Hämorriden
DAS TABUISIERTE LEIDEN
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Hämorriden sind gut durchblutete, schwammartige Polster aus Gefäßen, Bindegewebe und glatter Muskulatur, die am Übergang vom Mastdarm zum Analkanal ringförmig unter der Mastdarmschleimhaut sitzen. Ihre Aufgabe ist es, Kot- und Gasabgang aus dem Enddarm zu kontrollieren, da der aus äußerem und innerem Schließmuskel bestehende Ringmuskel des Afters diesen nicht komplett verschließen kann. Selbst bei maximaler Kontraktion bleibt er immer noch etwa einen Zentimeter weit geöffnet.
Die Gefäßpolster werden über mehrere Kanäle der oberen Rektumarterie mit Blut versorgt. An ihrer Eintrittstelle entstehen auf der dem Analkanal zugewandten inneren Seite der Polster kleine Verdickungen, die Hämorridalknoten.
Ein Mensch hat drei Haupt- und vier bis fünf Nebenknoten. Sobald sich der innere Schließmuskel des Afters anspannt, wird der venöse Abfluss aus den Gefäßpolstern reduziert, sodass sie sich mit Blut füllen und anschwellen. Hierdurch greifen die knotenartigen Verdickungen sternförmig ineinander und verschließen so den Analkanal völlig.
Hat sich im Mastdarm schließlich so viel Kot angesammelt, dass die Nervenenden des Rektums dem Gehirn einen Stuhlgangreiz übermitteln, entspannt sich der innere Schließmuskel wieder. Daraufhin fließt das Blut aus den Gefäßpolstern ab, wodurch sich der Analkanal wiederum etwas öffnet, ohne dass der Mensch es beeinflussen kann.
Eine willentliche Kontrolle des Stuhlgangs ist dann nur noch mithilfe der Ringmuskelsteuerung möglich. Durch die millimetergroße Öffnung können jedoch Gase oder sehr dünner Stuhl abgehen, weshalb man zum Beispiel Durchfall nicht kontrolliert absetzen kann.
Umgangssprachlich wird die Bezeichnung Hämorriden oft mit der Erkrankung des Organs gleichsetzt. Davon spricht man jedoch erst, wenn die Knoten der Gefäßpolster vergrößert oder verlagert sind. Um hier eine einheitliche Begrifflichkeit zu schaffen, regt die Deutsche Gesellschaft für Koloproktologie in ihren Leitlinien an, vergrößerte Hämorridalknoten als „Hämorriden“ zu bezeichnen, beim Auftreten von Beschwerden aber von einem „Hämorridalleiden“ oder von „symptomatischen Hämorriden“ zu sprechen.
Entwicklung in vier Graden Grundsätzlich handelt es sich um eine progressiv fortschreitende Erkrankung, die im frühen Stadium jedoch noch reversibel ist, da bei Grad eins nur eine leichte Vorwölbung der Hämorridalknoten in den Analkanal vorliegt. In dieser Phase können die vorgewölbten Knoten beim Stuhlgang bluten, müssen es aber nicht. Da sich die Vergrößerung noch komplett zurückbilden kann, muss es nicht zwangsläufig zu einer weiteren Degeneration der Gefäßpolster kommen.
Möglicherweise sind diese leichten Vorwölbungen sogar noch als normal zu bezeichnen.
Leitsymptom bei allen veränderten Hämorriden ist die Blutung, beim ersten Grad ist sie sogar das einzige Symptom. Dabei ist das Blut hellrot, denn das Gefäßpolster wird durch arterielles Blut gespeist. Es liegt meist auf dem Stuhlgang oder findet sich auf dem Toilettenpapier. Die abgehenden Blutmengen sind sehr selten groß genug, um eine Anämie auszulösen. Die Blutung ist schmerzlos und tritt meist periodisch auf, sie kann auch über lange Zeit aussetzen.
