Frau übergibt Einkaufskorb.© Daisy-Daisy / iStock / Getty Images

Psychologie

HELFEN ALS BESONDERE AUFGABE

Anderen zu helfen, ist nicht immer uneigennützig. Personen mit Helfersyndrom profitieren davon, indem sie durch ihre geleistete Unterstützung Anerkennung bekommen und ihr Ego stärken.

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Hilfsbereitschaft ist in der Gesellschaft ein gern gesehenes Verhalten und grundsätzlich ist es positiv, wenn Menschen ihren Mitmenschen helfen und sie im Zusammenleben unterstützen. Bei einer gesunden Hilfsbereitschaft sind die eigenen Bedürfnisse und die Hilfe für andere im Gleichgewicht, gleichzeitig benötigt der Hilfsempfänger die Unterstützung tatsächlich, weshalb sie sinnvoll und nützlich ist. Man unterscheidet zwei Arten der Hilfsbereitschaft und zwar die solidarische Hilfe, die sich am Hilfsempfänger orientiert. Hingegen ist die pathologische Hilfsbereitschaft auf die unbewussten psychologischen Bedürfnisse des Helfers ausgerichtet, das Motiv liegt demnach in der Bedürftigkeit des Hilfeanbieters.

Charakteristika des Helfersyndroms Typisch für Menschen mit Helfersyndrom ist, dass sie nicht warten, bis sie um Hilfe gebeten werden, sondern in der Regel ungefragt zur Tat schreiten. Dies ist nicht selten für beide Beteiligten anstrengend, also sowohl für den Helfenden als auch für den Empfänger der Hilfe. Oft wünscht der Hilfeempfänger die Hilfe nicht und fühlt sich mitunter bedrängt. In anderen Fällen leidet er unter Schuldgefühlen, da er sich in einer Abhängigkeit befindet und keine Eigeninitiative mehr ergreift. Betroffenen mit Helfersyndrom fällt es schwer, sich abzugrenzen und die Bitten anderer abzulehnen.

Häufig können sie schlecht „nein“ sagen und lassen sich nicht selten von anderen ausnutzen. Auch wenn das Gegenüber keine Dankbarkeit zeigt oder sie sich selbst ausgelaugt oder sogar ausgenutzt fühlen, schaffen Menschen mit Helfersyndrom es nicht, ihren Einsatz für andere zu reduzieren oder gar aufzugeben. Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer hat im Jahr 1977 das Helfersyndrom erstmals beschrieben.

Er bezog das Konzept insbesondere auf Personen, die sich in Berufen aufopfern und ihre Helferrolle nicht verlassen können. Laut Schmidbauer sind Betroffene nicht in der Lage, eigene Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen. Sie verstecken ihre eigene Schwäche und Hilfsbedürftigkeit hinter der „starken Fassade“. Der Wunsch zu helfen spielt auch bei der Berufswahl eine große Rolle.

Auslöser der Aufopferung Ursache des Helfersyndroms ist ein geringes Selbstwertgefühl. Betroffene helfen anderen, um sich selbst wertvoll zu fühlen und genießen es, wenn andere auf sie angewiesen sind. Sie befinden sich dann kurzfristig in der Rolle des Stärkeren, erfahren Bestätigung und kompensieren dadurch ihre eigenen Minderwertigkeitsgefühle. Häufig wählen Menschen mit einem Helfersyndrom Berufe wie Kranken- oder Altenpfleger, Psychologe, Lehrer oder Arzt, die quasi dazu prädestiniert sind, andere zu unterstützen und sich in der Rolle des Stärkeren zu befinden.

Auch in Partnerschaften suchen sich Betroffene nicht selten Personen, die Hilfe benötigen, wie etwa Menschen mit bestimmten Erkrankungen oder mit einer Behinderung. Die Partner machen sich häufig abhängig, da sie vermeintlich auf die Hilfe angewiesen sind. Oft opfern sich Betroffene so stark auf, dass sie selbst auf der Strecke bleiben und Gefahr laufen, an einem Burnout-Syndrom oder an Depressionen zu erkranken – schließlich ist es anstrengend, anderen permanent helfen zu wollen.

Das Helfen gleicht einer Droge, wovon immer mehr notwendig wird und es sukzessive zu einer Selbstzerstörung kommt. Dennoch bieten Personen mit Helfersyndrom ihre Hilfe weiterhin an, da sie die Erschöpfung zunächst als nicht so belastend empfinden wie das Gefühl, nutzlos zu sein. Sie ignorieren die eigene seelische und physische Gesundheit und orientieren sich stattdessen am Wohlergehen anderer.

Hilfsbereitschaft kann pathologische Züge annehmen, wenn sie sich an den Bedürfnissen des Helfers orientiert.

Burnout-Syndrom als mögliche Folge Der Begriff „Burn-out“ kommt aus dem Englischen und bedeutet wörtlich übersetzt „ausbrennen“ (to burn out). Das Syndrom ist definiert als „Zustand körperlicher, geistiger und emotionaler Erschöpfung“ und taucht immer wieder im Zusammenhang mit einem Helfersyndrom auf. Ein Burnout-Syndrom könnte beispielsweise durch Beziehungen zustande kommen, in denen eine Person einer anderen übermäßig stark hilft und sich quasi aufopfert. Problematisch ist, dass der Helfer permanent mit negativen Informationen der Hilfeempfänger konfrontiert wird und positive Rückmeldungen, nach denen er eigentlich strebt, ausbleiben.

Infolgedessen stellen sich bei Personen mit Helfersyndrom Aggressionen und Frustrationen ein, die in der Regel unterdrückt werden. Das Erschöpfungssyndrom kennzeichnet sich durch verschiedene Merkmale. Betroffene zeigen ein vermehrtes Engagement und den Zwang, sich zu beweisen. Eigene Bedürfnisse werden vernachlässigt, außerdem ergeben sich Probleme in sozialen Kontakten (etwa in Freundschaften oder Partnerschaften). Zudem haben sie das Gefühl, nicht genug Anerkennung zu erhalten und entwickeln (bei einem berufsbezogenen Burnout) einen inneren Widerstand zur Arbeit zu gehen.

Neben den Erschöpfungsanzeichen nimmt auch das Engagement (im Beruf oder für andere Menschen, wie Schüler, Klienten usw.) ab und Betroffene ziehen sich zurück. Sie leiden beispielsweise unter Gefühlen der Hoffnungslosigkeit oder unter psychosomatischen Beschwerden. Typisch sind auch Verhaltensänderungen wie Gleichgültigkeit, Verflachung des sozialen Lebens und ein Zurückziehen in die Einsamkeit. Ausgebrannte Menschen berichten ebenfalls über Gefühle der Entfremdung sowie einer inneren Leere. In einigen Fällen treten Panikattacken und Angstzustände auf und die Einstellung zum Leben ist negativ geprägt. Bei extremen Ausprägungen kommt es zu Depressionen und Suizidgedanken.

Was ist Menschen mit Helfersyndrom zu empfehlen? Betroffene sollten lernen, auch auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und sich etwas Gutes zu tun. Dazu eignen sich stressabbauende Maßnahmen wie Bewegung, Auszeiten oder Entspannungsmethoden. Die Voraussetzung, das Helfersyndrom zu überwinden, besteht darin, es zu erkennen und zu akzeptieren. Zudem ist es wichtig, dass Menschen mit Helfersyndrom erkennen, dass ihr Verhalten eigennützig ist und sie dadurch nach Anerkennung und Zuneigung streben, weil ein geringes Selbstwertgefühl dahintersteckt.

Sich die eigenen Defizite einzugestehen, fällt den meisten Personen nicht leicht. In einer Therapie können Betroffene lernen, wie sie ihr Selbstwertgefühl auf andere Weise stärken und sich wertvoll fühlen, ohne permanent ihre Mitmenschen zu unterstützen. Auch die Abgrenzung, also das Nein-Sagen, müssen Menschen mit Helfersyndrom trainieren, zum einen sollten sie „nein“ sagen können, wenn sie um Gefallen gebeten werden, zum anderen sollten sie auch zu sich selbst „nein“ sagen, etwa wenn sie den Impuls spüren, ihre Hilfe anzubieten. Sie können mit kleinen Übungsaufgaben beginnen, indem sie beispielsweise ein Gespräch, in dem jemand seine Sorgen schildert, schneller beenden als sie es bislang taten.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2022 ab Seite 50.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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