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HIV/AIDS – Teil 2

VIRUS OHNE SCHRECKEN?

HIV-Patienten haben heute nahezu die Lebenserwartung von Nicht-Infizierten. Sie müssen allerdings eine lebenslange, zum Teil belastende Therapie strikt einhalten.

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Bis heute ist es nicht möglich, einmal erworbene HI-Viren wieder ganz loszuwerden. Es gibt aber zahlreiche wirksame Medikamente, die ihre Vermehrung gezielt unterbinden.

Antiretrovirale Substanzen Die Medikamente setzen an verschiedenen Stellen des Replikationszyklus des HI-Virus an: Zum Beispiel hemmen sie die Reverse Transkriptase (RT), ohne deren Aktivität infizierte Zellen nicht im Sinne einer Virusvermehrung „umprogrammiert” werden können. Es gibt Nukleosidische beziehungsweise Nukleotidische (NRTI/NtRTI) und Nicht-nukleosidische Inhibitoren der RT (NNRTI). In diese Wirkstoffklassen gehören beispielsweise Tenofovir und Efavirenz. Oder sie blockieren ein anderes viruseigenes Enzym, das im Rahmen der Bildung neuer Viruspartikel in der Wirtszelle nötig ist, und machen so die Neubildung infektiöser Viren unmöglich. Diese Gruppe stellen die Protease-Inhibitoren (PI) wie Darunavir.

ANPASSUNGSFÄHIG
HI-Viren sind in der Lage, sich sehr rasch an neue Bedingungen anzupassen, sie werden daher schnell
unempfindlich gegenüber Medikamenten in Monotherapie. Unter den zahlreichen Mutationen, die ohnehin permanent im Rahmen ihrer schnellen Vermehrung entstehen, können immer auch Veränderungen an Stellen auftreten, an denen Medikamente ansetzen. Ein derart verändertes Virus kann sich dann auch in Gegenwart der betreffenden Substanz reproduzieren, die Medikation wird unwirksam.

Ein weiteres Wirkprinzip besteht darin, die Einschleusung der Virusnukleinsäure in das Genom der menschlichen Wirtszelle zu verhindern; dafür sorgen Integrase-Inhibitoren wie Raltegravir. Die Entry-Inhibitoren verhindern, dass das Virus überhaupt in die Zelle gelangt; in diese Kategorie gehört der Fusions-Inhibitor Enfuvirtid, auch als T-20 bezeichnet. Der Therapieerfolg ist umso größer, je weniger Viren sich noch in der Zirkulation befinden. Gemessen wird dies anhand der Viruslast (VL): als Zahl der Kopien an Virus-RNA pro Milliliter (ml) Plasma; angestrebt werden Werte unter der Nachweisgrenze – je nach Messtechnik: 20 bis 50 HIV-RNAKopien/ ml.

Das Virus von mehreren Seiten bekämpfen Um die Selektion von Resistenzen zu vermeiden, werden Anti- HIV-Medikamente stets kombiniert als HAART (hochaktive antiretrovirale Therapie) gegeben. Diese umfasst meist drei Medikamente aus mindestens zwei verschiedenen Wirkstoffklassen. Einige häufig gemeinsam verwendete Substanzen sind auch als fixe Kombinationen erhältlich. Das Ansprechen auf die Therapie wird durch regelmäßige Laborkontrollen (Viruslast und CD4-Zellzahl) überprüft.

Antiretrovirale Therapieregime müssen oft umgestellt werden, zum einen, weil sich Resistenzen gebildet haben, zum anderen wegen der häufigen Nebenwirkungen wie zum Beispiel Diarrhöen und Übelkeit, Neuropathien und Schwindel. Langfristig problematisch werden können unter anderem Nieren- oder Lebertoxizität sowie Fettstoffwechselstörungen.

Für viele Patienten besonders belastend, da nach außen hin sichtbar, ist die Lipodystrophie: eine Umverteilung des Körperfetts, die zusammen mit einer Störung des Lipid- und des Glukosestoffwechsels auftritt. Oft schwindet dabei Unterhautfettgewebe der Wangen und Extremitäten sowie am Gesäß, während in der Körpermitte sowie am Nacken größere Fettansammlungen entstehen.

