Psychologie in der Apotheke
SELBSTVERGESSENE MOMENTE
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Kennen Sie das beglückende Gefühl, völlig in einer Tätigkeit vertieft zu sein (Konzentration) und darin aufzugehen (Absorption)? Haben Sie beispielsweise schonmal ein Buch die ganze Nacht bis zur letzten Seite durchgelesen oder beim Musizieren die Welt um sich herum vergessen? Als Flow bezeichnet man ein absolutes Aufgehen in einer Tätigkeit, wobei man sich im Hier und Jetzt befindet und das Gefühl hat, dass alles glatt läuft. Der Begriff „Flow“ stammt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Fließen, Rinnen oder Strömen.
Der mentale Zustand völliger Vertiefung wird als beglückend empfunden. Während man hoch konzentriert im Fluss ist, kommt es zu einem Verlust des Zeitgefühls. Damit der Flow allerdings eintritt, müssen sich Anforderung und Fähigkeit der Person im Gleichgewicht befinden. Die Theorie des Flows geht auf den Glücksforscher Mihály Czíkszentmihályi (1934 – 2021) zurück. Er beobachtete den Tätigkeitsrausch etwa bei Chirurgen oder bei Extremsportlern. Seine Theorie liefert eine bedeutsame Erklärung für intrinsisch motivierte Handlungen. Weitere Merkmale des Flow-Erlebens sind das Gefühl der Kontrolle, die Selbstvergessenheit sowie das Verschmelzen von Tätigkeit und Bewusstsein.
Physiologische Erklärung Eine neuere Theorie besagt, dass eine Flow-Erfahrung entsteht, wenn der präfrontale Kortex, der Bereich hinter der Stirn, herunter reguliert wird. Dieser ist für das logische Denken, für Problemlösevorgänge sowie für die emotionale Bewertung von Situationen zuständig. Im Flow zu sein kann beispielsweise depressiven Menschen helfen, das ständige Grübeln zu unterbrechen. Hilfreiche Maßnahmen bei Depressionen sind daher Sport oder Musizieren, da diese Handlungen über ein hohes Flow-Potential verfügen.
Da die Voraussetzung für den Flow darin besteht, dass man entweder entsprechend trainiert ist (beim Sport) oder das Musikinstrument kontrollieren kann (beim Musizieren), ist vorab vermutlich ein hohes Ausmaß an Übung erforderlich. Die Flow-Erfahrung kann auch zu Motivationszwecken genutzt werden: Sie ist das, wofür sich Übung und Training lohnen. Flow-Erlebnisse rufen intrinsische Motivation hervor, das heißt man versucht das Ziel für sich selbst zu erreichen und nicht für andere Personen (Ehefrau, Eltern, Freunde oder Lehrer).
Czíkszentmihályi selbst erklärte das Flow-Prinzip auf der Basis des Nervensystems. Dieses kann etwa 110 Bits an Informationen pro Sekunde aufnehmen. Um zu kommunizieren und dabei unser Gegenüber wahrzunehmen, benötigt der Mensch bereits 60 Bits pro Sekunde, sodass man maximal zwei Personen gleichzeitig verstehen kann. Im Flow-Erlebnis ist das Nervensystem so beansprucht, dass es keine Geschehnisse außerhalb dieser Tätigkeit registrieren kann, man befindet sich quasi in einem Tunnel der Konzentration.
Theoretisch kann jede Tätigkeit zum Flow führen, vorausgesetzt es handelt sich um etwas, das man gerne tut. Mag man die Aktivität nicht, beginnt man darüber zu grübeln, warum man dies überhaupt macht und verhindert das Versinken in der Handlung. Um die Grundlage für ein Flow-Gefühl zu schaffen, sollte man daher etwas auswählen, das den eigenen Fähigkeiten entspricht und einem Spaß bereitet.
Kinder als Vorbilder Kinder kann man häufig im Flow beobachten, etwa, wenn sie ins Spielen vertieft sind. Ihr Forscherdrang sowie ihre Neugierde führen sie in diesen Zustand, in dem sie ihre Aufmerksamkeit ganz auf die eine Sache richten. Sie erleben diese Momente, in denen Handeln und Bewusstsein nicht mehr voneinander zu trennen sind, relativ häufig und problemlos. Oft sind sie dann gar nicht mehr ansprechbar, sodass beispielsweise die Stimme der Mutter einfach ignoriert wird. Auf diese Weise entdeckt der Nachwuchs die Welt – Eltern sollten das Kind nicht ermahnen, wenn es versunken ist und nicht reagiert. Erwachsene können sich stattdessen von dem kindlichen Denken und Handeln inspirieren lassen, um mehr im Hier und Jetzt zu leben und den Flow-Zustand im Alltag zu erreichen.
Acht Kategorien des Flow-Erlebnisses Czíkszentmihályi beschreibt den Flow wie folgt, wovon die ersten drei Kategorien die Voraussetzung darstellen, dass es zu einer solchen Erfahrung kommt.
- Die Ziele müssen klar definiert sein und die Handlung muss zu unmittelbaren Rückmeldungen führen. Die aktiven Personen müssen diese Rückmeldungen selbst wahrnehmen, indem sie das Tun als erfreulich erleben. Diese Voraussetzungen erfüllen viele Sportarten sowie künstlerische Tätigkeiten, sodass sie zu den klassischen Flow-Aktivitäten gehören.
- Eine hohe Konzentration führt dazu, tief in die Tätigkeit einzutauchen. Die Aufmerksamkeit darauf zu richten, bereitet im Flow-Zustand keinerlei Anstrengung.
- Das Verhältnis von Fähigkeiten und Anforderungen muss ausgeglichen sein, die Person darf weder über- noch unterfordert sein. Die eigenen Fähigkeiten werden somit optimal ausgeschöpft.
- Typisch ist auch das Gefühl der Kontrolle über die eigene Handlung, wobei der Begriff Kontrolle in diesem Zusammenhang nicht als zwanghaftes Beherrschen gemeint ist.
- Die Aktivität verläuft mühelos, leicht und ohne bewusste Anstrengung.
- Der Flow-Modus wird als zeitlos erlebt. Das normale Zeitgefühl ist aufgehoben, sodass die Zeit beispielsweise vergeht wie im Flug oder sich eine Minute anfühlt wie eine Stunde.
- Aufmerksamkeit und Handlung verschmelzen im Flow-Erlebnis und der Handelnde ist mit der Tätigkeit im Einklang.
- Die Flow-Erfahrung ist autotelisch (autos = selbst, telos = Ziel), das bedeutet, dass die Aktivität an sich bereits befriedigend ist und glücklich macht. Ihr Ziel liegt demnach in dem Tun selbst: Man spricht auch vom „Immediate Return on Investment“ (IROI).
Das Flow-Erleben wird nicht nur als physisch und psychisch belohnend empfunden, sondern es kann sich positiv auf die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit auswirken und die Lebenszufriedenheit verbessern. Die Psychologen Falko Rheinberg und Stefan Engeser zeigten bereits 2008, dass Studenten, die beim Lernen von Statistik einen Flow-Zustand erreichten, in den Prüfungen besser abschnitten. Auch zwei Wissenschaftlerinnen von der Universität Zürich kamen in einer damaligen Studie zu den gleichen Ergebnissen, allerdings bezogen auf Marathonläufer.
Je häufiger die Sportler im Training im Flow waren, umso schneller absolvierten sie die Strecke im Wettkampf. Um die Stärke eines Flow-Zustands zu bestimmen, entwickelten Engeser, Rheinberg und Vollmeyer die sogenannte Flow-Kurzskala, ein Fragebogen mit Aussagen zu den entsprechenden Tätigkeiten. Forschungen deuteten außerdem darauf hin, dass es während eines Flows zu leicht erhöhten Cortisolwerten im Blut kommt. Dennoch erleben Menschen die Zustände als angenehm und nicht als stressig.
Diesen Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2022 ab Seite 130.
Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie, Fachjournalistin