Wirkstoffe – historisch beleuchtet

N WIE NITROGLYCERIN

Als Sprengstoff erlangte der Stoff Berühmtheit. Durch seine gefäßerweiternde Wirkung wird er aber bis heute insbesondere gegen Angina pectoris medizinisch angewandt. Die Rede ist von Nitroglycerin.

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Der italienische Chemiker Ascanio Sobrero entdeckte im Jahre 1847 mit dem Stoff Nitroglycerin (Glyceroltrinitrat, Salpetersäuretriester des Glycerins) eine Verbindung, die an Sprengkraft das herkömmliche Schwarzpulver um ein Vielfaches übertraf. Die Neigung dieser von ihm „piroglicerina“ (Pyroglycerin) genannten Verbindung zu spontaner Explosion war indes ein großes Hindernis für die praktische Nutzung. Selbst ihr Erfinder Sobrero zog sich bei Experimenten mit Nitroglycerin schwerste Gesichtsverletzungen zu und betrachtete den Sprengstoff deshalb als zu gefährlich für die praktische Anwendung.

Mit der Fixierung des Nitroglycerins auf einem porösen Silikat gelang es seinem Schüler Alfred Nobel (1833 bis 1896), dieses Hindernis zu überwinden und einen handhabungssicheren Detonationssprengstoff zu entwickeln. Als „Dynamit“ wurde Nitroglycerin schnell zu einem gefragten Gebrauchssprengstoff.

Medizinischer Nutzen Dass Nitroglycerin nicht nur eine todbringende explosive Wirkung besitzt, sondern in kleinsten Mengen gefäßerweiternd und blutdrucksenkend wirkt, wurde schon zu Sobreros beziehungsweise Nobels Lebzeiten bekannt. Diese Erkenntnis öffnete einer weiteren, der pharmakologisch-medizinischen Anwendung das Tor. 1896 erhielt Alfred Nobel selbst von seinen Ärzten Nitroglycerin zur Behandlung seiner akuten Angina-pectoris-Anfälle verordnet.

Im „Journal of Experimentel Medicine“ wurde 1910 beschrieben, dass Nitroglycerin in geringsten Mengen und in öliger Dispersion nicht explodiert, sondern schnell über die Zunge, die Haut und auch die Lunge aufgenommen werden kann. Nitroglycerin wurde und wird bis heute als schnell wirksames Medikament zur Behandlung akuter Angina-pectoris-Anfälle eingesetzt und war lange der Therapiestandard. Angewandt wird es heute als Zerbeißkapsel, Lutschtablette, Spray, Tropfen, Pflaster, Gel oder Salbe.

Der WirkmechanismusErst 1977 beschrieb der US-amerikanische Arzt und Pharmakologe Ferid Murad, dass die Wirkungen von Nitroglycerin, aber auch weiterer mittlerweile synthetisierter Nitroverbindungen auf der Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) in den glatten Muskelzellen beruhen und gleichermaßen zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP) stimulieren. Genau genommen stimuliert NO die Guanylatzyklase (sGC) und erhöht so den intrazellulären Gehalt an cGMP. Dies führt dann zur Relaxation der glatten Gefäßmuskulatur.

Diese Entdeckung war insofern überraschend, als man NO bis dahin hauptsächlich als Schadstoff in Auto- und Industrieabgasen kannte. Seit 1978 forschte parallel der US-Wissenschaftler Robert Francis Furchgott (1916 bis 2009) an einer aus dem Endothel freigesetzten vasodilatierend wirkenden Substanz, die er „Endothelium-Derived Relaxing Factor“ (EDRF) nannte. In weiteren Forschungen stellte sich heraus, dass EDRF ebenfalls sGC stimulieren kann.

Schließlich gelang es in den Jahren 1986/87 dem amerikanischen Chemiker und Pharmakologen Louis José Ignarro (geb. 1941), aber auch Furchgott und Murad sowie einer weiteren Arbeitsgruppe um den britisch-honduranischen Pharmakologen Salvador Moncada zu zeigen, dass EDRF tatsächlich NO, der bedeutende sekundäre Botenstoff im Herz-Kreislauf-System ist. Für diese Entdeckungen, insbesondere „die des NOs als Signalmolekül für das kardiovaskuläre System“, erhielten die drei Forscher Murad, Furchgott und Ignarro 1998 den Nobelpreis für Medizin zu gleichen Teilen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/11 auf Seite 20.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin, Journalistin

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