrampfte Muskeln – zum Beispiel als warmer Wickel, als Wärmflasche oder als heißes Bad.
+ Am besten hilft es jedoch, den Muskel zu dehnen. Dabei ist es wichtig, den Muskel nicht nur anzuspannen, sondern tatsächlich in die Länge zu ziehen.
+ Bei regelmäßigen nächtlichen Wadenkrämpfen kann man auch vorbeugend abends einige Dehnübungen machen.
+ Oft hilft es auch, viel zu trinken – am besten etwas Isotonisches wie eine Elektrolytlösung.
+ Wenn ein Kunde gute Erfahrung mit Magnesium-Präparaten gemacht hat, empfehlen Sie ihm es weiterzunehmen.

Mythos Magnesium-Mangel Dass hinter Muskelkrämpfen immer ein Magnesium-Mangel steckt, ist also ein Irrglaube. Aber was sagen Studien, kann man mit Magnesium-Präparaten Wadenkrämpfen vorbeugen oder sie behandeln? Hier ist es schwierig, einzelne Studien herauszugreifen, da die untersuchten Präparate sich im anionischen Bestandteil des Magnesiumsalzes und damit in der Bioverfügbarkeit unterscheiden. Deshalb hat eine Cochrane-Analyse mehrere Studien zur Krampfprophylaxe mit Magnesium verglichen und bewertet.

In elf Studien bekamen die Probanden Magnesium oral, intravenös oder als intramuskuläre Injektion verabreicht. Die Behandlungsdauer lag zwischen 14 und 56 Behandlungstagen und das Präparat wurde entweder mit Placebo, mit keiner Behandlung oder mit einer anderen Krampf-Therapie verglichen – sehr unterschiedliche Methoden also. Fünf dieser Studien betrachteten gezielt Ältere, fünf Schwangere und eine Menschen mit Leberzirrhose. Zu Sportlern gab es keine aussagekräftigen Untersuchungen.

Die Ergebnisse sind ernüchternd: Die Studien zu Schwangeren waren nicht aussagekräftig genug. Zwar konnte keine Wirkung für Magnesium-Präparate gezeigt werden, hier sollte aber weiter geforscht werden, empfehlen die Autoren. Ebenso bei den Leberzirrhose-Patienten: Die Studien zu ihnen umfassten insgesamt nur 29 Teilnehmer, von denen einige gar keine Krämpfe hatten. Nur zu den älteren Menschen konnte die Analyse eine Aussage ableiten: Ihnen hilft Magnesium vermutlich nicht. Aus wissenschaftlicher Sicht müsste man also von Magnesium-Empfehlungen absehen.

Der Autor der Meta-Analyse schränkt jedoch ein: „Wenn Sie mir sagen, dass das Magnesium Ihnen hilft, wäre das Letzte, was ich Ihnen raten würde, es abzusetzen. Vielleicht täusche ich mich ja, und es bringt Ihnen tatsächlich etwas. Oder Sie glauben zumindest, dass es wirkt. Auch das kann hilfreich sein.“ Bei Schwangeren kommt hinzu, dass sie einen erhöhten Mineralstoffbedarf haben. Selbst, wenn Magnesium sie nicht vor Krämpfen schützt, ist es für sie dennoch sinnvoll, es zu ergänzen.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2022 ab Seite 68.

Gesa Van Hecke, PTA/Redaktion

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