Serien Spoileralarm
ATYPICAL
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Eine anstrengende Schwester, die besorgte Mutter, seine attraktive Therapeutin und nervige Klassenkameraden – das sind die Schwierigkeiten, mit denen der 18-jährige Sam Gardner (Keir Gilchrist), die Hauptperson der US-amerikanischen Serie Atypical, beschäftigt ist. In die Schule geht er meist mit schalldämpfenden Kopfhörern, um die Umwelt nicht zu nah an sich heranzulassen. Er hat eine Vorliebe für Pinguine, weiß sehr viel über die Tiere und nutzt sie als Maßstab, um die Welt zu verstehen. Dass er in der Schule als Spinner gilt, ist ihm durchaus bewusst. Dennoch wünscht er sich eine Freundin und möchte – wie andere Jugendliche – mit dem Daten beginnen. Sein bester Freund Gockel Zahid (Nik Dodani) steht Sam zur Seite, erklärt ihm die Regeln des Flirtens und gibt ihm pausenlos Tipps, wie er auf der Suche nach einer Freundin am besten vorgehen sollte.
Sams Schwester Casey (Brigette Lundy-Paine) hingegen übernimmt die Rolle der Beschützerin ihres Bruders – sie selbst ist sportlich sehr talentiert und führt derzeit auch ihre erste Beziehung. Sams Mutter Elsa (Jennifer Jason Leigh) verbringt viel Zeit in einer Autismus-Selbsthilfegruppe, ist stets unter Strom und legt sich schließlich einen jungen Liebhaber zu, während Sams Vater Doug (Michael Papoport) auf dem besten Weg ist, die Krankheit seines Sohnes endlich zu akzeptieren. Insgesamt führt Sams Suche nach Unabhängigkeit seine gesamte Familie auf einen Weg der Selbstfindung. Sogar Mitglieder der amerikanischen Autism-Community bewerten die Serie Atypical als glaubwürdig und gut recherchiert, allerdings gibt es auch zahlreiche Kritiken, insbesondere an so manchen krankheitsspezifischen Stereotypen, die übertrieben werden und den Hauptdarsteller Sam teilweise zur Karikatur eines Autisten werden lassen.
Gefangen in der eigenen Welt Autisten wirken oft zurückgezogen, unnahbar und unzugänglich, gelten als sozial inkompetent und es bereitet ihnen häufig Schwierigkeiten, soziale Interaktionen (zum Beispiel beim Blickkontakt, in der Gestik oder Mimik) zu betreiben. Betroffenen mangelt es an Empathie und am Verständnis für die Gedankengänge ihrer Mitmenschen. Sie ignorieren gesellschaftliche Normen und sind nicht in der Lage, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen – auch, weil sie meist nicht erkennen, wie sich ihr Gegenüber fühlt. Autisten können sogar Basis-Gefühle wie Freude, Trauer, Wut oder Ekel oft nicht voneinander abgrenzen. Typisch ist außerdem, dass sie wiederholte, stereotype Verhaltensweisen zeigen, Detailwissen (in der Serie etwa Sams Leidenschaft für Pinguine) aufweisen oder besondere Begabungen besitzen. Von Autismus betroffene Kinder fallen meistens auf, weil sie wenig bis gar nicht reden und keine Kontakte zu Altersgenossen wünschen. Zusätzlich können bei ihnen Phobien, Aggressionen, Schlaf- und Essstörungen auftreten.
Abgeschwächte Form Asperger-Autisten weisen deutlich geringere Anzeichen auf als Kinder mit frühkindlichem Autismus (Kanner-Autismus). Erste Auffälligkeiten treten beim Kanner-Autismus bereits ab dem zehnten Lebensmonat auf, während sich die Symptome bei Asperger-Autisten erst ab dem dritten Lebensjahr bemerkbar machen. Bei beiden Formen haben Patienten Probleme in sozialen Situationen und meiden Blickkontakte, die daher nur selten und flüchtig erscheinen. Betroffene mit frühkindlichem Autismus sind motorisch nicht auffällig, Asperger-Autisten zeigen hingegen häufig motorische Störungen und agieren ungeschickt. Jedoch geht Autismus auch mit einigen Stärken einher, welche sich in Zuverlässigkeit, einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, einem guten Gedächtnis, Spezialinteressen sowie einer hohen Leistungsbereitschaft äußern. Asperger-Autisten entwickeln sich geistig normal, im Gegensatz zu Kanner-Autisten, bei denen es große intellektuelle Unterschiede gibt und daher nicht selten eine Sonderbeschulung notwendig ist.
Verschiedene Ursachen Es gibt unterschiedliche Erklärungsansätze für die Entstehung von Autismus, allerdings hat sich eine einzelne Theorie bisher nicht durchgesetzt, sodass man davon ausgeht, dass das Leiden auf mehrere Ursachen zurückzuführen ist. Hierzu zählen genetische Faktoren, Umwelteinflüsse, das elterliche Alter bei der Geburt oder Risikofaktoren in der Schwangerschaft. Auch neurologische Auffälligkeiten könnten einen Beitrag zur Entwicklung von Autismus leisten: Untersuchungen an Patienten mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) machten deutlich, dass die Aktivität in der Hirnrinde (Ort der emotionalen und sozialen Reaktivität) Betroffener reduziert ist. Zusätzlich scheint die Reaktion der Spiegelneuronen verzögert zu sein: Diese sind zwar bei eigenen Handlungen aktiv, allerdings nicht, wenn die Aktionen der Mitmenschen beobachtet werden. Man vermutet daher, dass Autisten deshalb keine Empathie aufweisen und sich somit nicht in andere Menschen hineinversetzen können. Anatomisch fällt bei autistischen Kindern auf, dass ihr Gehirn ab dem ersten Lebensjahr überdurchschnittlich groß ist, was auf eine Überproduktion von Synapsen und eine unzureichende Synapsenausdünnung zurückzuführen sein könnte.
Interventionsmöglichkeiten Es existieren verschiedene Therapieansätze, um die soziale Interaktion sowie die kommunikativen Fertigkeiten zu trainieren und Betroffenen ein möglichst normales, soziales Leben zu ermöglichen. Zur Behandlung geeignet sind unter anderem psychotherapeutische sowie pädagogische Maßnahmen, zum Beispiel erfahren Autisten in alltagsnahen Rollenspielen, wie sie in ihrem sozialen Umfeld am besten zurechtkommen. Eine frühe, intensive Verhaltenstherapie verspricht bei ausreichender Intensität gute Erfolge. Bewährt haben sich auch Autismus-spezifische Kompetenztrainings in der Gruppe – hier können insbesondere die soziale Kompetenz sowie der Umgang mit Ärger und Wut verbessert werden.
Es ist außerdem wichtig, Angehörige zu unterstützen, denn die Erkrankung stellt auch für sie eine hohe Belastung dar: Selbsthilfegruppen bieten etwa die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Elternberatungen, die von qualifizierten Psychotherapeuten durchgeführt werden, sind ebenfalls sinnvoll, damit Angehörige theoretisches Wissen über die Erkrankung und deren Behandlungsmöglichkeiten erfahren und Strategien erlernen, wie sie in schwierigen Situationen am besten reagieren. Pflegende Eltern sollten allerdings ihre eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen verlieren und bei Bedarf stundenweise Aufsicht oder Kurzpflegeeinrichtungen in Anspruch nehmen.
Weitere Maßnahmen Es gibt keine Arzneimittel gegen Autismus, allerdings können begleitende Depressionen, Ängste oder unkontrollierte Emotionen wie Aggressivität durch entsprechende Medikamente unter strenger Indikationsstellung des Arztes verbessert werden. Zusätzlich fördern logopädische oder Ergotherapien Patienten mit Autismus.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/17 ab Seite 150.
Martina Görz, PTA und Fachjournalistin