Logo © DIE PTA IN DER APOTHEKE
© DIE PTA IN DER APOTHEKE

Repetitorium

BLUTGERINNUNGSSTÖRUNGEN - TEIL 2

Was sind der Quick- beziehungsweise der INR-Wert? Wie kann eine übermäßige Blutung gestoppt werden? Die Ursachenbehandlung, Möglichkeiten der Diagnose und leichten Therapieüberwachung sind Thema dieses Teils.

Seite 1/1 7 Minuten

Seite 1/1 7 Minuten

Im Blut sollten sich Gerinnung und Gerinnungsauflösung die Waage halten. Das ist kurz und knapp die Quintessenz des ersten Repetitoriumsteils: Ist das sensible Gleichgewicht gestört, gilt es dies möglichst schnell und zeitnah zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Das Vorliegen einer höheren Blutungstendenz erkennen Betroffene, wenn sie sehr häufig und besonders lang und ausgiebig bluten, etwa vermehrt und intensiv blaue Flecken – selbst ohne Stoßen – auftreten oder intensives Nasen- oder Zahnfleischbluten vermehrt vorkommt (hämorrhagische Diathesen, Minuskoagulopathien), vergleichsweise leicht selbst – und gehen – hoffentlich – zum Arzt. Schwieriger scheint in der Praxis das rechtzeitige Erkennen von erhöhter Gerinnungstendenz, also das Bemerken von Vorboten einer Thrombophilie (Pluskoagulopathien) mit Neigung zur Ausbildung von Thrombosen.

Diagnosestellung Wichtig für den Arzt sind neben der Eigen- und Familienanamnese, ob thrombogene Grunderkrankungen wie Tumoren oder entzündliche Erkrankungen vorliegen. Die genaue Diagnose wird erst nach klaren Laboruntersuchungen gestellt. Hierzu gehört standardmäßig als Basisdiagnostik das große Blutbild mit Thrombozytenzahlbestimmung (gegebenenfalls auch deren Funktionsbestimmung), Leberenzym- und Kreatinin-Messung, insbesondere aber auch die Bestimmung der Blutungszeit (kleine Hautwunde – Zeitmessung bis zur ersten Blutstillung, primäre Hämostase) sowie die Gerinnungsfähigkeit des Blutes selbst. Dieser Quick-Test überprüft die Funktion des extrinsischen Gerinnungssystems, indem das abgenommene Blut sofort mit einem speziellen Substrat (Citrat) versetzt wird, das die Blutgerinnung verhindert.

Im Labor wird die Gerinnung dann durch Zugabe von Gewebethromboplastin und Kalzium-Ionen gestartet und die Zeit bis zur Gerinnselbildung gemessen. Der Quick-Wert wird anschließend als das Verhältnis des Patientenplasmas zum Normalplasma angegeben und sollte bei Erwachsenen zwischen 70 und 120 Prozent liegen. Da die Quickwerte verschiedener Laboratorien allerdings schlecht miteinander zu vergleichen sind, wurde der INR (International Normalized Ratio)-Wert eingeführt. Alle Untersuchungen werden hierzu an einem Standard der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kalibriert, was die Werte vergleichbar macht. Ganz normal wäre ein INR-Wert von etwa 1,0. Ein höherer INR-Wert zeigt eine eingeschränkte Gerinnung an. Bei Patienten mit Herzklappenersatz, Myokardinfarkt oder Vorhoffflimmern sollte der angestrebte Zielwert zwischen zwei und drei liegen.

Der Quick- oder INR-Wert wird jedoch nicht nur zur Diagnosestellung, also bei Verdacht auf eine Gerinnungsstörung, verwendet. Er dient auch zur Verlaufskontrolle von Lebererkrankungen mit Synthesestörung von Gerinnungsfaktoren und zur Überwachung einer antikoagulativen Therapie (siehe Repetitoriumsteil 3). Insbesondere die oralen Antikoagulanzien, allen voran die Cumarine, sind hiefür berüchtigt. Hier ist regelmäßige INR-Messung immens wichtig. Durch die Einführung der INR zur Wirkungskontrolle und die Verbreitung der Selbstkontrolle unter den Patienten ist die hämostaseologische Therapie deutlich sicherer geworden. Weiterer Teil der Basisdiagnostik ist die Bestimmung der partiellen Thromboplastinzeit (PTT), welche das intrinsische Gerinnungssystem überprüft.

