Hebammenstudie 2023
"ICH WOLLTE EINEN BERUF, DER SINNSTIFTEND FÜR MEIN EIGENES LEBEN IST"
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Bislang wurden Hebammen an Schulen ausgebildet, in Rheinland-Pfalz in Mainz, Koblenz und Speyer. Durch das Hebammenreformgesetz 2019 wurde der Beruf der Hebamme akademisiert: Das duale Studium ersetzt ab 2023 die Ausbildung an einer Hebammenschule. Wer aktuell noch in Ausbildung ist, kann sie bis dahin fortsetzen.
Frau Scholz, was genau macht eine Hebamme eigentlich, was gehört zu ihren Aufgaben? (Gibt es vielleicht Aufgaben, von denen man im Allgemeinen nichts mitbekommt?)
Monika Scholz: Hebammen leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur gesundheitlichen Versorgung und Begleitung von Frauen von Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit, sowie von Neugeborenen und Säuglingen. Der Hebammenberuf umfasst insbesondere die selbständige und umfassende Beratung, Betreuung und Beobachtung von Frauen während der Schwangerschaft, bei der Geburt, während des Wochenbetts und während der Stillzeit, die selbständige Leitung von physiologischen Geburten sowie die Untersuchung, Pflege und Überwachung von Neugeborenen und Säuglingen.
Hebammen übernehmen die Durchführung einer normal verlaufenden Geburt. Dies gehört zu den Aufgaben, die uns laut Hebammengesetz (§ 4) ausdrücklich vorbehalten sind. Vorbehaltene Tätigkeiten sind eine Besonderheit bei den Gesundheitsfachberufen. Im Falle des Hebammenberufes führen sie dazu, dass selbst eine Ärztin oder ein Arzt eine Hebamme zur Geburt hinzuziehen muss. Denn Hebammen führen die Geburt selbständig und ohne ärztliche Anordnung durch. Sollte es zu Komplikationen oder Regelwidrigkeiten kommen, ist eine Hebamme in der Lage dies frühzeitig zu erkennen und die erforderlichen Schritte, wie die Hinzuziehung einer Ärztin oder eines Arztes, zu veranlassen.
Nach der Entbindung versorgen Hebammen Neugeborene und Mütter und dokumentieren die Geburt. Darüber hinaus betreuen sie die Mutter in den ersten Tagen nach der Geburt, übernehmen die Nachsorge des Neugeborenen und beraten in Fragen der Säuglingspflege und -ernährung.
Die Hebammentätigkeit erstreckt sich jedoch nicht nur auf den Bereich Geburt und Wochenbettbetreuung. Im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge bereiten Hebammen Frauen und Familien auf die Geburt, das Wochenbett und die Elternschaft vor. Hierbei berücksichtigen Hebammen stets die konkrete Lebenssituation der Frauen und ihre jeweiligen besonderen Bedürfnisse. Hebammen arbeiten in Geburtsabteilungen von Krankenhäusern, in Hebammenpraxen oder Geburtshäusern. Wenn sie die Frauen in Krankenhäusern unterstützen, sind sie überwiegend in Kreißsälen und auf Wochenstationen tätig. Freiberufliche Hebammen betreuen werdende Mütter auch bei einer Hausgeburt oder nach ambulanten Geburten im Wochenbett. Hebammen können aber auch, so wie ich, in der Lehre tätig sein. An Hebammenschulen, an Hochschulen oder aber an Universitäten.
Was man vielleicht nicht so primär erwartet, ist die Beratung in Bezug auf die Gesundheitsförderung und Prävention. Zu unseren Beratungsthemen gehören auch Themen wie Rauchen/Alkohol/Drogen in der Schwangerschaft, Bewegung und Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit, Umgang mit Stress, Verhütungsmethoden, Impfberatung etc. Der Kooperationsverbund gesundheitsziele.de – ein Zusammenschluss von 140 Organisationen aus Gesundheitswesen, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft – hat 2017 gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium nach dreijähriger Arbeit das 9. Nationale Gesundheitsziel “Gesundheit rund um die Geburt” veröffentlicht. Auch hier werden Tätigkeiten im Rahmen der Hebammenarbeit beschrieben, die wahrscheinlich nicht so bekannt sind.
Der Maßnahmenkatalog verfolgt fünf Kernziele:
- Eine gesunde Schwangerschaft wird ermöglicht und gefördert
- Eine physiologische Geburt wird ermöglicht und gefördert
- Die Bedeutung des Wochenbetts und die frühe Phase der Elternschaft sind anerkannt und gestärkt
- Das erste Jahr nach der Geburt wird als Phase der Familienentwicklung unterstützt
- Lebenswelten und Rahmenbedingungen rund um die Geburt sind gesundheitsförderlich gestaltet
Der für Hebammen relevante Fokus der Vereinbarungen liegt auf der physiologischen und interventionsarmen Geburt. Die Maßnahmen sollen vorgeburtlich Schwangerschafts- sowie Geburtskomplikationen reduzieren. Dabei sollen vorhandene Ressourcen umfassend gefördert und eine Pathologisierung vermieden werden. Das Gesundheitsziel will Frauen und ihre Familien darin stärken, über angebotene Maßnahmen in Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt mitzuentscheiden. Sie sollen diese den medizinischen Belangen nach angemessen, selbstbestimmt und informiert bewerten und in Anspruch nehmen können. Zudem unterstützt das Gesundheitsziel eine gesunde Entwicklung des Säuglings in den ersten Lebenswochen und -monaten: Es soll die Bindung zu den Eltern, gesunde Lebensverhältnisse sowie soziale Sicherheit fördern und Unfallgefahren sowie elterlicher Überforderung vorbeugen.
Hier sind verschiedene Handlungsfelder aus Hebammensicht relevant:
- Die Sicherstellung der freien Wahl des Geburtsorts: Entwicklung von zielgerichteten Maßnahmen zur Gewährleistung der Wahlfreiheit vom Geburtsort für werdende Familien.
- Gewährleistung einer wohnortnahen und flächendeckenden geburtshilflichen Versorgung.
- Monitoring der klinischen Geburtshilfe: Implementierung einer systematischen Datenerhebung in der Geburtshilfe und Einführung eines bundesweiten Hebammenregisters.
- Förderung von Hebammenkreißsälen
- Entwicklung von Anreizen zur Förderung der physiologischen Geburt: Entwicklung von monetären Anreizen zur Förderung der physiologischen Geburt in Kliniken.
- Verbesserung der Arbeitsbedingungen: Anwendung von gesundheitsfördernden und verhältnispräventiven Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für geburtshilfliches Personal im klinischen und außerklinischen Setting.
An der Umsetzung dieser Ziele arbeiten Hebammen berufspolitisch in unterschiedlichen Berufsverbänden, bei der Entwicklung von Leitlinien und nun auch immer mehr in der Forschung.
Die neue S3-Leitlinie "Vaginale Geburt am Termin" zum Beispiel wurde federführend durch die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaften (DGHWi) und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) erarbeitet. Konkret bedeutet die Leitlinie, dass Frauen während der Geburt auf der Grundlage von wissenschaftlich begründeten Empfehlungen begleitet werden sollen. Es finden sich Handlungsanweisungen für das Fachpersonal zu den Themenbereichen Aufklärung und Beratung, allgemeine Betreuung, Monitoring, Schmerzmanagement und Betreuung der Gebärenden während aller Phasen der Geburt sowie unmittelbar nach der Geburt.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die natürliche Geburt mehr denn je unterstützt wird. Die Geburt wird als physiologischer Prozess betrachtet, der von einer zurückhaltenden Vorgehensweise der Fachkräfte profitiert. Die sonst in vielen Kreißsälen vorherrschende kontinuierliche technische Überwachung wird durch eine intermittierende Herztonkontrolle abgelöst. Die Selbstbestimmung und das Recht jeder Frau auf umfassende Aufklärung werden betont und stärken damit die Position von Frauen unter der Geburt. Darüber hinaus kann die Leitlinie Schwangeren als Informationsquelle dienen. Frauen haben die Möglichkeit, sich evidenzbasiert zu informieren und damit ein Aufklärungsgespräch auf Augenhöhe zu führen.
Von diesen Tätigkeiten und Aufgaben von Hebammen bekommt die Öffentlichkeit wahrscheinlich nur wenig mit.
Wie sind Sie auf den Beruf der Hebamme gekommen?
Ich wollte einen Beruf wählen, der mir viele Möglichkeiten eröffnet und gleichzeitig selbstständiges, eigenverantwortliches Arbeiten ermöglicht. Ich wollte keinen Beruf, der mich auf Dauer langweilt, sondern einen der sinnstiftend für mein eigenes Leben ist und gesellschaftlich eine Bedeutung hat. Außerdem wollte ich Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung durch den gewählten Beruf ermöglicht bekommen. Der Beruf der Hebamme ist tendenziell positiv besetzt und geprägt von physiologischen Vorgängen im Leben einer Frau, was mir auch sehr gut gefallen hat.
