Wenn Jucken zur Plage wird

NEURODERMITIS

Die Beratung von Neurodermitispatienten erfordert viel Geduld und Fingerspitzengefühl. Die Basispflege wird häufig vernachlässigt und bedarf einer stärkeren Empfehlung durch die Apothekenmitarbeiter.

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Neurodermitis – auch atopische Dermatitis genannt – ist eine der häufigsten Hauterkrankungen im Kindesalter. Sie beginnt in der Regel in den ersten Lebensmonaten bis zum fünften Lebensjahr. Bis zur Pubertät verliert sich die Symptomatik bei 70 Prozent der Kinder. Allerdings kann eine erhöhte Empfindlichkeit der Haut ein Leben lang bestehen. Bei einigen Betroffenen tritt der so genannte „Etagenwechsel“, der in ein Asthma bronchiale mündet, auf. Auch andere allergische Erkrankungen sind bei Neurodermitikern häufiger.

KrankheitsbildEin unaufhörlicher Juckreiz ist das Leitsymptom. Oftmals führt er in einen Teufelskreis aus Jucken – Kratzen – Sekundärinfektionen und Verschlechterung des Hautzustands. Der Juckreiz, der in Abhängigkeit von Temperatur und Luftfeuchte variiert, tritt schubweise auf und löst regelrechte „Kratzattacken“ des Neurodermitikers aus. Viele Patienten empfinden den anschließenden Schmerz, der von der aufgekratzten Haut ausgeht, angenehmer als den Juckreiz. Es entstehen entzündete nässende Areale, die sehr anfällig gegenüber sekundären Pilzund Bakterieninfektionen sind. Die extrem trockene Haut begünstigt den Juckreiz außerdem.

MÖGLICHE TRIGGER
+ Allergene
+ Temperaturwechsel
+ Stress, psychische Belastung
+ Hormonelle Schwankungen
+ Infektionen
+ Kontakt mit reizenden Stoffen
+ Vermehrtes Schwitzen

Beim Säugling sind zunächst Bereiche des Kopfes (Wangen und Kopfhaut) und die Beugen der Extremitäten befallen: Es zeigen sich nässende Rötungen und juckende Bläschen. Auf der Kopfhaut ist der so genannte Milchschorf, gelbliche Krusten, die an übergekochte Milch erinnern, das erste Anzeichen. Bei älteren Kindern sind besonders die Kniekehlen, Ellenbeugen, Hals und Nacken betroffen. Im Erwachsenenalter äußert sich die Neurodermitis eher in Form von wechselnden Ekzemen im Gesicht, Hals und in den Gelenkbeugen. Schwere Ausprägungen erstrecken sich flächig über die gesamte Haut.

Das Krankheitsbild wird von den Folgen des Kratzens, die angefangen von Rötungen bis zu blutigen Arealen reichen, bestimmt. Klinisch zeigen sich akute Hautveränderungen in Form von Papeln und Bläschen, die zu Schuppung und Krustenbildung führen. Auf der Haut des Neurodermitikers findet sich das Bakterium Staphylococcus aureus in hoher Koloniezahl. Für Sekundärinfektionen der aufgekratzten Areale spielt dieser Keim eine wichtige Rolle.

Problematisch ist, dass Staphylococcus aureus Stoffe abgibt, die die Aktivierung von Entzündungszellen stimulieren. So verschlimmert sich die entzündliche Hautreaktion bis hin zu nässenden Ekzemherden und gelblich-blutigen Krusten (Impetigo contagiosa). Chronische Hautveränderungen sind hyperkeratotische Plaques, Papeln, Lichenifikation (Vergröberung des Hautreliefs) im Gesicht und eine Rötung der Haut.

Basispflege Der Hautzustand eines Neurodermitikers verändert sich je nach dem, in welcher Phase der Erkrankung er sich befindet. In der Regel wechseln sich stabile Phasen und akute Schübe ab. Daran muss sich auch die Hautpflege orientieren. Wegen der gestörten Hautbarriere ist eine unterstützende Basispflege unbedingt notwendig. Sie kann dazu beitragen, beschwerdefreie Intervalle zu verlängern und Krankheitsschübe zu verkürzen.

In der chronischen Phase ist die Haut extrem trocken. Sie ist stark verhornt (Hyperkeratose) und neigt zu Hauteinrissen (Rhagaden). Jetzt braucht die trockene Haut viel Fett, zum Beispiel aus rückfettenden Salbengrundlagen. Diese enthalten mehr Fett als Wasser (W/O). Sie schützen vor dem Verlust von Feuchtigkeit. Der Harnstoffanteil der Haut von Neurodermitikern ist geringer als der von gesunder Haut. Salbenzubereitungen mit Harnstoff (bis zu zehn Prozent in Kosmetika) oder Glycerol fördern die Bindung von Wasser in den Hautschichten. Harnstoff lindert außerdem den Juckreiz und löst in höheren Konzentrationen abgestorbene Hautschuppen ab und verbessert so das Eindringen pflegender Substanzen in die Haut.

Lotionen oder Cremes, die mikronisiertes Silber enthalten, wirken antibakteriell auf die bei Neurodermitikern typischerweise stark mit Staphylococcus aureus besiedelte Hautareale. Die Auswahl der richtigen Basispflege hängt jedoch nicht zuletzt von der Akzeptanz des Patienten ab. Einige Betroffene lehnen zum Beispiel Harnstoffzubereitungen wegen eines Spannungsgefühls der Haut ab. Für Kleinkinder ist Urea daher ungeeignet. Auch der Geruch und die Konsistenz spielen bei der Entscheidung eine Rolle.

