Gesundheits-Apps
EINE UNDURCHSCHAUBARE FAMILIE
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Am Anfang steht ein großartiges Versprechen: „Wir helfen Menschen, ihre Symptome innerhalb von Minuten zu verstehen.“ Angeblich vertrauen schon zehn Millionen Menschen weltweit dem Slogan der kostenfreien Gesundheits-App „ADA“. Manche, weil sie nach einer Erklärung für Beschwerden suchen. Andere, weil sie einem Befund nicht trauen und prüfen wollen, ob es noch etwas anderes sein kann. Wer „ADA“ schon einmal ausprobiert hat, weiß: Die App mit ihrem auf Künstlicher Intelligenz basierenden Verfahren ist beeindruckend. „ADA“ formuliert Fragen, leitet aus den Antworten Wahrscheinlichkeiten für mögliche Erkrankungen ab und gibt am Ende Hinweise, um was es gehen könnte. Und noch etwas kann einen für „ADA“ einnehmen: Das Versprechen, diskret zu sein. „Wir halten deine persönlichen und medizinischen Daten anonym“, heißt es auf der Homepage.
Doch nicht so diskret? 2019 kritisierten Datenschützer allerdings die zuvor hochgelobte App. Sie meinten, dass technische und personenbezogene Daten unerlaubt an Unternehmen wie Facebook versendet wurden. Die Techniker Krankenkasse kündigte die Zusammenarbeit auf. Bei „ADA“ sprach man von Missverständnissen.
Trau, schau, wem!Schon damals zeigte sich ein Problem in der Gesundheits-App-Familie, das seitdem nicht kleiner geworden ist. Kostenfrei heruntergeladen aus dem App Store oder bei Google Play sind digitale Gesundheitshelfer wie Diabetes-Tagebücher oder Rückentrainings schnell. Doch wer nicht mit Geld bezahlt, bezahlt eben mit seinen Daten, warnen Fachleute. Häufig kann man nicht sicher sein, dass das ausgewählte Familienmitglied für sich behält, was es von einem erfährt. Und weil der Clan wächst und wächst, wird es immer schwerer, vertrauenswürdige Mitglieder auszumachen.
Passgenaue Lösungen Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat Gesundheits-Apps unlängst in drei Linien aufgeteilt. Zur ersten gehören Lifestyle-Apps. Sie helfen, gesundheitsbewusstes Verhalten zu unterstützen. Darunter fallen zum Beispiel Fitnesstracker oder Ernährungs- und Bewegungs-Apps. Zur zweiten Linie zählen serviceorientierte Apps, die die Online-Kommunikation mit der eigenen Krankenkasse erleichtern, dabei helfen, persönliche Gesundheitsdaten zu verwalten oder anderweitig zu unterstützen: An die Einnahme von Medikamenten erinnern, helfen, ein Tagebuch bei einer Erkrankung wie Diabetes oder Migräne zu führen etc. In der dritten und anspruchsvollsten Linie finden sich danach echte medizinische Apps, die der Diagnose oder Therapie einer Erkrankung dienen. Sie müssen als Medizinprodukt zugelassen und mit dem CE-Kennzeichen versehen sein – auch wenn dieses allein nichts über den gesundheitlichen Nutzen aussagt.
DIGA: Geprüfte Apps
Digitale Gesundheitsanwendungen (DIGA) sind Apps und Webanwendungen, die auf Rezept verordnet werden können und dann von der Krankenkasse bezahlt werden. Sie werden vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geprüft und zugelassen. Bisher sind elf Produkte ins DIGA-Verzeichnis aufgenommen. Weitere Informationen zu DIGA finden Sie online unter PTA plus.
Motivation und Lösungshilfen Dass sie alle boomen, hat gute Gründe. Darauf verwiesen schon die Autoren der Studie „Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps“, die das Bundesgesundheitsministerium 2016 in Auftrag gegeben hatte. Mit Hilfe einer App etwas für die eigene Gesundheit zu tun, kann eine große Motivationswirkung haben. Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen erlaubt ein passender digitaler Helfer, ihre Gesundheitsprobleme besser zu meistern und selbstständiger zu leben.
Viele Nutzerinnen und Nutzer schätzen heute zudem, dass sie passgenaue und flexible Lösungen im App-Store finden. Den allermeisten Apps fehlen aber wissenschaftliche Belege über ihre Wirksamkeit. Wer sie nutzt, kann nicht einschätzen, ob sie qualitätvoll sind oder nicht. Ein zentrales Infoportal oder eine Stelle, an die man sich bei Problemen beziehungsweise vermuteten Gefahren einer Gesundheits-App wenden könnte, gibt es nicht. Das soll sich allerdings mit speziellen Apps, den DIGA, ändern.
App-Check und Weiße Liste Wer eine Gesundheits-App nicht unkritisch nutzen möchte, muss sie also selbst checken. Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung haben Ende 2020 eine Handreichung „Gesundheits-Apps im klinischen Alltag“ herausgegeben. Ihr Ratgeber umfasst auch Tipps für die private Nutzung: Bin ich bereit, persönliche Daten zur Verfügung zu stellen? Wer ist der App-Anbieter, und womit verdient er sein Geld? Wie wird die App von anderen Nutzern bewertet? Wird sie von einer Krankenkasse empfohlen?
Welche Daten werden gespeichert und verarbeitet, wie lange und zu welchem Zweck? Mehrere Organisationen durchforsten zudem die Gesundheits-App-Familie. So veröffentlicht die „Weisse Liste“ von Bertelsmann Stiftung und Verbraucherorganisationen Übersichten zu Angeboten für verschiedene Krankheitsbildern. Beim Aktionsbündnis Patientensicherheit findet man eine Checkliste zur Überprüfung von Apps, die Bundespsychotherapeutenkammer hat eine Information zur Digitalisierung in der Psychotherapie mit Tipps für Patienten herausgebracht. Auch die Techniker Krankenkassen bietet einen App-Checker an.
Luxusproblem? Allerdings ist auch immer wieder zu hören: Datenschutz ist ein Luxus, den sich nur Gesunde leisten können. Wer Motivation für eine Therapie braucht, in einem anstrengenden Alltag mit einem chronischen Leiden zurechtkommen muss oder an einer seltenen Erkrankung leidet – der verzichtet auf diesen Luxus. Ein Vater, dessen Tochter an der Hautkrankheit Ichthyose leidet, hat darüber unlängst bei einer Veranstaltung der Allianz chronischer Erkrankungen (ACHSE) gesprochen.
Es gehe sehr viel ums regelmäßige und richtige Cremen, erzählte er. Seit kurzem nutzt sein Kind eine App mit Gamification-Anteilen, also spielerischen Elemente. Schon wenn man alle nötigen Tagesdaten eingibt, winkt eine kleine Belohnung. Für seine kleine Tochter ist das ein kurzes YouTube-Video. Früher musste er alle Therapiedetails handschriftlich in Tabellen eingeben, die mühevoll auszuwerten waren. Mit der App lässt sich alles viel leichter rückverfolgen, die Tochter ist motiviert. Das ist im Moment das Allerwichtigste.
Apps zum Ausprobieren Für den Einstieg: Apps der eigenen Krankenversicherung: Sind immer einen Versuch wert. Die Haus-Apps sind in der Regel nützliche Helfer in der Online-Kommunikation, zum Beispiel, wenn Dokumente hin- und hergeschickt werden müssen. Viele Krankenkassen bieten außerdem weitere Apps an, zum Beispiel für werdende Mütter (AOK plus), für Tinnitusgeplagte (Daimler BKK), für Pollenallergiker (TK), für Kindernotfälle (BEK). Auch die privaten Krankenversicherer machen Angebote, beispielsweise die Allianz mit der App „nui“, einem digitalen Pflegebegleiter.
App ADA: Zur Einordnung von unklaren Beschwerden und Symptomen. Bei Beachtung der Datenschutzinfos immer noch eine gute Möglichkeit, sich ein Bild zu machen.
Für den Ernstfall: Apps für Ersthelfer:
Es gibt mittlerweile verschiedener Anbieter, mit deren Apps in einer Notsituation Ersthelferinnen und Ersthelfer zusätzlich zum Rettungsdienst alarmiert werden können. Übersicht: www.ersthelferapps.de.
App Vergiftungsunfälle bei Kindern des Bundesinstituts für Risikobewertung: Info- und Nachschlagewerk inklusive Hinweisen zur Vermeidung. Im Notfall kann direkt aus der App ein für das jeweilige Bundesland zuständiges Giftinformationszentrum angerufen werden.
App Embryotox: Angebot der Berliner Charité für Fachkreise, die Informationen über Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit benötigen. Informationen zu mehr als 400 Wirkstoffen.
Für die Pandemie: Corona-Warn-App: Die App im Auftrag der Bundesregierung soll helfen, Infektionsketten nachzuverfolgen und zu unterbrechen. Sie informiert Personen, wenn sie mit einer infizierten Person in Kontakt standen – anonym. Weitere Funktionen, unter anderem ein Kontakte-Tagebuch.
App SafeVac: Vom Paul-Ehrlich-Institut, das für Impfstoffe und deren Überwachung zuständig ist. Damit kann jeder unerwünschte Impfreaktionen melden – oder dass sie ausgeblieben sind. Wenig bekannt: Es muss 48 Stunden nach der Impfung passieren. Die Informationen werden verschlüsselt auf dem Smartphone gespeichert und anonymisiert übermittelt.
Für die Zykluskontrolle: Apps zur Zykluskontrolle: Schwer einzuschätzendes Angebot. Die Stiftung Warentest hat 23 Apps getestet, leider bereits im Jahr 2017. Die allgemeinen Hinweise sind aber immer noch hilfreich: https://www.test.de/Zyklus-Apps-im-Test-5254377-0/
Für das Leben mit einer Erkrankung: Apps für Diabetiker: Selten bewertet. Zwei Optionen sind: Hinweise über die Weiße Liste: https://www.trustedhealthapps.org/de (Diabetes) oder https://www.diabetesde.org/diadigital. Unter „trustedhealthapps“ kann man noch nach Apps für weitere Krankheiten suchen.
Apps für Asthmatiker: Die Deutsche Atemwegsliga veröffentlicht auf ihrer Homepage (https://www.atemwegsliga.de/pneumo-digital-apps.html) Bewertungen, auch zu Apps bei anderen Atemwegserkrankungen.
Apps für Menschen mit einer seltenen Erkrankung beziehungsweise solchen, die es vermuten: RareGuru, OphaNet Gesundheits-Apps als fortlaufender monatlicher Tipp: https://e-health-com.de/app-des-monats
Für alles andere: Im eigenen persönlichen Umfeld fragen, welche Apps die anderen nutzen – und was sie daran überzeugt hat Themenspezifisch Gesundheits-Apps im Store von Apple oder Google aussuchen und Informationen gründlich lesen. Oft sind schon deutliche Hinweise zu Datenschutz oder -weitergabe vorhanden. Zusätzlich anhand der empfohlenen Kriterien checken.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/2021 ab Seite 24.
Sabine Rieser, freie Journalistin