Ich glaube diese Wünsche und Vorstellungen sind durch meine Berufswahl in Erfüllung gegangen. Ich war viele Jahre im Kreißsaal tätig und hatte eine Hebammenpraxis. Dann habe ich eine Weiterbildung zur Praxisanleiterin absolviert und bin in die Hebammenschule gewechselt. Eine Weiterbildung zur Lehrerin für das Hebammenwesen und ein berufsbegleitendes Erziehungswissenschaftliches Studium mit dem Schwerpunkt Leadership kamen im Laufe der Jahre dazu.
Nun bin ich die Leitung der Hebammenschule und stellvertretende Studiengangsleitung im Studiengang B.Sc. Hebammenwissenschaft. Ich schaue sehr zufrieden auf meinen beruflichen Lebensweg und übe meine Tätigkeit weiterhin mit viel Leidenschaft und Freude aus.
Welche Eigenschaften sollte man als Hebamme mitbringen, um eine gute Hebamme zu werden?
Eine Hebamme sollte für mich folgende Eigenschaften mitbringen:
- Zuverlässigkeit
- Einfühlungsvermögen
- Ausdauer und Durchhaltevermögen
- Interesse an humanmedizinischen Zusammenhängen
- Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen
- Flexibilität bei Reaktion auf neue Herausforderungen
- Kompromissbereitschaft und Kritikfähigkeit
- Organisationstalent
- Bereitschaft zu lebenslangem Lernen
- Bereitschaft zu interprofessionellem Arbeiten
- Leidenschaft für den Beruf
Gibt es Vorurteile gegenüber Hebammen? Wenn ja, welche?
Manche Menschen denken, dass in Geburtsvorbereitungskursen nur gehechelt wird, dass Hebammen Frauen zur Hausgeburt nötigen und mögliche Komplikationen mit dem Auflegen eines Edelsteines heilen.
Manche glauben, wir wollen jede Frau zum Stillen ihres Kindes überreden. Hebammen sind Individuen und arbeiten somit auch sehr individuell. Wir haben ja auch mit sehr unterschiedlichen Frauen und Familien zu tun, da passt es dann in Einzelfällen vielleicht auch mal nicht perfekt. Deswegen sollte man bei der Wahl der Hebamme schauen, ob die Einstellungen einigermaßen kompatibel sind.
Wie man im Interview glaube ich erkennen kann, gibt es eine sehr große Spannbreite in der Hebammentätigkeit und somit auch sehr unterschiedlich arbeitende Kolleginnen, sodass Frauen die Chance haben eine „passende“ Hebamme zu finden.
Worauf sollten Eltern bei der Wahl der Hebamme achten?
Bei der Suche sind die Wohnortnähe und das Leistungsangebot der einzelnen Hebamme entscheidend und die Chemie zwischen Schwangerer und Hebamme sollte stimmen. Ebenso müssen die Vorstellungen von Betreuung zueinander passen. Wie eben gerade erläutert, besteht damit die Chance für eine adäquate Betreuung jeder Frau, egal ob viel oder wenig Naturheilkunde gewünscht wird, ob Frauen in einem Haus der Supramaximalversorgung entbinden wollen oder eine Hausgeburt präferieren.
Was empfehlen Sie werdenden Eltern?
Werdende Eltern sollten sich frühzeitig um eine Hebamme kümmern. Falls es schwierig ist eine Hebamme zu finden, kann das Hebammenverzeichnis des Deutschen Hebammenverbands helfen oder man wendet sich an Krankenhäuser in der Nähe. Denn viele Hebammen, die im Krankenhaus angestellt sind, arbeiten zum Teil auch freiberuflich, also in der Schwangerenvorsorge und in der Wochenbettbetreuung.
In Mainz unterstützt die Hebammenzentrale schwangere Frauen bei der Suche nach einer Hebamme (hebammenzentrale.mainz@profamilia.de ).
Die Kosten für eine Hebamme werden übrigens von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Bei Privatversicherungen ist es wichtig, in die Verträge zu schauen: Manche Privatversicherungen haben Hebammen nicht oder nur teilweise inbegriffen. In Bezug auf die Geburt rate ich mit genügend Respekt an die Situation heranzugehen, da jede Geburt eine absolute Grenzerfahrung ist und ein rundherum intensives Ereignis, das einer professionellen Betreuung bedarf. Frauen sollten aber nicht mit Angst in die Geburt gehen, sondern vielmehr aufgeklärt und gut vorbereitet. Sie sollten offen dafür sein, was passiert und passieren kann. Denn Geburten sind nicht planbar, jede hat ihre eigene Dynamik. Eine Hebamme, die Fachfrau für diese Prozesse, kann die Frauen wie ein guter Bergführer hier begleiten und unterstützen, um die richtige Entscheidung zu rechten Zeit zu treffen.