Der Test funktioniert ähnlich dem Quick-Test, nur dass die Gerinnung hier durch Zugabe von partiellem Thromboplastin (ohne Proteinanteil), einem Kontaktaktivator sowie Kalzium-Ionen gestartet wird. Der Referenzwert sollte bei 20 bis 38 Sekunden liegen. Ein erhöhter Wert kann auf Fibrinogen-Mangel oder einen Mangel an Gerinnungsfaktoren, die im intrinsischen System eine Rolle spielen, beruhen. Auch eine Heparin-Therapie kann den PTT-Wert erhöhen. Umgekehrt tritt eine verkürzte PTT bei Thrombozytosen (Blutplättchen-Anzahl zu hoch) und Hyperkoagulabilität (erhöhter Gerinnbarkeit des Blutes) auf. Insofern ist die Messung nicht nur bei Verdacht auf Gerinnungsstörungen relevant, sondern auch zur Kontrolle einer Heparin-Therapie oder einer Gerinnungsfaktor- Substitutionstherapie bei Hämophilie-Patienten.

Die INR (International Normalized Ratio)-Wert-Messung, früher „Quick“-Wert (in Prozent) oder auch der APTTWert (aktivierte partielle Thromboplastinzeit) kann im Bedarfsfall durch weitere spezielle Diagnostik (etwa genaue Gerinnungsfaktoren-Bestimmung, Fibrinogen-Wert) – meist in Speziallaboren (hämostaseologischen Zentren) durchgeführt – ergänzt werden. Für den Erhalt der individuellen Balance zwischen Gerinnselbildung und -auflösung stehen heute oral wirksame und parenterale Wirkstoffe sowie verschiedene Blutprodukte zur Verfügung.

Behandlung der erhöhten Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese) Ab einem Verlust von einem Liter Blut besteht beim Erwachsenen akute Schockgefahr. Bei größeren äußeren Blutungen ist schnelles Anlegen eines Druckverbandes unerlässlich, um die Blutungsquelle zum Stillstand zu bringen. Eventuell zusätzlich notwendig kann das Abbinden der Blutgefäße sein, dazu Hochlagern des betroffenen Körperteils. Bei kleineren Wunden wird zur örtlichen Blutstillung Eisen(III)-chlorid verwendet, das Eiweiß zum Koagulieren bringt (blutstillende Watte). Die Entwicklung von Hämostyptika, also Medikamenten, die insbesondere bei lebensbedrohlichen Blutungen, eine Hämostase sehr schnell wieder herstellen (Blutgerinnung fördern), war in der Vergangenheit – verglichen mit die Hämostase hemmenden Arzneimitteln (Gerinnungshemmern) – leider nur von geringerem Erfolg gekrönt. Umso wichtiger ist eine sinnvolle Therapie bei Blutungen, die sich immer nach den Ursachen für die übermäßige Blutungsneigung zu richten hat.

Thrombozyten-bedingte Blutungsneigung: Ist ein Mangel oder eine Veränderung der Blutplättchen Schuld? Dies kann Folge einer immunologischen Reaktion gegen bestimmte Arzneimittel sein, etwa gegen Schmerzmittel (manchmal vorkommend bei Acetylsalicylsäure), Entzündungshemmer, Antibiotika. Dann ist meist das Absetzen dieser Medikamente und eine Veränderung der zugrundeliegenden Therapie angesagt. Handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, muss diese behandelt werden. Ansonsten existieren heute Thrombozyten-Konzentrate. Glukokortikoide können vorübergehend ebenfalls die Thrombozytenzahl im Blut erhöhen, die Bildung von Autoantikörpern verhindern und sogar die Membrandurchlässigkeit von Kapillaren verringern. Nicht indiziert sind sie jedoch bei einer Thrombozytenbildungsstörung.