Bei symptomatischen Hämorriden zweiten Grades werden die vergrößerten Knoten beim Pressen in den Analkanal vorgeschoben, ziehen sich aber, nachdem der Druck aufhört, von selbst wieder zurück. Die vergrößerten Gewebeteile können sich in diesem Stadium aber nicht mehr von selbst zurückbilden, das heißt, sie bleiben als Ausstülpungen in den Analkanal bestehen und werden so bei jedem Pressen einem gewissen Druck ausgesetzt.
Durch die Vorstülpung können die einzelnen Knoten den Analkanal nicht mehr passgenau abdichten, was der Organismus durch die vermehrte Absonderung von Schleim zu kompensieren versucht. Dieser wiederum führt zu einer Irritation der Haut um den Anus, sodass sich stark juckende Analekzeme bilden können. Diese können wiederum entzündungsbedingte Einrisse in der Analhaut auslösen, die sich in einem stechenden Schmerz während des Stuhlgangs und einem länger anhaltenden Brennen danach äußern.
Symptomatische Hämorriden dritten Grades sind dadurch gekennzeichnet, dass es beim Pressen zu spontanen größeren Vorfällen eines oder mehrerer Knoten kommt. Sie sind dabei außerhalb des Afters sichtbar, lassen sich aber noch in den Afterkanal zurückschieben. Das Gewebe kann bei diesen Vorfällen eingeklemmt werden und bluten, wobei das Blut durch den Mangel an Sauerstoff häufig dunkelrot ist.
Lassen sich die symptomatischen Hämorriden nicht mehr zurückschieben, handelt es sich um Grad vier der Erkrankung. Es ist zu einem Analprolaps gekommen, das heißt, die Knoten sind aus dem Anus heraus getreten. Grad drei und vier können neben den anderen Symptomen noch einen dumpfen Druckschmerz im Analkanal auslösen. Die Kontrolle über Darmgase und Stuhlgang ist ebenfalls stark eingeschränkt, sodass es zum „Stuhlschmieren“ kommen kann.
Krankheitsbild für das mittlere Alter Bei unter 30-Jährigen werden symptomatische Hämorriden so gut wie gar nicht beobachtet. Das Leiden tritt meist ab einem Alter von 45 Jahren auf, denn die Gefäßpolster erschlaffen mit dem Alter und ihre Fähigkeit, sich zurückzubilden, lässt nach. Dadurch steigt das Risiko, dass sich die bereits verdickten Abschnitte weiter vergrößern und vorstülpen.
Obwohl Frauen früher und öfter unter Bindegewebsschwäche leiden als Männer, sind beide Geschlechter von einem Hämorridalleiden gleich häufig betroffen – das Alter kann also nicht der einzige Grund sein. Tatsächlich ist die Ursache bis heute nicht geklärt, es gibt lediglich verschiedene Thesen, die jedoch alle nicht durch aussagekräftige Studien gesichert sind.
Nur der Zusammenhang zwischen Body-Mass-Index und der Häufigkeit von Hämorridalleiden konnte statistisch gesichert werden. Damit sind Übergewicht und Alter die einzigen unabhängigen Risikofaktoren.
»Laien können einen Analtumor für ein Hämorridalleiden halten.«
Darüber hinaus werden der Einfluss von genetischer Veranlagung, Ernährung, Verhalten beim Stuhlgang und Schwangerschaft auf die Entwicklung von Hämorriden diskutiert. Von all diesen Thesen scheint jedoch nur die des falschen Defäkationsverhaltens zu greifen.
So können Stuhlverhaltung, Verstopfung, zu starkes Pressen sowie das häufige erzwungene Absetzen geringer Kotmengen der Krankheit Vorschub leisten, denn der Innenschließmuskel benötigt einen rektalen Reiz, um sich reflexartig zu entspannen und dadurch das Blut aus dem Gefäßpolster abzuleiten.
Bei erzwungenem Stuhlgang mit starkem Bauchpressen kann sich dieser Reflex aber nicht einstellen, sodass das Gewebe stark durchblutet bleibt, wobei sich die Gefäßpolster durch den durch die Anstrengung erhöhten Blutdruck noch weiter vergrößern. Dadurch sind sie beim Stuhlgang starken Schwerkräften ausgesetzt, die zu Schäden an den Gefäßwänden und somit zu Blutungen sowie der weiteren Degeneration des Gewebes führen.
Frühzeitig zum Arzt Erkrankungen des Enddarms sind in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu. Das führt dazu, dass Betroffene meist erst dann zum Arzt gehen, wenn das Hämorridalleiden unerträgliche Beschwerden verursacht. Werden die ersten Symptome bemerkt, versucht man es meist mit Selbstmedikation.
Doch nicht immer weisen sie auf symptomatische Hämorriden hin. Es kann sich auch um weitaus gefährlichere Krankheiten handeln, vor allen Dingen, wenn das Blut nicht hell-, sondern dunkelrot ist. Dann können perianale Thrombosen, aber auch Darmtumore vorliegen. In diesen Fällen ist ein sofortiger Arztbesuch angezeigt. Aber auch hellrote Einblutungen müssen nicht immer auf ein Hämorridalleiden hinweisen, denn Analfissuren bluten ebenfalls kirschrot. Laien können aber auch einen Analtumor für ein Hämorridalleiden halten. In solchen Fällen kann eine Selbstmedikation dann unter Umständen wertvolle Zeit kosten – mit möglicherweise tödlichen Folgen.
Da das Hämorridalleiden bei Früherkennung durch die richtige Therapie komplett gestoppt werden kann, sollte man bereits bei den ersten Symptomen (zumeist hellrote Blutspuren im Stuhl) mit dem Hausarzt sprechen, der zunächst eine Blickuntersuchung des Afters durchführen wird. Symptomatische Hämorriden vierten Grades, die bereits vorgefallen sind, lassen sich so leicht erkennen.
Durch leichtes Pressen und Öffnen des Schließmuskels treten auch symptomatische Hämorriden dritten und eventuell auch zweiten Grades hervor, sodass diese früheren Stadien häufig ebenfalls durch eine rein visuelle Untersuchung diagnostiziert werden können. Ergibt sich noch kein klinisches Bild, erfolgt eine Proktoskopie. Meist werden zudem noch Rektoskopie und Koloskopie durchgeführt, um andere, schwer wiegendere Erkrankungen auszuschließen.
Die richtige Therapie Die Basisbehandlung besteht aus einer Ernährungsberatung, die auf ballaststoffreiche Ernährung und ausreichende Flüssigkeitszufuhr von mindestens zwei Litern am Tag abzielt. Außerdem werden die Betroffenen angehalten, mehr Sport zu treiben, da dadurch die Motilität des Darmes erhöht wird. Darüber hinaus wird auf das richtige Defäkationsverhalten hingewiesen (schnelle Entleerung ohne starkes Pressen und erst, nachdem der Stuhlgangreiz eingesetzt hat).
Was kann die PTA empfehlen
+ Hamamelisextrakt wirkt adstringierend, ist gut verträglich.
+ Basisches Bismut-Gallat wirkt blutstillend und antientzündlich, kann aber Hautirritationen hervorrufen.
+ Aloe-barbadensis-Wirkstoffkomplexe wirken juckreizstillend und können einer bakteriellen Infektion vorbeugen.
+ Lokalanästhetika wie Lidocain oder Benzocain sollten aufgrund ihrer starken Nebenwirkungen nur bei extremer Beeinträchtigung durch Schmerzen oder Juckreiz empfohlen werden.
+ Wichtig All diese Empfehlungen immer nur aussprechen, wenn tatsächlich symptomatische Hämorriden diagnostiziert wurden. Von Eigenmedikation ohne Diagnose immer abraten, stattdessen zuerst eine ärztliche Abklärung empfehlen!