PTA und Apotheker sollten immer danach fragen, wie der Patient mit der jeweiligen Pflege zufrieden ist und ob sie regelmäßig angewendet wird. Optimalerweise sollten Basiscreme und therapeutische Creme die gleiche Grundlage und Anwendungsqualität haben.

Akuttherapie Ein akuter Schub kündigt sich durch vermehrten Juckreiz an. Sind nur lokal begrenzte Areale betroffen, können diese zusätzlich zur Basispflege mit wirkstoffhaltigen Zubereitungen behandelt werden. Der Patient sollte nun die Grundpflege verändern: Wasserhaltige Zinklotionen mildern den Juckreiz. Sie enthalten nur wenig Fett, lassen sich gut verteilen und kühlen die Haut. Kühlung, auch mit Umschlägen oder Kühlmanschetten, ist in dieser Phase das einfachste und beste Mittel die heftigen Kratzattacken zu unterdrücken. Hydrogele enthalten gar kein Fett, sondern nur Wasser und einen Gelbildner. Entzündliche Rötungen werden so gelindert.

Entzündungshemmung Die Therapie der Neurodermitis folgt laut Leitlinie stufenartig. Mittel der ersten Wahl sind topische Kortikoide, die schon bei den ersten Symptomen angewendet werden sollen, um die Intensität des Schubs proaktiv zu reduzieren. Dabei folgt die Behandlung dem Grundsatz: „So viel Kortison wie nötig, so wenig wie möglich“. Klingen die Symptome der Akutphase langsam ab, wird die Dosierung langsam ausgeschlichen, um einen Rebound zu vermeiden.

Säuglinge und Kinder werden vorzugsweise mit Kortikosteroiden der Wirkstoffklassen I (schwach wirksam) oder II (mittelstark) behandelt, um Nebenwirkungen wie zum Beispiel Hautatrophie und Striae so niedrig wie möglich zu halten. Wenige Patienten sprechen nicht auf eine topische Kortisontherapie an und müssen anders behandelt werden.

Eine weitere Therapiesäule neben der Kortikoidbehandlung ist der Einsatz der Calcineurininhibitoren Tacrolimus und Pimecrolimus. Sie werden auch als topische Immunmodulatoren bezeichnet. Ihre Wirkung wird als ähnlich effektiv, aber verträglicher als die der Kortikoide beurteilt. Die bei der Neurodermitis überschießende Immunreaktion der Haut wird durch diese Substanzen gebremst. Bei akuten Schüben entfalten die Calcineurinhemmstoffe ihre Wirkung über eine Unterbrechung der Entzündungskaskade.

Von Vorteil ist, dass diese Substanzen sehr hautspezifisch und wenig systemisch wirken und damit geringere Nebenwirkungen aufweisen. Es kommt weder zur Hautatrophie noch zur typischen Striaebildung wie unter Langzeit-Kortison-Therapie. Tacrolimus ist bereits für Kinder ab zwei Jahren zugelassen. Die Salbe sollte bei den ersten Beschwerdeanzeichen wie leichtem Juckreiz auf die betroffenen Hautstellen aufgetragen werden. Bei akuten Schüben wird die Salbe zweimal täglich angewendet. Es besteht keine zeitliche Behandlungseinschränkung wie bei der Kortisontherapie.

Typische Nebenwirkungen sind Rötung, Hitzegefühl und leichter Juckreiz an der behandelten Stelle. Herpesinfektionen können etwas häufiger auftreten. Während der Anwendung wird ein konsequenter Sonnenschutz empfohlen. In Schwangerschaft und Stillzeit dürfen die Zubereitungen nicht angewendet werden.

Sonstige Therapieoptionen Sehr schwere Verlaufsformen werden bei Nichterfolg der beschriebenen Medikamente mit Immunsuppressiva wie Ciclosporin A behandelt. Sie sollen die überschießende Immunreaktion bremsen. Bei der Behandlung therapieresistenter Neurodermitis bei Kindern ist dies eine offlabel-Option. Antibiotika und Antiseptika werden bei starken bakteriellen Sekundärinfektionen eingesetzt. Dazu muss aber eine klinisch auffällige Infektion vorliegen. Prophylaktisch sollten sie nicht verwendet werden.

Tipps für die Beratung Basis einer Neurodermitistherapie sollte generell die Vermeidung bekannter Auslöser und eine geeignete Hautpflege sein. Neurodermitiker sollten sich nur mit alkalifreien Seifen, Syndets oder reinem Wasser waschen. Die Wassertemperatur darf nicht zu hoch sein. Ausgedehnte Vollbäder sind nicht zu empfehlen, da sie die Haut aufweichen und den schützenden Säureschutzmantel angreifen.

Wenn ein Bad genommen wird, dann mit ölhaltigen Zusätzen und nicht zu lang. Anschließend ist es ratsam, die Haut vorsichtig abzutrocknen und mit einer fetthaltigen Lotion einzucremen. Kratzende Textilien sollten nicht direkt auf der Haut getragen werden. Deshalb sollte die Kleidung möglichst aus Baumwolle oder Seide sein. Diese Stoffe sind atmungsaktiv und geben die Feuchtigkeit ab, sodass dem Schwitzen entgegengewirkt wird. Starkes Schwitzen kann den Juckreiz erhöhen. Um bei Kindern Kratzattacken vorzubeugen, kann man ihnen zur Nacht Neurodermitisoveralls mit angenähten Handschuhen anziehen. So wird das unbewusste und unkontrollierte Kratzen in der Nacht gebremst.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/11 ab Seite 60.

Dr. Katja Renner, Apothekerin

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