Fast 20 Prozent der Mütter haben laut der neuen Hebammenstudie 2023 keine Hebamme in Anspruch genommen. Was könnte in Ihren Augen der Grund dafür sein?
Hebammen stehen Frauen und ihren Familien vom Anfang der Schwangerschaft über die Geburt bis zum Ende der Stillzeit zur Seite. Sie begleiten diese Phase umfassend medizinisch und psychosozial. Das Gesetz sieht sogar vor, dass eine Hebamme bei jeder Geburt anwesend sein muss.
Wahrscheinlich zielen Sie mit Ihrer Frage auf die Wochenbettbetreuung ab. Durch den Hebammenmangel bedingt, ist es sehr schwierig eine Hebamme zu finden. Schwangere rufen nicht selten 30 Hebammen an und bekommen immer eine Absage. Dann geben sicherlich einige irgendwann auf.
Ein relativ neuer Trend ist die Alleingeburt. Frauen, die sich für eine Alleingeburt entscheiden, haben oft bereits eine Geburt in einer Klinik erlebt und sich dort nicht gut aufgehoben gefühlt. Manche haben die Begleitung durch das Klinikpersonal als wenig einfühlsam erlebt. Sie empfanden die medizinischen Eingriffe und den Einsatz von Technik als unnötig, störend oder sogar als ein Risiko für Komplikationen. Stattdessen wünschen sie sich eine Geburt in einer intimen Atmosphäre, bei der nicht in die natürlichen Prozesse des Gebärens eingegriffen wird und sie sich ganz auf sich selbst konzentrieren können.
Eine 1:1-Betreuung in einem hebammengeleiteten Kreißsaal würde solche Erlebnisse zumindest minimieren. Wir hatten bereits über Entwicklungen in der Hebammenarbeit gesprochen, zum Beispiel die S3-Leitlinie "Vaginale Geburt am Termin" oder aber auch das Gesundheitsziel “Gesundheit rund um die Geburt” beschäftigt sich mit der Umsetzung dieser Themen, Hebammen arbeiten hier federführend mit. Ein wichtiger Faktor hierbei ist unter anderem die Gewährleistung einer wohnortnahen und flächendeckenden geburtshilflichen Versorgung.
Was ist für Sie das Schönste am Hebammenberuf?
Ich arbeite gerne mit Menschen, unterstütze und berate gerne. Ich bin noch immer auch in der freiberuflichen Wochenbettbetreuung tätig und freue mich, wenn ich durch meine Tätigkeit positive Impulse setzen kann und die Eltern und Kinder gut in diesen neuen Lebensabschnitt starten können. Wenn das Stillen klappt und das Kind gut gedeiht, wenn die Nächte wieder ruhiger werden und die Familie langsam wieder in einen Alltag findet.
Im Rahmen von Examensgeburten bin ich auch noch im Kreißsaal zu finden und empfinde es immer noch als Privileg der Geburt eines neuen Menschen beiwohnen zu dürfen. Es sind sehr intime und persönliche Moment, die wir in der Hebammenarbeit begleiten dürfen und die von vielen Emotionen geprägt sind.
Was sind die Schattenseiten des Berufs?
Schichtdienst, Personalmangel, schlechte Bezahlung. Die psychische Belastung in der Hebammenarbeit ist nicht zu unterschätzen. Man muss lernen sich abzugrenzen, zum Beispiel nicht Tag und Nacht erreichbar zu sein. Das Diensthandy sollte auch mal ausgeschaltet werden. Work-Life-Balance ist für uns Hebammen ein großes Thema um physisch und psychisch gesund zu bleiben. Nicht umsonst gehen viele Kolleginnen nach ein paar Jahre aus dem Beruf raus.
Würden Sie sich rückblickend wieder dafür entscheiden, Hebamme zu werden?
Ich bin noch immer mit Leidenschaft Hebamme und auch mit Leidenschaft in der Lehre tätig. Heute würde ich etwas kritischer auf die Schattenseiten des Berufs schauen.
Das Interview für DIE PTA IN DER APOTHEKE führte Nadine Hofmann (Leitung Online-Redaktion).
Hier geht's zum ersten Teil des Hebammen-Interviews