Kontinuierlich ausreichend hohe Wirkspiegel sind entscheidend Der hohen Gefahr der Entstehung von Resistenzmutationen kann nur durch eine ununterbrochene Suppression der Virusvermehrung begegnet werden. Dafür ist es erforderlich, dass die Wirkspiegel der Medikamente im Blut stets oberhalb der jeweiligen therapeutischen Minimalkonzentration liegen.

Da die Plasmaspiegel bei diversen antiretroviralen Stoffen stark von der Nahrungsaufnahme abhängen, müssen entsprechende Einnahmevorschriften mit Bezug auf die Mahlzeiten strikt beachtet werden. Generell verlangt die Therapie von den Patienten ein hohes Maß an Disziplin bei der Einhaltung des Therapieplans (Adhärenz): Schon geringe Unregelmäßigkeiten oder wenige vergessene Dosen können zu suboptimalen Arzneispiegeln führen, mit der Folge, dass die Virusvermehrung wieder in Gang kommt und – wegen des erhöhten Selektionsdrucks – Resistenzen entstehen.

Die HI-Viren können multiple Resistenzen erwerben und unter den Medikamenten gibt es vielfältige Kreuzresistenzen. So werden die Möglichkeiten für nachfolgende Therapien mehr und mehr eingeschränkt und es droht der völlige Verlust an wirksamen Therapieoptionen.

Problem Komedikationen Vor allem unter der Behandlung mit NNRTI oder PI sind Interaktionen mit anderen Arzneimitteln zu beachten; zu hohe Wirkspiegel können zu erhöhter Toxizität der Substanzen führen, zu niedrige die Resistenzbildung fördern. Die Liste der betroffenen Wirkstoffe ist lang, die möglichen Wechselwirkungen sind vielfältig. Hilfe bieten zum Beispiel die Datenbank der Liverpooler Universität: www.hiv-druginteractions.org oder der „Arzneicheck” beim ifap Service-Institut. Der Aspekt muss insbesondere bei Begleitmedikationen mit Makroliden, Azolantimykotika, oralen Kontrazeptiva, Statinen oder auch Sildenafil bedacht werden.

Problematisch sind in bestimmten Kombinationen auch Säureblocker. Grapefruitsaft kann die Bioverfügbarkeit verschiedener Proteasehemmer unterschiedlich beeinflussen. Gefährlich kann auch die Einnahme von Johanniskraut sein, indem es im Extremfall die Konzentration verschiedener antiretroviraler Medikamente bis zum Wirkverlust absenkt.

ZUSATZ-INFORMATIONEN

Wann mit der Therapie beginnen?
Anders als in vielen anderen Bereichen der Medizin spielt diese Frage bei der HIV-Infektion eine wichtige Rolle. Hintergrund sind die Besonderheiten dieser Erkrankung: Auf der einen Seite die drohende Krankheit AIDS, auf der anderen eine prinzipiell lebenslange Medikation mit dem Risiko immer neuer Resistenzen, die dann allmählich mehr und mehr Wirkstoffe unwirksam werden lassen, sowie zum Teil ernster Langzeit-Nebenwirkungen.

Zwischen diesen Gefahren muss sorgsam abgewägt werden; auch die Empfehlungen werden immer wieder neu gefasst. Der richtige Zeitpunkt des Therapiebeginns hängt vom Immunstatus des Patienten (CD4-Zellzahl) und der Viruskonzentration im Blut ab, sowie natürlich auch davon, wie krank der Betroffene bereits ist. Sinkt die Zahl der Immunzellen unter eine gewisse Schwelle – derzeit gelten 350 CD4-Zellen/µl, spätestens jedoch 200 CD4-Zellen/µl als Grenzwert – wird in jedem Fall zur Therapie geraten.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 01/13 ab Seite 56.

Waltraud Paukstadt, Dipl. Biologin

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