Die Streitkultur in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. © Jupiterimages / liquidlibrary/ Thinkstock

Psychologie | Streitkultur

STREITKULTUR: DEUTLICH MEHR BRUTALITÄT

In Deutschland hat sich die Streitkultur deutlich verändert. Es ist wesentlich brutaler geworden. Dieser Ansicht ist der Münchner Psychologe Klaus Neumann. Obwohl in Zeiten des Internets vieles darüber abgewickelt wird, ist es nichts Ungewöhnliches, dass sich Streithähne persönlich begegnen und den Zwist austragen. Was genau hat sich nun verändert?

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Man kennt es vielleicht auch aus seiner eigenen Kindheit und Jugend, dass es mal ein Gerangel auf dem Schulhof gab. Früher war es allerdings bei solchen Uneinigkeiten so, dass spätestens, wenn einer auf dem Boden lag, aufgehört wurde. Das Ganze ist fair abgelaufen. Betrachtet man sich diese Entwicklung, so hat sich eben dieser Punkt in den letzten 30 bis 40 Jahren extrem verändert, erklärt Neumann.

Man kann also festhalten, dass Jugendliche heutzutage die Probleme immer noch persönlich klären, nicht zur digital, so Neumann. „Das Digitale ist eher die Vorbereitung des Analogen“. Hierfür führt der Psychologe das Beispiel der zwei Jugendlichen an, die sich Mitte April in Passau verabredet hatten, um einen Streit aus der Welt zu schaffen. Leider geriet die verbale Auseinandersetzung außer Kontrolle und ein 15-Jähriger starb an den Folgen seiner Verletzungen.

Der persönliche Kontakt ist für Jugendliche weiterhin wichtig. Sie chillen gemeinsam auf Parkbänken und reden über alles, was ihnen gerade einfällt. Kommt es zum Streit, wird dieser dann direkt verbal ausgetragen. „Man kann digital jemanden ins schlechte Licht rücken oder mobben. Aber dann steht man sich doch wie im archaischen Leben gegenüber und es beginnt das Hauen und Stechen“, so Neumann. Dass man mit seinem Kontrahenten diskutiert und sich im Anschluss dann die Hand gibt, ist nichts Ungewöhnliches. „Nur, dass man eben irgendwann aufhört, das ist verloren gegangen“, gibt der Psychologe zu Bedenken. Früher war es normal, Hilfe zu rufen, wenn man in der Nähe war, man hat Verantwortung übernommen. Heutzutage ist das oft nicht mehr der Fall.

Neumann stellt klar heraus, dass er kein Befürworter von tätlichen Auseinandersetzungen ist. Allerdings hält er ein Duell für etwas Nobles. Doch so etwas ist heutzutage eher selten. Diese ganze Problematik an Maßlosigkeit, Grenzenlosigkeit und Regellosigkeit findet sich für Neumann auch in der Politik wieder. Als Beispiel nennt er hier die „Echo-Verleihung“. Künstler werden für Formulierungen kritisiert, von denen man früher bereits gesagt hatte: „Das geht gar nicht, das versteht sich doch von selbst“. Diese Selbstverständlichkeit ist verloren gegangen.

Gründe für eine solche Entwicklung gibt es bestimmt viele. Neumann nennt die zunehmende Besinnung des Einzelnen auf sich selbst, als einen wichtigen Faktor. „Wir sind weggekommen von dem Gefühl, dass die Gemeinschaft zählt“. Bei jedem Einzelnen steht das Streben nach Wohlstand im Vordergrund, der Gemeinschaftsgedanke ist weit nach hinten gerückt. Allerdings ist ein Mensch ohne eine Gemeinschaft auf Dauer nicht lebensfähig. Dies wiederum hat auch mit Empathie zu tun. „Wer die Einstellung hat, dass er nicht alleine lebe, der hat schon mal Empathie“, so Neumann.

Nadine Hofmann,
Leitung Online-Redaktion

Quelle: Pharmazeutische Zeitung

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