Rheumatische Erkrankungen
MORBUS BECHTEREW
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Das Verständnis der rheumatischen Erkrankungen ist weiterhin im Fluss: Nach den seit 1984 geltenden modifizierten New York-Kriterien ist ein Morbus Bechterew definiert durch eine im Röntgenbild erkennbare Entzündung der Kreuz-Darmbein-Gelenke (Sakroiliitis) in Verbindung mit tiefsitzenden Kreuzschmerzen und Steifigkeit über mehr als drei Monate, die sich durch Bewegung bessern und/oder einer eingeschränkten Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule und/oder einer eingeschränkten Atembreite im Vergleich zu Gesunden gleichen Alters und Geschlechts. Aktuell wird dieses Konzept erweitert: Nach modernem Verständnis stellt eine röntgenologisch nachweisbare Sakroilitis bereits ein vergleichsweise fortgeschrittenes Stadium einer Erkrankung dar, die heute als axiale Spondyloarthritis bezeichnet wird.
Diese lässt sich aufteilen in die nicht-röntgenologische (früheres Krankheitsstadium) und die röntgenologische Spondyloarthritis (späteres Stadi- um). Diese neue Einordnung und zunächst möglicherweise verwirrende Terminologie ist nicht rein akademisch bedingt. Durch das veränderte Verständnis der Erkrankung lassen sich zukünftig möglicherweise neue Therapiestrategien entwickeln, die früher als bis jetzt im Verlauf ansetzen. Ein anderer Name für Morbus Bechterew ist ankylosierende Spondylitis. Neben der axialen gibt es auch noch die deutlich seltenere Form der peripheren Spondyloarthritis, bei der weniger die Wirbelsäule, sondern mehr periphere Gelenke betroffen sind.
Epidemiologie An einem Morbus Bechterew leiden hierzulande etwa 0,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Früher glaubte man, dass fast ausschließlich Männer betroffen sind. Inzwischen geht man von einem moderatem männlichen Überwiegen von etwa 2:1 aus; bei der nicht-röntgenologischen axialen Spondyloarthritis erscheint das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. Männer sind im Schnitt schwerer betroffen als Frauen. In der Regel tritt ein Morbus Bechterew erstmals zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahrzehnt auf. Geografisch gibt es deutliche Unterschiede in der Häufigkeit des Morbus Bechterew. Sie korreliert mit der Häufigkeit des HLAB27-Gens in der Bevölkerung. Die allermeisten Bechterew-Patienten sind positiv für dieses Gen; es gibt aber auch wenige Fälle, die negativ sind. Andersherum trägt ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung dieses Gen ohne zu erkranken, sodass sein Nachweis zwar einen starken Hin-, aber kein Beweis für einen Morbus Bechterew darstellt.
Entzündungen der Wirbelsäule Ursache des Morbus Bechterew ist eine Fehlregulation des Immunsystems, die zu chronischen Entzündungsreaktionen vor allem im Be- reich des Achsenskeletts, also der Wirbelsäule führt. Diese gehen mit Schmerzen, einer zunehmenden Verknöcherung und infolgedessen mit einer Versteifung und Bewegungseinschränkung einher. Erste Symptome sind meist chronische Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich, die typischerweise in Ruhe, zum Beispiel früh morgens, auftreten und sich durch Bewegung bessern. Im Verlauf sind zunehmend auch höhere Abschnitte der Wirbelsäule inklusive Brustkorb und Halswirbelsäule betroffen. Ausgesprochen schwere Verläufe, bei denen es früher zu einer vollständigen Versteifung der Wirbelsäule in gekrümmter Haltung kam, sieht man heute dank verbesserter Diagnose- und Behandlungsansätze fast nicht mehr.
Die Diagnose des Morbus Bechterew erfolgt allerdings meist mit mehreren Jahren Verzögerung, vor allem, weil die Symptome zu Beginn sehr unspezifisch sein können. Neben dem Achsenskelett können auch die Sehnenansätze (Achillessehne) betroffen sein. Zudem treten bei Patienten mit Morbus Bechterew gehäuft Entzündungen im Auge auf (Regenbogenhautentzündung, anteriore Uveitis). Darüberhinaus kommen die Psoriasis und chronisch- entzündliche Darmerkrankungen bei Patienten mit Morbus Bechterew häufiger vor als in der Allgemeinbevölkerung. Die Krankheit kann schubweise oder auch kontinuierlich verlaufen und sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Die Bandbreite reicht von leichten Symptomen, die im Alltag nur zu einer minimalen Einschränkung führen bis hin zu schweren Verläufen (etwa ein Drittel der Patienten). Die Krankheit kann aber auch jederzeit zum Stillstand kommen.
Die genaue Ursache ist nach wie vor unbekannt. Es muss sich aber um eine Fehlsteuerung des Immunsystems handeln.
Behandlung Laut ASAS (Assessment of Ankylosing Spondylitis International Societey) und EULAR (European League Against Rheumatism) ist das Behandlungsziel die Maximierung der langfristigen gesundheitsbezogenen Lebensqualität durch die Kontrolle der Symptome und der Entzündung, die Verhinderung von progressiven strukturellen Schäden und der Erhalt beziehungsweise die Normalisierung der sozialen Teilhabe. Dafür benötigen Patienten mit axialer Spondyloarthritis eine multidisziplinäre Betreuung und eine Kombination aus nicht-medikamentöser und medikamentöser Behandlung. Es sollte die bestmögliche Behandlung angestrebt und die Entscheidungen im Einvernehmen zwischen Arzt und Patient getroffen werden.
Erstmals wurde 2016 die neue Empfehlung aufgenommen, dass der behandelnde Rheumatologe dabei auch die individuellen, medizinischen und gesellschaftlichen Kosten berücksichtigen soll. Ebenfalls neu in den Empfehlungen ist, dass sich Arzt und Patient auf ein Therapieziel einigen sollen und sodann überprüft wird, ob es erreicht wird. Anders als bei der rheumatoiden Arthritis oder der Psoriasis-Arthritis gibt es aber kein grundsätzlich in den Leitlinien festgelegtes Behandlungsziel, sondern es ist abhängig vom individuellen Patienten.
Nicht-medikamentöse Therapie Die wichtigsten Bausteine der nicht- medikamentösen Behandlung sind laut den aktuellen Empfehlungen die Information des Patienten über die Erkrankung, regelmäßige körperliche Betätigung sowie ein Rauchstopp. Krankengymnastik ist zwar teurer, aber oftmals auch effektiver als Bewegung in Eigenregie und soll deshalb bei bestimmten Patienten in Erwägung gezogen werden. Ziel der Bewegung ist, die Beweglichkeit zu erhalten und der Versteifung der Wirbelsäule vorzubeugen.
Medikamentöse Therapie Patienten, die unter Schmerzen oder Steifheit leiden, sollten mit nicht- steroidalen anti-inflammatorischen Medikamenten (NSAIDs, non-steroidal anti-inflammatory drugs) wie beispielsweise Aspirin, Ibuprofen oder Diclofenac behandelt werden. Sie helfen schmerzbedingte Schonhaltungen zu verhindern und machen Bewegung teilweise erst mög- lich. Dabei müssen Wirksamkeit und Nebenwirkungen bei langfristiger Einnahme immer gegeneinander abgewogen werden. Reichen NSAIDs nicht aus oder werden nicht vertragen, können auch Analgetika wie Paracetamol oder Opioide zum Einsatz kommen. Glukokortikoide können als Injektionen direkt in die betroffenen Gelenke in Erwägung gezogen werden. Konventionelle DMARDs (Disease Modifying Anti-Rheumatic Drugs) wie Methotrexat oder Sulfasalazin sind bei vorwiegend axialer Erkrankung wie bei Morbus Bechterew nicht wirksam. Biologika können bei Patienten mit anhaltend hoher Krankheitsaktivität in Erwägung gezogen werden.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/17 ab Seite 124.
Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin