Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern
ADHS
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Während die meisten Kinder in der Schule ruhig an ihrem Tisch sitzen und arbeiten, zappeln andere herum, lassen ständig ihre Stifte fallen, sehen aus dem Fenster oder ziehen an ihren Schnürsenkeln. Sie verlieren Bleistifte, Bücher und anderes Lernmaterial, vergessen Hausaufgaben oder Abgabetermine und zeigen häufig störendes Verhalten im Unterricht. Kinder mit ADHS haben große Schwierigkeiten, bei einer Aufgabe zu bleiben. Sie sind impulsiv und ignorieren soziale Verhaltensregeln. Oft haben sie Probleme, Freunde zu finden, denn die anderen Kinder haben keine Lust mit ihnen zu spielen, weil sie sich nicht an Spielregeln halten oder andauernd abgelenkt sind.
Geschlechtsunterschiede Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist im ICD-10 unter F90 gelistet und gehört zu den hyperkinetischen Störungen. Diese treten in der frühen Entwicklung auf und kennzeichnen sich durch einen Mangel an Ausdauer bei Beschäftigungen, die einen kognitiven Einsatz verlangen. Die Übergänge von einem normalen Verhalten des Kindes bis hin zu einer ADHS sind dabei fließend. Drei bis sechs Prozent der Schulkinder leiden unter der Erkrankung und sind von Unaufmerksamkeit, übermäßiger motorischer Aktivität sowie schulischen und sozialen Problemen betroffen.
Bei Jungen kommt die Erkrankung etwa viermal so oft vor wie bei Mädchen, allerdings scheint die Störung bei vielen Mädchen übersehen zu werden – entweder weil die Symptome bei ihnen weniger auffällig sind oder weil ein geschlechtsbedingtes Vorurteil besteht. Daraus resultiert, dass ein Junge, der den Unterricht stört, mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Therapie erhält als ein Mädchen.
Verschiedene Anzeichen Bemerken Eltern, dass sich ihr Nachwuchs nicht länger als einige Minuten auf eine Aufgabe, die geistige Leistungen erfordert, konzentrieren kann, besteht der Verdacht auf eine ADHS. Bei Frustrationen reagieren betroffene Kinder häufig feindselig und wütend, denn es gelingt ihnen nicht, intensive Emotionen zu beherrschen. Viele, allerdings nicht alle kleinen Patienten, sind hyperaktiv, strapazieren durch die gesteigerte motorische Aktivität die Nerven von Eltern, Erziehern und Lehrern und provozieren andere Kinder. Es fällt ihnen schwer, Aktivität zu Gunsten von Denken zu unterdrücken und irrelevante Informationen zu ignorieren.
Bei Hinweisen auf ADHS untersucht der Arzt das Kind zunächst körperlich. Dabei werden andere Erkrankungen, die als Ursache für die Verhaltensauffälligkeit in Betracht kommen, ausgeschlossen. Häufig ist die Abgrenzung zu Störungen des Sozialverhaltens im Prozess der Diagnostik nicht einfach und erfordert von Seiten des Therapeuten ausreichend Erfahrung im Umgang mit der Problematik. In Gesprächen und durch Beobachtungen gewinnt der Arzt Erkenntnisse über die Situation, während die Beschwerden auch durch Fragebögen oder standardisierte Tests erfasst werden können.
Ursachen von ADHS Die Störung ist in einzelnen Familien vermehrt vorzufinden, sodass man eine genetische Komponente vermutet. Hinzu kommt, dass bei eineiigen Zwillingen häufiger beide Geschwisterkinder betroffen sind als bei zweieiigen Zwillingspaaren. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass das Gehirn von Kindern mit ADHS langsamer wächst und ein um etwa drei Prozent geringeres Volumen als das eines nicht beeinträchtigten Kindes einnimmt. Patienten zeigen abweichende Gehirnfunktionen, wie etwa eine verminderte elektrische Aktivität oder eine reduzierte Durchblutung.
Typisch sind auch Anomalitäten in den Frontallappen der Hirnrinde sowie in anderen Arealen, die an der Aufmerksamkeit und weiteren Aspekten der motorischen Kontrolle beteiligt sind. Es scheint zusätzlich Zusammenhänge zwischen ADHS und bestimmten Umwelteinflüssen zu geben. Pränatale Teratogene (etwa Alkohol, Drogen oder Nikotinkonsum) korrelieren mit Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit, zudem kommen Kinder mit ADHS häufiger aus zerrütteten Familien. Diese Belastungen verursachen die Störung zwar nicht, vielmehr trägt das Verhalten des Kindes weiter zu den familiären Schwierigkeiten bei, was sich wiederum negativ auf die bereits vorhandene Aufmerksamkeitsproblematik auswirkt.
Methylphenidat Bei hyperkinetischen Störungen ist eine multimodale Behandlung bestehend aus Arzneimitteln sowie kind- und elternzentrierten Therapiebestandteilen indiziert. Zu der medikamentösen Behandlung gehört die Anwendung des Wirkstoffs Methylphenidat. Dieser wirkt auf die Dopamin-Rezeptoren im Gehirn, indem es die Verfügbarkeit des Neurotransmitters im synaptischen Spalt erhöht. Die Substanz unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz, ihre Dosierung wird nach einer strengen Indikationsstellung individuell festgelegt.
In einigen Fällen können Nebenwirkungen wie Schlaf- und Essstörungen, Bluthochdruck und vermindertes Wachstum auftreten. Die häufige Sorge der Eltern, ihr Kind würde von dem Medikament abhängig, ist in der Regel unberechtigt, denn Methylphenidat verfügt über ein geringes Suchtpotential. Seit April 2011 ist der Wirkstoff auch für Erwachsene mit ADHS zugelassen. Bei ihnen äußert sich das Syndrom ebenfalls durch Konzentrationsschwierigkeiten, Nervosität, unkontrollierte Emotionen, Reizbarkeit oder Wutanfälle.
Atomoxetin Im März 2005 wurde der selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Atomoxetin in Deutschland für die Indikation ADHS zugelassen. Die Substanz unterliegt nicht (wie Methylphenidat) dem Betäubungsmittelgesetz. Ursprünglich sollte der Wirkstoff als Antidepressivum eingesetzt werden, bei dieser Indikation erwies sich das Medikament allerdings nicht als effektiv. Atomoxetin wird einschleichend und körpergewichtsangepasst dosiert und ist normalerweise gut verträglich.
Als Nebenwirkungen können Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen oder abdominale Beschwerden auftreten. Ein Nachteil der Einnahme besteht darin, dass die Substanz aggressives Verhalten und Suizidhandlungen begünstigt. Betroffene sollten daher engmaschig beobachtet werden. Bei Suizidgedanken ist das Medikament sofort abzusetzen.
Verschreibungsfreie Varianten Zur Behandlung von Lern- und Konzentrationsproblemen sind Komplexhomöopathika mit Chamomilla, Kalium phosphoricum und Staphisagria geeignet. Auch Nahrungsergänzungsmittel mit Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren sowie Zink und Magnesium sollen die Symptomatik verbessern.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/17 ab Seite 122.
Martina Görz, PTA und Fachjournalistin