Blutwerte
DAS DIFFERENZIALBLUTBILD
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Weiße Blutkörperchen, auch als Leukozyten bekannt, sind im Gegensatz zu den hämoglobinhaltigen Erythrozyten farblos und werden bei Erwachsenen im Knochenmark von Brustbein und Becken gebildet. Als „Immunpolizei“ können sie sich über die Blutbahn und das Lymphsystem durch den ganzen Organismus bewegen und auch in Gewebe eindringen. Immer auf der Suche nach Krankheitserregern, unverträglichen Stoffen oder sterbenden Zellen patrouillieren sie ständig durch den Körper, wobei ein gesunder Erwachsener etwa 4000 bis 10 000 Leukozyten pro Mikroliter Blut aufweist. Die Leukozytenzahl ist ein wichtiger Bestandteil des kleinen Blutbildes.
Ist sie erhöht (Leukozytose) liegt sehr wahrscheinlich eine akute Entzündung vor, die meist auch wieder abklingt – sie kann aber auch ein Hinweis auf eine Leukämie sein. Auch ein zu niedriger Leukozytenwert (Leukopenie) muss keine ernsthafte Krankheitsursache haben und kann zum Beispiel auch durch eine harmlose Virusinfektion hervorgerufen werden. Bei einer Leukopenie ist jedoch das Risiko für weitere Infektionen erhöht, denn je weniger Leukozyten im Blut vorhanden sind, desto schwächer ist das Immunsystem. So liegt bei 1000 Leukozyten/µl bereits eine massive Einschränkung der Immunabwehr vor, bei etwa 500 Leukozyten/µl ist sie quasi nicht mehr vorhanden.
Von klein zu großBei nicht allzu großen Abweichungen der Leukozytenzahl wird einige Wochen nach dem kleinen Blutbild erneut eine Untersuchung durchgeführt. Zeigt sie immer noch zu hohe oder zu niedrige Leukozytenzahlen, wird man die Diagnostik vertiefen und ein Differenzialblutbild der weißen Blutzellen erstellen. Denn unter dem Oberbegriff Leukozyten verbirgt sich eine ganze Familie unterschiedlicher Immunzellen, die mehr oder minder auf bestimmte Aufgaben spezialisiert sind und die man grob in Monozyten, Lymphozyten und Granulozyten unterteilt.
Um die einzelnen Zelltypen im Differenzialblutbild unterscheiden zu können, wird den nüchternen Patienten ungefähr ein Milliliter EDTA- oder Kapillarblut entnommen. Beim manuellen Verfahren wird daraus ein gefärbter Blutausstrich erstellt und die einzelnen Leukozytenuntergruppen unter dem Mikroskop werden gezählt. In der Regel wird dies jedoch nur ergänzend zur automatischen Zählung mit Laborgeräten durchgeführt. „Großes“ und „Differenzialblutbild“ werden häufig synonym verwendet, tatsächlich ist das große Blutbild aber die Kombination von kleinem und Differenzialblutbild.
Normwerte sind lediglich Richtwerte
Im Differentialblutbild gelten folgende Normwerte für Erwachsene:
+ Stabkernige neutrophile Granulozyten 150–400/μl (3-5 %)
+ Segmentkernige neutrophile Granulozyten 3.000–5.800/μl (50–70 %)
+ Eosinophile Granulozyten 50–250/μl (1–4 %)
+Basophile Granulozyten 15–50/μl (0–1 %)
+ Monozyten 285-500/μl (3–7 %)
+ Lymphozyten 1.500–3.000/μl (25–45 %)
Drei Arten von Granulozyten Sie wandern im peripheren Blut und haben die Fähigkeit, in Gewebe und Schleimhaut einzudringen. In den Gefäßen bewegen sie sich entlang der Gefäßinnenwand und scannen diese auf Krankheitserreger. Da Granulozyten in der Lage sind, sich kleinere Partikel einzuverleiben und unschädlich zu machen (Phagozytose), bezeichnet man sie auch als Fresszellen. Anhand ihrer unterschiedlichen Färbung im Blutausstrich unterscheidet man neutrophile, eosinophile und basophile Granulozyten. Sie spielen hauptsächlich bei Infektionen und Entzündungen eine Rolle, können aber auch auf Mangelerscheinungen, Vergiftungen, Allergien, Tumore oder Autoimmunerkrankungen hinweisen.
Links oder rechts? Mit Abstand am häufigsten sind neutrophile Granulozyten. Sie sind zum Beispiel dann deutlich erhöht, wenn der Körper eine starke bakterielle Infektion durchmacht. Im Blut zeigen sich dann sehr viele neugebildete, stabkernige Neutrophile, was man als Linksverschiebung bezeichnet. Steigt die Neutrophilenzahl bei einer Linksverschiebung hingegen nicht an, kann dies auf eine myeloische Leukämie hinweisen, da der Körper verbrauchte Neutrophile nicht mehr in ausreichendem Maße aus dem Knochenmark ersetzen kann. Eine eingeschränkte Produktion Neutrophiler ist jedoch auch die Ursache einer Rechtsverschiebung, das heißt einer zu hohen Zahl alter Neutrophiler, die man an ihren segmentierten Zellkernen erkennt.
Ursache hierfür kann eine Chemotherapie oder die Gabe von Glucocorticoiden sein. Eine Neutropenie, also eine insgesamt zu geringe Neutrophilenzahl, kann auf relativ harmlose Ursachen wie Virusinfekte hinweisen, aber auch auf Tumoren wie das multiple Myelom oder eine Autoimmunerkrankung wie Lupus. Hauptaufgabe der deutlich selteneren eosinophilen Granulozyten ist hingegen die Abwehr von Würmern und Parasiten, weshalb sie bei solchen Erkrankungen und auch bei Allergien erhöht sind. Eine ähnliche Funktion haben die noch selteneren Basophilen, die ebenfalls bei Parasitenbefall sowie allergischen Reaktionen wie Asthma oder Heuschnupfen höhere Werte aufweisen.
Gezielte Attacke Im Gegensatz zu den relativ unspezifisch arbeitenden Granulozyten reagieren Lymphozyten als zweite Verteidigungslinie sehr viel gezielter auf neue Angreifer. Nach dem Ort ihrer Reifung im Knochenmark oder der Thymusdrüse unterscheidet man B- und T-Lymphozyten. B-Zellen bilden nach der Bindung eines Antigens des Erregers spezifische Antikörper gegen ihn, während T-Zellen ihn nach einem solchen Kontakt direkt zerstören können und zudem über Botenstoffe die restliche Immunabwehr gegen den Feind aktivieren. Zu viele Lymphozyten im Blut können ein Anzeichen bakterieller oder viraler Infektionen sein, aber auch auf chronisch entzündliche Darmerkrankungen oder eine lymphatische Leukämie hinweisen. Zeigt das Blutbild dauerhaft zu wenig Lymphozyten, kann das auf auf Stress, Autoimmunerkrankungen (Rheumatoide Arthritis, Lupus) oder auch unter anderem auf ein Non-Hodgkin-Lymphom zurückzuführen sein.
Wandelbare Zellen Wie die Granulozyten zirkulieren auch die Monozyten im Blut. Bei Kontakt mit Erregern wandern sie in das betroffene Gewebe ein und wandeln sich dort in Makrophagen oder dendritische Zellen um. Beides sind Fresszellen, die Krankheitserreger zerstören, aber auch eine gezielte Immunantwort der Lymphozyten auslösen können. Makrophagen vermögen das aber nur bei T-Zellen, die bereits mit einem Erreger in Verbindung gekommen sind, während dendritische Zellen auch T-Zellen aktivieren können, die noch keinen solchen Kontakt hatten. Länger anhaltende hohe Monozyten-Werte können ein Hinweis auf schwere bakterielle Infektionen, Tropenkrankheiten oder Autoimmunprozesse wie etwa bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder Kollagenosen sein.
Besonders hohe Monozytenwerte können Anzeichen für bestimmte Blutkrebsformen oder andere Tumore sein. Eine alleinige stark erniedrigte Monozytenzahl kommt hingegen so gut wie nicht vor, meist sind andere Leukozytenwerte dann auch sehr niedrig. Natürlich bedeutet eine Abweichung von diesen Werten nicht automatisch eine behandlungswürdige oder gar gefährliche Erkrankung. Viele Leukozytenzahlen können auch einfach nur durch Stress oder körperliche Anstrengung verschoben sein. Daher müssen die jeweiligen Werte immer im Zusammenhang mit den Beschwerden und Symptomen der Betroffenen interpretiert werden.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/2021 ab Seite 134.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist