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Auch bei Pflanzen gibt es Reizleitung ähnlich der in Nerven

PFLANZLICHE GEDANKENBLITZE

Pflanzen haben keine Muskeln, Nervensysteme oder gar Gehirne. Aber dennoch können manche Arten Reize erkennen und sogar blitzschnell darauf reagieren.

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Kennen Sie das auch? Menschen, die mit ihren Pflanzen reden und davon überzeugt sind, diese würden sie sogar verstehen und irgendwie reagieren? Keine Angst, es wird nicht esoterisch, denn natürlich können wir nicht mit Pflanzen kommunizieren, schon gar nicht sprachlich.

Aber gibt es nicht doch Pflanzen, die zum Beispiel auf Berührungen reagieren können, wie Mimosen, die danach recht schnell ihre Fiederblättchen schließen können? Oder die Venusfliegenfalle, die ihre Fangblätter in nur einer Zehntelsekunde schließen kann? In einem tierischen Organismus würde so etwas üblicherweise durch Sinneszellen, die den Reiz erkennen, Nervensysteme, die den Reiz weiterleiten und verarbeiten und schließlich Muskeln, die die Bewegung ausführen, realisiert. Gibt es so etwas auch in Pflanzen? Haben Pflanzen so etwas wie Nervenzellen? Und können sie am Ende vielleicht sogar doch irgendwie „denken“?

Bei Mimosen zeigen sich tatsächlich überraschende Parallelen zur Sensorik im Tierreich: Auch ihre Zellen verfügen in Ruhe über ein negatives elektrisches Potenzial zwischen dem Zellinneren und -äußeren. Wird die Zelle gereizt, so öffnen sich Kanäle in der Membran, die für bestimmte elektrisch geladene Teilchen, positiv geladene Kaliumionen und negativ geladene Chloridionen, durchlässig sind. Strömen nun Chloridionen aus oder Kaliumionen in die Zelle, so wird sie elektrisch erregt und kann, wenn ein bestimmter Schwellenwert erreicht wird, Aktionspotenziale ausbilden, ganz so, wie das in tierischen Neuronen auch der Fall ist. Diese können sich dann als elektrische Erregung über die Zellen hinweg ausbreiten und so entfernt gelegene Abschnitte ebenfalls erregen.

Diese Leitung ist schnell, bei der Fliegenfalle bis zu 20 Zentimeter pro Sekunde, was tierischen Nerven kaum noch nachsteht, und läuft über die Siebröhren der Leitungsbündel. An bestimmten Bereichen pflanzlicher Gewebe, an denen die Erregung nicht elektrisch übertragen werden kann, bedienen sich auch Pflanzen chemischer Botenstoffe, der Turgorine, was ein wenig an synaptische Übertragung zwischen Neuronen erinnert.

Und schließlich können solche Erregungswellen in Pflanzen auch Bewegungsreaktionen auslösen, hier allerdings nicht durch Muskelzellen, sondern durch schnelle Veränderungen des Zellinnendrucks, des Turgors. Dies wird dabei wiederum durch Öffnung von Ionenkanälen erreicht, Ionen strömen durch die Zellmembran, Wasser strömt nach und die Zelle „erschlafft“. Geschieht dies nur auf einer Seite etwa eines Blattgelenks, dann beugt sich der Blattstiel zu der erschlafften Seite hin.

Manche Pflanzen können also tatsächlich so etwas wie Verhalten zeigen und sie besitzen auch ein System zur Reizweiterleitung, das in vielen Aspekten an Nervensysteme erinnert. Ein Gehirn, mit dem sie denken könnten, ist das freilich noch nicht, aber vielleicht brauchen sie einfach noch ein paar hundert Millionen Jahre zusätzlicher Evolution. Wenn Sie mit Ihren Pflanzen reden wollen, ist also Warten angesagt – kennen Sie das auch?

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/15 auf Seite 12.

 


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