Krankheiten im Kindesalter
NICHT KRATZEN!
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Laut Erhebung des Robert Koch-Instituts hatten rund 13 Prozent aller Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre in Deutschland in der Vergangenheit bereits mit Neurodermitis zu tun oder leiden noch daran. Häufig beginnt die Krankheit bereits im Säuglings- oder Kleinkindalter. Mädchen und Jungen sind gleich häufig betroffen. Bei vielen wird sie mit der Zeit von selbst besser oder verschwindet sogar ganz – bei Erwachsenen liegt die Häufigkeit bei noch etwa zwei bis vier Prozent. Weil Neurodermitis vielfach mit einer Neigung zu weiteren allergischen Erkrankungen wie Nahrungsmittelallergien, allergischer Rhinitis, Asthma oder Hausstaubmilbenallergie einhergeht, also nicht auf die Haut beschränkt bleibt, wird sie auch als atopische Dermatitis, atopisches Ekzem oder auch als endogenes Ekzem bezeichnet.
Viele Ursachen Die Ursachen von Neurodermitis sind nicht einfach zu greifen. Fest steht, dass eine genetische Veranlagung und weitere Faktoren zusammenkommen müssen, damit sie ausbricht. Das leitet sich schon aus familiären Häufungen ab: Sind beide Eltern von Neurodermitis betroffen, wird ihr Kind mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls daran erkranken. Ist kein Elternteil betroffen, liegt die Wahrscheinlichkeit noch bei 10 bis 15 Prozent. Einig ist man sich, dass die Barrierefunktion der Haut – vermutlich aufgrund einer genetischen Veranlagung – gestört ist: Kinder mit Neurodermitis haben eine sehr trockene Haut, die Feuchtigkeit nur schlecht speichern kann und bei der der natürliche Schutzfilm nicht effektiv vor schädlichen Einflüssen von außen schützt.
Dadurch können Krankheitserreger wie Bakterien, Viren und Pilze, aber auch Allergene leichter eindringen. Außerdem spielt eine überschießende Reaktion des Immunsystems eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Neurodermitis. Die Haut von Betroffenen ist gegenüber mechanischen, chemischen und physikalischen Reizen wie rauer Kleidung, Inhaltsstoffen von Kosmetika oder heißem Wasser empfindlicher als bei gesunden Menschen. Außerdem kommt die Haut auch schlechter mit klimatischen Bedingungen wie Kälte oder trockener Heizungsluft klar. Die Folgen: Es kommt zu Entzündungen in der Haut, die sich durch Brennen, Schmerzen und vor allem starken Juckreiz äußern können. Schließlich ist unbestritten, dass auch die Psyche einen starken Einfluss auf die Neurodermitis hat.
Quälende Symptome Im Säuglingsalter treten Rötungen, Schuppung, Nässen und Krusten besonders an den Streckseiten der Gliedmaßen auf, außerdem zeigt sich die Neurodermitis als Milchschorf am Kopf. Wenn die Kinder älter werden, sind insbesondere die Ellenbogenbeugen und Kniekehlen und mitunter auch der Nacken betroffen. Mit der Zeit kann sich die Haut verdicken und rissig werden. Typischerweise verläuft die Erkrankung schubförmig. Das quälendste Symptom ist der Juckreiz. Kratzen führt zu einem Teufelskreis, indem dadurch die Barriere weiter zerstört wird, was die Anfälligkeit gegenüber den genannten äußeren Einflüssen weiter erhöht. Zudem steigt das Risiko für Superinfektionen mit Bakterien, Viren oder Pilzen. Der starke Juckreiz kann zudem die Konzentrationsfähigkeit und auch den Schlaf einschränken. Insbesondere ältere Kinder und Jugendliche leiden auch psychisch unter ihrem schlechten Hautbild.
Diagnose und Behandlung Der Arzt kann die Diagnose meist anhand der typischen Hautveränderungen an den charakteristischen Körperstellen stellen. Ein Symptomtagebuch kann helfen, mögliche auslösende Faktoren zu identifizieren. Außerdem wird sich der Arzt nach weiteren allergischen Erkrankungen erkundigen und eventuell Allergietests veranlassen. Die Grundlage der Behandlung ist eine konsequente Basispflege der Haut. Wichtig ist eine Neurodermitis-Schulung – sie wird für Eltern sowie auch für Kinder ab dem Schulalter angeboten. Wie die gesamte Therapie, muss die Basispflege auf die individuellen Bedürfnisse der Haut abgestimmt werden: Um ein Austrocknen der Haut zu vermeiden, eignen sich wegen ihres hohen Fettanteils Salben oder Öl-in-Wasser-Emulsionen (Grundsatz: „fett auf trocken“).
Bei nässenden Ekzemen werden weniger fetthaltige Cremes oder auch Lotionen verwendet („feucht auf feucht“). Inhaltsstoffe wie Urea (nicht bei Säuglingen) oder Glycerin können positive Effekte haben. Produkte mit Konservierungs- oder Duftstoffen sind hingegen strikt zu vermeiden. Zur Reinigung sollten pH-neutrale Reinigungsprodukte oder Syndets verwendet werden, ein konsequenter Sonnenschutz ist essenziell. Gleichzeitig sollten Provokationsfaktoren, so weit bekannt, möglichst vermieden werden. Es gibt Hinweise, dass bereits eine konsequente Basispflege das Risiko für die Entwicklung weiterer Allergien reduzieren könne, möglicherweise, weil ein Eindringen von Allergenen durch die Haut und damit eine Sensibilisierung verringert wird.
Wichtig ist, dass die Basispflege konsequent durchgeführt wird, auch wenn sich der Patient gerade in einer schubfreien Phase befindet. Im Alltag unverzichtbar sind Strategien, um bei akutem Juckreiz trotzdem möglichst nicht zu kratzen: Dazu gehören zum Beispiel kühlende Umschläge, Thermalspray oder eine andere Hautstelle streicheln. Auch Ablenkung, etwa durch angenehme Aktivitäten und Entspannung, beispielsweise bei Fantasiereisen, haben sich bewährt. Hier sollten Eltern mit ihren Kindern gemeinsam herausfinden, was ihnen am besten hilft. Treten trotzdem weiterhin Beschwerden auf, kommen gemäß der Empfehlungen der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft zunächst Cortison-haltige Salben zum Einsatz, wobei gerade bei Säuglingen und Kleinkindern in Abhängigkeit der zu behandelnden Körperregion und der Wirkstärke Vorsicht geboten ist.
Außerdem können topische Calcineurin-Inhibitoren (z.B. Tacrolimus) hinzugenommen werden. Zusätzlich zu dieser antientzündlichen Therapie kann die Anwendung von Mitteln hilfreich sein, die den Juckreiz lindern, zum Beispiel Polidocanol, Gerbstoffe, Zink oder Schieferöl. Wenn alle diese Maßnahmen nicht ausreichend Linderung bringen, ist eine systemische Behandlung nötig. Schon lange wird hier eine Immunsuppression mit Ciclosporin empfohlen, seit 2019 ist mit dem monoklonalen Antikörper Dupilumab erstmals ein Biologikum für die Behandlung der Neurodermitis bei Jugendlichen ab zwölf Jahren verfügbar. Studien, die die Wirksamkeit und Verträglichkeit bei jüngeren Kindern untersuchen, werden aktuell durchgeführt. Weitere hochwirksame Medikamente für schwer betroffene Patienten, die ebenfalls gezielt in das Immunsystem eingreifen und damit die Entzündung unterdrücken, befinden sich in der Entwicklung.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/2021 ab Seite 64.
Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin