Frau erhält Bauchmassage© karelnoppe / iStock / Getty Images

Ayurveda

HEILSAME BERÜHRUNG

Berührung tut gut, stärkt und entspannt uns. In einer Zeit, in der Kontakt und Berührungen auf ein Minimum beschränkt sind, schätzen wir sie umso mehr. Die Marmatherapie im ureigenen Sinn ist Heilung mit den Händen. Was genau steckt dahinter?

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Marmatherapie ist eines der großen Heilgeheimnisse im Ayurveda. Dabei geht es um die Behandlung ganz bestimmter Vitalpunkte am Körper des Menschen. Nutzen können wir sie zum Beispiel zur Harmonisierung, Entgiftung, Vitalisierung oder Beruhigung. Bestimmte Punkte zu halten kann helfen Blockaden zu lösen oder die inneren Organe wieder anzuregen. Viele Alltagsleiden, wie zum Beispiel Kopfschmerzen oder Verdauungsbeschwerden, können somit gelindert werden. Um die Marmatherapie auszuführen, müssen wir keine bestimmten Voraussetzungen mitbringen. Diese Heilkraft der Hände schlummert in jedem von uns. Die subtile Energie, die aus unseren Handinnenflächen strömt, spüren die meisten bereits als Baby oder Kleinkind, wenn die Eltern die Hand auf den Kopf oder Bauch auflegen oder bei Schmerzen streicheln. Bewusst oder unbewusst halten wir uns manchmal selbst bestimmte Marmapunkte, weil wir intuitiv spüren, dass es uns guttut.

Ayurvedische Massage Im Ayurveda aktiviert schon eine normale ayurvedische Massage einige Marmapunkte. Dabei wird in harmonisch fließenden Bewegungen mit sanftem Druck und erwärmtem Öl gearbeitet. Durch Unterschiede im Druck und der Geschwindigkeit können wir aktivierend oder beruhigend einwirken. Die ayurvedische Massage zeichnet sich durch typische Massagetechniken und Abläufe aus, sie ist jedoch auch immer individuell an die derzeitige Situation und den Momentan-Zustand der Person angepasst. Manchmal benötigt ein bestimmter Bereich einfach mehr Aufmerksamkeit. Das kann man mit dem gezielten Halten von bestimmten Marmapunkten noch verstärken.

Knoten und Antennen Diese sogenannten Vitalpunkte befinden sich überall auf unserem Körper. Man kann sie sich wie eine Straßenkarte vorstellen: An manchen Stellen laufen viele Autobahnen zusammen und bilden einen Knotenpunkt. Ganz genauso verhält es sich in unserem Körper. Dort, wo viele Nervenbahnen oder feinstoffliche Bahnen, sogenannte Nadis, zusammen kommen und sich kreuzen, sitzen die sogenannten Marmas. Hier konzentriert sich die Energie.

Und wenn es genau hier, wie bei einem Verkehrsunfall, zu einem Stau kommt, sind auch wir in irgendeiner Form blockiert. So wird Marma nicht umsonst als Sitz des Lebens bezeichnet. Es sind intelligente und wirksame Steuerpunkte für Körper und Geist Man kann sie auch als Sensoren für feinere Wahrnehmung bezeichnen. Sie fühlen aber nicht nur nach innen, sondern auch wie Antennen nach außen. Wenn etwas Ungutes droht, können wir dies oft am Nabelmarma in Form eines mulmigen Gefühls in der Bauchgegend wahrnehmen.

Kleinste Steuerpunkte Die vedische Medizin versteht Mensch, Natur und Kosmos als Einheit. Das heißt, alles hat Einfluss aufeinander. Genauso wie die Phasen des Mondes die Gezeiten des Meeres beeinflussen, so verändern sie auch die Energiezustände von Marmas. In der Sushruta Samhita, dem Lehrbuch für Chirurgie der ayurvedischen Medizin, werden insgesamt 107 wichtige Energiepunkte genannt, zusammen mit dem Urmarma kommen wir also auf 108 Energiepunkte, eine bedeutsame Zahl im Ayurveda.

Darüber hinaus gibt es viele weitere kleine und kleinste Steuerpunkte. In der Kalari-Tradition in Südindien, wo noch heute die alte vedische Kampfkunst ausgeübt wird, sind zirka 365 Punkte bekannt. Etwa genauso viele Punkte nutzt die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und hat darauf die Akupunktur aufgebaut – ein Behandlungskonzept, welches inzwischen über Jahrtausende hinweg Krankheiten behandelt und heilt. Das Sanskritwort Marma bedeutet direkt übersetzt so viel wie „empfindliche, verborgene oder auch lebenswichtige Stelle.“

Blase, Herz und Drittes Auge Näher betrachtet erkennen wir eine ganz klare Hierarchie im Aufbau der Marmas. Das Urmarma Atma, welches allen zugrunde liegt. Aus ihm gehen alle Marmas hervor und sind mit ihm verbunden. Als nächstes sprechen wir von 3 Hauptmarmas, die jeweils einem der drei Doshas Vata, Pitta und Kapha zugeordnet werden können. Von unten angefangen haben wir als erstes Basti, das Blasenmarma mit Sitz im Unterbauch, wo auch Vata vorherrschend ist. Das zweite ist Hridaya, das Herzmarma, welches dem Pitta-Dosha zugeordnet ist. Das dritte nennt sich Sthapani, das Stirnmarma zwischen den Augenbrauen, auch oft als Drittes Auge und Sitz der Intuition bezeichnet. Diese drei Hauptmarmas werden von vier weiteren Marmas unterstützt. Zusammen bilden sie die sieben Hauptzentren, ähnlich der sieben Chakras im Yoga. Alle anderen Marmas gruppieren sich um diese sieben Hauptmarmas.

Den Elementen zugeordnet Marmas sind keine anatomischen Gebilde. Es handelt sich um Areale, in denen sich unser Bewusstsein mit dem Körper verbindet. Der Körper und seine Funktionen werden auf diese Weise koordiniert. In jedem Marma sind alle ayurvedischen Prinzipien enthalten, jedoch hat in jedem Marma immer ein Dosha vorwiegend das Sagen. In Marmas in den Gelenken ist Vata vorherrschend. Ihre Aufgabe ist es, Bewegungsabläufe und die Orientierung im Raum zu steuern. Durch das Luft-Element sind diese Marmas sehr empfindsam und wahrnehmungsintensiv. Pitta-Marmas sind verantwortlich für Stoffwechselvorgänge, Hormonregulation und Wärmeentwicklung. So wird es bei der Berührung eines Pitta-Marmapunktes meist fühlbar warm. Denn Pitta ist die Feuerenergie. Ist Wasser als Element vorherrschend, sind es kühlende Marmas. Diese Kapha-Marmas sorgen für Stabilität, Ausdauer und halten die Körperstruktur aufrecht.

Tipps zur Selbstmassage Die Marmas können durch erfahrene Ayurveda-Therapeuten oder auch in der Selbstbehandlung harmonisiert werden. Wichtig ist, dass man sich ihnen immer sanft nähert und wieder entfernt. Im Uhrzeigersinn beleben sie das Marma, entgegen des Uhrzeigersinnes wirkt die Berührung entgiftend und lösend. Hier möchte ich zwei Marmas erklären, die man sich zwischendurch in der Apotheke super selbst behandeln kann. Das Zwischenfingermarma Kshipra befindet sich an beiden Händen in den „Schwimmhäuten“ zwischen Daumen und Zeigefinger und ist ein sogenanntes Sehnen-Marma.

Wir massieren es sanft jeweils mit dem Daumen der gegenüberliegenden Hand. Es kann helfen Kopfschmerzen und Nackenverspannungen zu lösen und wirkt stärkend auf das Immunsystem. Auch durch das Fingerschnippen wird dieses Marma automatisch aktiviert und soll uns helfen, dass uns etwas schnell einfällt. Ein weiteres wirkungsvolles Marma befindet sich genau in der Mitte unserer Handinnenflächen. Es heisst Talahridaya, übersetzt: das Herz der Hand. Es wird ebenfalls mit dem gegenüberliegenden Daumen sanft im Uhrzeigersinn massiert, was sehr gut gegen Nervosität, innere Unruhe, Abgespanntheit und Kummer hilft.

Körper und Bewusstsein gemeinsam Eine Marmatherapie ist am wirksamsten, wenn sie möglichst einfach bleibt, in Ruhe und mit viel Achtsamkeit durchgeführt wird. Marmas und Nadis können je nach Druck mehr auf körperlicher Ebene oder auf Bewusstseinsebene behandelt werden. Durch stärkeren Druck lösen wir Muskelverhärtungen oder Stauungen. Auf der Bewusstseinsebene stellt die Marmatherapie auf subtilere Weise Harmonie her, die wir dadurch spüren, dass wir uns mit uns im Einklang und wohl fühlen. Dadurch löst sich nicht selten die körperliche Blockade gleich mit. Denn der Körper meldet sich meist erst dann, wenn die Seele vorher nicht gehört wurde.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 12/2021 ab Seite 124.

Stefanie Berhausen, Apothekerin, Ayurveda-Gesundheitsberaterin, Meditations- und Yogalehrerin

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