Erst, wenn man die Symptome nicht in den Griff bekommt, sich die Krankheit verschlimmert, die Betroffenen es wünschen oder wenn es sich bereits um Hämorrhoidalknoten des dritten oder vierten Grades handelt, wird man einen Eingriff in Erwägung ziehen.
Die richtige Hygiene ist ebenfalls wichtig. So können Feuchttücher zur Reinigung nach dem Stuhlgang Hautirritationen auslösen, die die Beschwerden verschlimmern. Bei Übergewicht wird eine Reduzierung empfohlen. Mit Abführmitteln muss sorgsam umgegangen werden. Sie kommen häufig zur Anwendung, da die Beschwerden bei dünnem Stuhlgang nicht so stark sind. Auf Dauer schädigt zu dünner Stuhl jedoch auch die Gefäßpolster.
Medikamente können die Beschwerden zwar lindern, aber nicht heilen, wobei ihre Wirksamkeit nicht durch Studien belegt ist. Viele Betroffene sind der Meinung, Hämorriden seien so etwas wie „Krampfadern im Darm“, was aber nicht stimmt, da es sich nicht um venöse Ausstülpungen handelt. Daher sind auch in der Apotheke erhältlichen Flavonoide, die häufig zur Selbstmedikation eingesetzt werden, unwirksam, denn sie sind für Venenleiden indiziert.
Sind die symptomatischen Hämorriden noch nicht sehr weit fortgeschritten, kann die Basistherapie die Krankheit heilen oder zumindest so weit eindämmen, dass sie nicht weiter fortschreitet und die Betroffenen gut damit leben können.
Veröden, abklemmen, herausschneiden Die einfachste Form, symptomatische Hämorriden zu entfernen, ist die Verödung. Diese Sklerosierung der Gefäße greift aber nur bei Hämorridenknoten ersten Grades. Hierzu injiziert der Arzt im Abstand von einigen Tagen oder Wochen mehrmals ein Verödungsmittel in den Analkanal, wodurch die betroffenen Areale absterben und ausgeschieden werden.
Bei symptomatischen Hämorriden zweiten Grades führt man eine Gummibandligatur durch. Dabei wird die vergrößerte Stelle mit einem Gummiband abgebunden, woraufhin sie ebenfalls verödet und abstirbt. Sklerosierung und Gummibandligatur können ambulant durchgeführt werden.
Die Grade drei und vier müssen operativ behandelt werden, da die Veränderungen für die anderen Therapiemöglichkeiten bereits zu groß sind. Bis vor dreißig Jahren wurde dabei noch das komplette Gefäßpolster entfernt, was eine dauerhafte Stuhlinkontinenz zur Folge hatte. Heute werden nur noch die vergrößerten und tiefer gelagerten Areale entfernt.
Bei symptomatischen Hämorriden dritten Grades ist die Stapler-Hämorridopexie anwendbar. Bei ihr wird mittels eines speziellen Instruments eine kreisförmige Resektion der Mukosamanschette durchgeführt, die etwa drei Zentimeter oberhalb der Gefäßpolster liegt. Nach dem Eingriff vernarbt die Mukosamanschette und zieht dadurch die Gefäßpolster wieder an ihren ursprünglichen Platz. Durch weitere Umbaumaßnahmen, die durch die Operation ausgelöst werden, erreichen sie auch wieder ihre ursprüngliche Größe.
Dieser Eingriff ist weniger schmerzhaft als Operationsmethoden, die an symptomatischen Hämorriden vierten Grades durchgeführt werden müssen. Dabei muss meist auch noch der Analkanal rekonstruiert werden. Jede Operation zieht allerdings einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt nach sich. Auch das spricht dafür, so früh wie möglich mit Beschwerden, die auf ein Hämorridalleiden hinweisen, zum Arzt zu gehen.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/13 ab Seite 58.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist