Zusammenarbeit | Medikamente
LEHREN DER PANDEMIE
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Als die Pandemie kam, zeigte sich Europa verwundbar. Abhängig von Arzneimittelimporten aus Asien, wo die Produktion stillstand. Ohne eigene Hersteller von Gesichtsmasken und Schutzkleidung, die nun alle händeringend suchten. „All das müssen wir ändern“, sagte EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas am Mittwoch zur neuen EU-Pharma-Strategie. „Das ist keine Raketentechnik.“
Ganz banal ist es aber auch nicht. Und am Ende auch eine Frage des Preises. „Wir müssen sicherstellen, dass Medikamente immer bereitstehen, auch in Krisenzeiten“, formulierte Schinas das Ziel der Strategie. Preiswerte, verfügbare und sicherer Medizin für alle lautet die Überschrift des Kommissionspapiers. Versammelt sind darin eine ganze Reihe von Punkten – die allgemeine Verfügbarkeit von Antibiotika, Krebsmedikamenten oder Arzneien gegen seltene Krankheiten; Anreize für Innovationen; eine umweltfreundliche, „grüne“ Produktion und Nutzung von Arzneien. Aber auch eine engere Zusammenarbeit der EU-Staaten bei Regeln für Preisfindung, Bezahlung und Beschaffung von Arzneien wird angeregt, um die Kostenlast für Bürger und Gesundheitssysteme zu begrenzen. Immerhin wurden schon 2018 etwa 190 Milliarden Euro für Medikamente ausgegeben, zuzüglich der Kosten für Arzneien in Kliniken. Jeder zweite Haushalt in der EU empfindet Medikamentenkosten als Belastung oder sogar große Belastung.
„Die heute vorgestellte Strategie hilft der pharmazeutischen Industrie, wettbewerbsfähig und innovativ zu bleiben, spricht aber auch die Bedürfnisse unserer Patienten und Gesundheitssysteme an“, zeigte sich Schinas sicher.
Das allerdings könnte eine Art Quadratur des Kreises sein: Versorgungssicherheit, Produktion in Europa und gleichzeitig niedrige Preise. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) erinnert jedenfalls in seiner Stellungnahme zur Strategie daran, warum die Herstellung von herkömmlichen Arzneien fast vollständig nach Asien abgewandert ist: das Kostenargument. „Die Abhängigkeit von anderen Weltregionen rührt von der Tatsache her, dass es über die Jahre schwieriger geworden ist, Medikamente – und vor allem Medizinprodukte ohne Patent - in einer wirtschaftlichen Art und Weise in Europa zu produzieren“, heißt es in dem Papier. Es sei ein „Preiswettlauf nach unten“ gewesen, der viele Hersteller zur Abwanderung gebracht habe. Um Produktion in Europa zu halten und neu zu entwickeln, müsse ein „attraktives Umfeld für neue Technologien“ geschaffen werden und keinesfalls „Überregulierung“.
Wie die EU-Kommission etwa das Problem der Versorgungsengpässe genau angehen will, ist vorerst offen. Die Ursachen seien nicht leicht zu analysieren, sagte Schinas. Deshalb habe man erst einmal eine große Studie in Auftrag gegeben, die nächstes Jahr vorliegen soll. Konkrete Gesetzgebungspläne zur Strategie sollen ohnehin erst nach und nach vorgestellt werden. Doch gibt es bereits die Ansage, das gesamte pharmazeutische Regelwerk zu überarbeiten. Nötig seien sowohl vorsorgende als auch regulierende Maßnahmen, hieß es. Es dürfte also Grabenkämpfe anstehen, wenn die Kommission konkret anfängt, an den gesetzgeberischen Schrauben zu drehen. Im Gespräch ist zum Beispiel, die Zulassung einer Arznei mit der Verpflichtung zu verbinden, diese auch in der EU zu vermarkten.
BPI-Hauptgeschäftsführer Kai Joachimsen lobte aber immerhin grundsätzlich die Tatsache, dass es eine Strategie geben soll und dass damit die Bedeutung der Pharmaindustrie anerkannt werde. Immerhin beschäftigt sie nach Angaben der EU-Kommission europaweit 800 000 Menschen und investierte 2019 rund 37 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller betonte, die rasche Impfstoffentwicklung beweise die Leistungsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie.
„Jetzt ist also die Zeit für eine Arzneimittelstrategie, die den Weg in die Zukunft weist“, meinte der VFA. „Eine EU, die sich mit einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen als supra-nationaler Reparaturbetrieb versteht, greift zu kurz. Anders gesagt: Jetzt ist die Zeit, mutiger zu werden.“
Quelle: dpa