Verhaltenspsychologie
NUDGING: DER SANFTE STUPS ZUR BESSEREN ENTSCHEIDUNG
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Das Verb „to nudge“ lässt sich mit „schubsen“ ins Deutsche übersetzen, was eigentlich eine prima Herleitung ist für das neue „Nudging“, das uns sensibler für gesunde Ernährung machen soll. Kompliziert in der Theorie, aber in der Praxis ganz einfach – vergleichbar mit Autofahren. Während manche Verkehrsregeln umständlich klingen, erscheinen sie, sitzt man einmal hinterm Steuer, ganz plausibel. Initiiert wurde die Bewegung bereits vor zehn Jahren durch das Buch „Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt.“
Erlerntes Verhalten überdenken
Unser Verhalten verläuft in großen Teilen automatisch, das betrifft sowohl das Zähneputzen als auch unser Laufweg durch den Supermarkt um die Ecke: Dort die Papiertaschentücher von xy, hier die Butter in der Goldfolie, da den Kaffee. Aber nur den Grünen, niemals den Blauen. Haben wir mit einer Marke einmal gute Erfahrungen gemacht, dann bleiben wir auch dabei. Wir bleiben auch bei dem unkaputtbaren Geschirr, solange die Kinder klein sind. Sind jedoch die Kinder größer geworden, kann das gute Marken-Porzellan wieder auf den Tisch. Und die Tischdecke, die der Nachwuchs in jungen Jahren so gerne runtergerissen hat, auch. Sogar mal eine Blumenvase mit Wasser drin und echten Gerbera. In allen Phasen, in denen sich unser Leben ändert, überdenken wir eingefahrene Routinen. Man kennt das ja: Ist der Mann weg, lässt frau sich die Haare mal so ganz anders schneiden. Übergangsphasen können also auch dazu genutzt werden, um neue Routinen für gesündere Kaufentscheidungen und Ernährungsgewohnheiten zu entwickeln.
Nudging – die Methode
Unter Nudging versteht man die bewusste Beeinflussung menschlichen Verhaltens, ohne dabei auf ökonomische Anreize oder Zwänge zurückgreifen zu müssen. Dazu gehört auch manches aus der Verhaltensökonomie und der Psychologie. Die Bundeszentrale für Ernährung (BZfE) formuliert es eleganter: Nudging sei „ideal, um Menschen ohne Zwang zu einem ausgewogenen Essverhalten zu bewegen.“ Also eine Beeinflussung mit selbstlosen Motiven sozusagen. Das gewünschte Verhalten soll dabei für den Menschen selbst oder die Gesellschaft als vorteilhaft anerkannt sein. Der Trick dabei: Nudging setzt sozusagen an unserem Autopiloten an – jenes System, das uns zu automatischen, schnellen und wenig reflektierten Entscheidungen bewegt.
Kritiker des Instrumentes – die Verhaltensänderung wird auch als Instrument in der Klimapolitik genutzt – betonen, dass es nur durch Nudging nicht gelänge, die Menschen zu einer Reduzierung beispielsweise von Flügen und Schnitzelessen zu bewegen. „Insgesamt verkennen die Nudging-Fans das Ausmaß der Herausforderung. Zwar mag Nudging in der Lage sein, die Menschheit einen kleinen Schritt in die richtige Richtung zu schubsen“, schreibt Felix Ekardt in der ZEIT. „Aber Klimaschutz zum Beispiel bedeutet nicht, ein kleines bisschen besser zu werden. Sondern die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen.“ Andere wiederum befürchten, dass der Staat hintenrum Einfluss auf unsere Entscheidungen nehmen möchte, uns praktisch umerziehen will. Dem steht gegenüber: Nehme ich eine Vorgabe (Standardeinstellung/Default) als Empfehlung wahr, bin ich mir des Einflusses bewusst und wäge ab, inwieweit der Entscheidungsträger meine Interessen im Sinn hat. Stehe ich den Empfehlungen von Staat und Regierung also ohnehin kritisch gegenüber, muss ich mir auch weniger Sorgen machen, dass diese mich mit gezielten Defaults manipulieren können.
Bleibt anzumerken, dass beides einander ja nicht ausschließt. Die BZfE erläutert das an einem Beispiel: Würde der Supermarktleiter in die Lebensmittel-Greifzone Cocktail-Tomaten oder Snack-Äpfel legen statt Schokoriegel, dann hätte er zu deren Kauf genudgt und die gesündere Wahl zur einfacheren gemacht. Solange er Süßigkeiten nicht komplett aus seinem Sortiment streicht, lässt er seinen Kunden die Wahl (eins der Nudging-Kriterien).
Beispiele für Ernährungs-Nudgets von der BZfE
- Veränderung der Standardeinstellung: Steht in einem Restaurant grundsätzlich Salz zum Nachsalzen auf dem Tisch, ist dies die Standardeinstellung, auch Default genannt. Findet sich jedoch dort kein Salz, muss der Gast extra danach fragen, wenn er welches möchte. Im Ergebnis würden weniger Menschen ihr Essen nachsalzen.
- Optische Präsentation auf der Speisekarte: Startet die Speisekarte in einem Restaurant mit vegetarischen Gerichten, wählen vermutlich mehr Gäste diese Option statt eines Fleischgerichts. Dasselbe gilt für die Kantine, wenn „Stammessen 1“ ein vegetarisches ist.
- Funktionelles Design von Geschirr: Die gleiche Lebensmittelmenge wirkt auf einem kleinen Teller größer als auf einem großen. Das kann dazu führen, dass kleinere Portionen gegessen werden.
- Verpackung und Größe von Produkten: Große Verpackungen fördern den Konsum. Bekanntestes Beispiel ist die Abschaffung von 0,5-Liter-Softdrink-Bechern in New York.
- Informationen auf der Verpackung: Auffällige Nutri-Scores oder eine grüne Ampelkennzeichnung beeinflussen die Kaufentscheidung, indem sie motivieren, das Lebensmittel mit einer positiven Kennzeichnung zu bevorzugen.
- Umgebung und Ambiente: Gedämpftes Licht lässt uns eher zu ungesundem, helles Licht eher zu gesunden Alternativen greifen.
- Grün steht für Gesundheit: Die Farbe Grün wird assoziiert mit Natur, Gesundheit und Frische. So sind grüne Markierungen an der der Salatbar, eine grüne Unterlegung des vegetarischen Menüs auf der Speisekarte oder grüne Salatschüsseln geeignete Nudges, um den Verzehr von Gemüse und vegetarischen Gerichten zu steigern.
Wenn man das ja weiß – dass positive Verhaltensänderung in Bezug auf das Essen durch kleine Anstupser einfacher werden – muss man nicht die nächste Lebensveränderung abwarten, in der das leichter fällt. Haben Sie schon mal überlegt, die Standardeinstellung ihres Druckers so zu ändern, dass er automatisch beide Seiten bedruckt? Sie würden die Hälfte des Papiers sparen – aber sie könnten das natürlich jederzeit wieder ändern. Ein Blick in die Politik zeigt jedoch auch, dass der Stups beim Nudging nicht zu heftig ausfallen darf: Als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorschlug, die Regeln für Organtransplantationen in eine Widerspruchslösung zu ändern, statt wie bisher bei einer Zustimmungsregelung zu bleiben, stimmte die Mehrheit des Bundestages dagegen.
Alexandra Regner,
PTA und Journalistin
Quellen:
Zeit online
Bundeszentrale für Ernährung
https://de.in-mind.org/blog/post/nudging-psychotricks-defaults-was-ist-das-und-tut-das-weh
McKenzie, C.R.M., Liersch, M.J. & Finkelstein, S.R. (2006). Recommendations implicit in policy defaults. Psychological Science, 17,414-420