FORMEL DER INR-MESSUNG:
INR = Thromboplastinzeit Patientenplasma: Thromboplastinzeit Kontrollplasma (WHO)

Gefäßbedingte Blutungsneigung: „Undichte“ Gefäße können altersbedingt häufiger vorkommen, was sich meist in peripheren Hautblutungen äußert. Es existieren hier auch angeborene Störungen oder Blutungen, hervorgerufen durch eine Langzeit-Kortison-Behandlung. Wirklich ernsthafte Blutungen sind jedoch selten. Ansonsten kann bei einer Verbrauchskoagulopathie, also bei einem akuten Verbrauch zirkulierender Gerinnungsfaktoren, etwa infolge ausgedehnter Gefäßwandschäden, Strömungsverlangsamung des Blutes (häufig im Schock), bei bestimmten Geburtskomplikationen, wie vorzeitiger Plazentalösung, Fruchtwasserembolie, bei Hirn- und Lungenoperationen ein plötzlicher Fibrinmangel auftreten – und die daraus resultierenden Blutungen mittels Infusion von Fibrinogen zum Stehen gebracht werden. Fibrinkleber, häufig eine Mischung aus Fibrinogen, Thrombin und Faktor VIII beziehungsweise Kalziumchlorid, kann örtlich Wunden (bei Operationen auch an Organen) verkleben – und ist in der minimal-invasiven Chirurgie heute meist Methode der Wahl (anstelle der Naht).

Koagulopathien (Gerinnungsstörung aufgrund von Gerinnungsfaktor- Mangel): Die erworbenen Formen sind weit häufiger als die angeborenen. Insbesondere, da die Leber für die Bildung vieler Gerinnungsfaktoren Vitamin K benötigt, zieht ein Vitamin K-Mangel Kreise. Zwar kann der tägliche Vitamin K-Bedarf – bei ausreichender Resorption – leicht mit der Nahrung gedeckt werden. Es kommt praktisch in allen grünen Gemüsen vor, insbesondere Spinat und Kohl sind reichhaltig. Aber bei einer Therapie mit Antikoagulanzien (Cumarinen), Resorptionsstörungen etwa aufgrund einer Obstruktionen der Gallenwege, langdauernder Antibiotikatherapie und Magen-Darm-Anomalien sind Mangelzustände möglich. Therapie der Wahl ist dann die Vitamin-K-Substitution. Das fettlösliche Vitamin K (Phyllochinon) ist ein Sammelbegriff für zwei natürlich vorkommende und einige weitere synthetische Verbindungen mit Vitaminwirkung. Phyllochinon ist für die Synthese der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X sowie der Gerinnungsregulatoren Protein C und Protein S essentiell. Es dient dabei als Cofaktor bei der Gamma-Carboxylierung von glutaminsäurehaltigen Seitenketten zu Gamma-Carboxyglutamyl-Verbindungen.

Diese dienen dann als Bindungsstelle für Kalzium-Ionen, wodurch eine Konformationsänderung der Gerinnungsfaktoren herbeigeführt wird, die Voraussetzung für deren Funktion ist. Kalzium spielt demzufolge ebenfalls eine sehr wichtige Rolle bei der Blutgerinnung. Wird dem Blut das Kalzium entzogen, kann es nicht mehr gerinnen. Die Vitamin-K-Substitution kann oral (zehn bis 20 Milligramm täglich) oder – insbesondere bei lebensbedrohlichen Blutungen im Rahmen von Überdosierungen von Antikoagulanzien – auch intravenös erfolgen (Merke: Vitamin K = „Antidot“ bei Cumarin-Überdosierung). Aufgrund eines physiologischerweise noch begrenzten Vitamin KSpeichers nach der Geburt und des dadurch erhöhten Risikos für Blutungen, insbesondere Hirnblutungen, wird bei allen Neugeborenen in Deutschland sogar routinemäßig eine Vitamin K-Substitution durchgeführt (jeweils zwei Milligramm peroral bei den Vorsorgeuntersuchungen U1, U2, U3, bei bestehendem Risiko auch intramuskuläre oder intravenöse Gabe).

Relativierend muss allerdings zugestanden werden, dass die Vitamin K-Gabe den Prothrombingehalt des Blutes nur dann erhöhen kann, wenn die Leber diese Substanz (und nachfolgend obengenannte Blutgerinnungsfaktoren) noch zu bilden vermag. Ist diese schwer geschädigt, etwa bei einer Leberatrophie oder Leberzirrhose, sind Vitamin-K-Produkte in der Regel unwirksam. Daneben existieren die angeborenen Formen, wie die bekannten „Bluterkrankheiten“ Hämophilie A (Mangel an funktionstüchtigem Blutgerinnungsfaktor VIII, 80 Prozent aller „Bluter“), Hämophilie B (Mangel an funktionstüchtigem Faktor IX; Vorkommen: recht selten) oder auch das „von Willebrand-Syndrom“, bei dem ein zur Gerinnungsfaktor- Bildung relevantes Eiweiß fehlt.

Auch hier richtet sich die Therapie nach Ursache und Schwere: Eine Substitutionstherapie mit fehlenden Gerinnungsfaktoren sollte nur dann erfolgen, wenn sie aufgrund des Schweregrades der Gerinnungsstörung tatsächlich erforderlich ist. Die meisten vom Willebrand-Syndrom-Betroffenen sind im Alltag kaum beeinträchtigt, müssen nur vor Operationen auf ihre Erkrankung hinweisen, damit hier entsprechend Medikamente bereitstehen oder gegeben werden (Bedarfsbehandlung = on-demand-Behandlung). Die beiden wichtigsten Medikamente zur Behandlung sind ansonsten DDAVP (1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin), also Desmopressin, welches die Freisetzung von Faktor VIII aus dem Gefäßendothel fördert, und Von-Willebrand-Faktor- haltige Faktor-VIII-Konzentrate (FVIII/vWF-Konzentrate). „Bluter“ (Hämophilie A/B) haben meist eine hohe Blutungsneigung bei schon kleineren Verletzungen.

Sie müssen lebenslang Rücksicht nehmen (etwa spezielles Geschicklichkeitstraining zur Verletzungs-Vorbeugung, Meidung verletzungsträchtiger Sportarten) und sich in schweren Fällen vorbeugend dauerhaft Gerinnungsfaktoren spritzen (Prophylaxe als Dauerbehandlung). Für diese verschiedenen Gerinnungsfaktor-Mangelzustände stehen heute Blutplasma- Konzentrate sowohl mit Einzelfaktoren als auch mit mehreren Blutgerinnungsfaktoren zu Verfügung. Manche von ihnen werden mittlerweile (seit den 1990er Jahren vermehrt) gentechnisch hergestellt, sodass das lange gefürchtete Infektionsrisiko, etwa an HIV, Hepatitis B oder C zu erkranken, nicht mehr besteht. Ebenso konnten mit Hilfe spezieller Reinigungsverfahren, etwa mittels monoklonaler Antikörper mittlerweile deutliche Sicherheitsverbesserungen und längere Haltbarkeiten erzielt werden. Die Forschung geht auch hier weiter.

Da etwa 30 Prozent der Hämophilie A-Patienten im Laufe der Zeit gegen Faktor VIII gerichtete Antikörper entwickeln, was die Therapie sehr schwierig macht, wurde mit Emicizumab (2016 noch in Phase-II-Studien) ein humanisierter bispezifischer Antikörper zur subkutanen Injektion entwickelt, der diese Schwierigkeit umgehen soll. Auch Antithrombin- Hemmer werden als neuer Ansatz bei Hämophilie in Studien untersucht. Rein zur örtlichen Blutstillung werden Eisensalze (blutstillende Watte), Thrombokinase, Thrombin und Fibrinschaum, der getrocknet konserviert wird, verwendet. Bei einer zu starken Gerinnungsreaktion (Thrombosegefahr) lässt sich das Gerinnungssystem umgekehrt ganz gezielt mit Medikamenten beeinflussen. Hierzu mehr im dritten und letzten Repetitoriumsteil.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/17 ab Seite 86.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

×