Ein Mann sitzt bei heruntergelassenen Fenstern im Auto und hält sich eine Wasserflasche an die Stirn.© Dima Berlin / iStock / Getty Images Plus
Wenn das Wetter keine Abkühlung mehr erlaubt, steigt die Zahl der Sterbefälle. Nachdem im Sommer 2022 über 8000 Menschen in Deutschland hitzebedingt gestorben sind, muss die Regierung dringend handeln.

Klimawandel

ÜBER 60 000 HITZETOTE IN EUROPA – WAS DIE REGIERUNG DAGEGEN PLANT

Wir wussten schon, dass Perioden mit Hitzetagen vielen gesundheitlich zu schaffen machen und manche sterben. Doch spezifisch erfasst wurden Zusammenhänge erst jetzt. Ein Hitzeschutzplan dieses Jahr und ein Klimaanpassungsgesetz 2024 sollen die Bevölkerung schützen. Aber wie?

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Mehr als 60 000 hitzebezogene Todesfälle hat es einer neuen Berechnung zufolge im Sommer 2022 in Europa gegeben, dem bisher heißesten Sommer auf dem Kontinent seit Beginn der Aufzeichnungen. Deutschland hatte mit 8173 Toten die drittmeisten Hitzeopfer zu beklagen, nach Italien (18 010 Tote) und Spanien (11 324 Tote), wie ein Forschungsteam im Fachmagazin Nature Medicine berichtet. Auf die Einwohnerzahl gerechnet waren es hierzulande 98 Hitzetote pro eine Million Einwohner, damit steht Deutschland unter 35 europäischen Staaten auf Rang 13.

Das Problem: Hitzebezogene Todesfälle sind schwer zu erfassen
Das Statistische Bundesamt sieht jährlich knapp 1500 Krankenhausbehandlungen durch extreme Hitze und Sonne. „Als direkte Todesursache lässt sich Hitze bei durchschnittlich 19 Fällen pro Jahr allerdings selten feststellen“, schreibt es. Doch habe es überdurchschnittlich viele hitzebedingte Behandlungen in Krankenhäusern und Todesfälle in den Jahren mit vielen Hitzetagen über 30 Grad gegeben.
Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann erklärt: Die genannten 19 Fälle pro Jahr seien sehr wahrscheinlich Menschen, die draußen gearbeitet hätten, kerngesund waren und an einem Hitzschlag gestorben sind. „Das Grundproblem ist für mich, dass Hitze als Todesursache meistens gar nicht in Erwägung gezogen wird, weil da ein Mensch mit Herzinfarkt auf dem Reanimationstisch liegt, verstirbt und dann eben einfach an dem Infarkt gestorben ist.“ Dass aber gleichzeitig seit Tagen 35 Grad draußen waren, werde nirgends erfasst. Es werde zwar nicht die falsche Todesursache angeben. „Die ist ja im Körper tatsächlich der Herzinfarkt“, sagt Traidl-Hoffmann. Die Frage sei aber, wodurch dieser ausgelöst beziehungsweise getriggert worden sei, und hier habe die Hitze mit großer Wahrscheinlichkeit einen großen Anteil.

Todesfallzahlen und Temperaturen verknüpfen

Diese Verknüpfung zwischen Todesfällen und dem Wetter hat eine Gruppe um Joan Ballester vom Barcelona Institute for Global Health (ISGlobal) nun hergestellt: Das Team hat Werte zu Hitzeopfern über Datenanalysen und Computermodelle ermittelt.

Ballester und Kollegen stützen sich bei ihrer Analyse auf eine große Datenbasis:

  • auf mehr als 45 Millionen Todesfälle
  • zwischen Januar 2015 und November 2022
  • aus 823 zusammenhängenden Regionen,
  • die über 543 Millionen Europäer
  • in 35 Ländern repräsentieren.

Die Daten stammen vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat), ergänzt um Daten nationaler Statistikbehörden. Die Anzahl der Todesfälle setzten die Forscher in Beziehung zu Temperaturanomalien, die als Unterschied zwischen gemessenen Temperaturen und Basistemperaturen definiert wurden. Die Basistemperaturen sind dabei Mittelwerte aus dem Referenzzeitraum 1991 bis 2020.

1,5-Grad-Ziel bereits verfehlt?
Der Analyse zufolge lagen die Temperaturen in Europa im Juni 2022 zwischen 0,78 und 2,33 Grad, im Juli zwischen 0,18 und 3,56 Grad und im August zwischen 0,91 und 2,67 Grad höher als die Basistemperaturen. Die höchsten Temperaturabweichungen gab es in Spanien und Südfrankreich.

Wo diese Daten verfügbar waren, ordneten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die hitzebezogenen Todesfälle Altersklassen zu. Im Sommer 2022 starben demnach 4822 Menschen im Alter von bis zu 64 Jahren durch Hitze, 9226 im Alter von 65 bis 79 Jahren und 36 848 im Alter von 80 oder mehr Jahren. Das bestätigt, dass Hitze für ältere Menschen ein besonders großes Risiko darstellt.

Der Klimawandel lässt sich nicht mehr stoppen, nur noch begrenzen.

Jetzt handeln um Sterblichkeit zu begrenzen

Die Studienautoren fordern Politiker zum Handeln auf: „Angesichts des Ausmaßes der hitzebedingten Sterblichkeit auf dem Kontinent mahnen unsere Ergebnisse eine Neubewertung und Stärkung von Hitzeüberwachungs-Plattformen, Präventionsplänen und langfristigen Anpassungsstrategien an.“

Sollten Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel ausbleiben, erwarten die Wissenschaftler eine mittlere hitzebezogene Sterblichkeitsbelastung von etwa 68 000 Todesfällen pro Sommer bis zum Jahr 2030, mehr als 94 000 Todesfällen bis 2040 und deutlich über 120 000 Todesfällen bis 2050.

Sie möchten konkreter erfahren, wie Hitze dem Körper zusetzt und Arzneimittel-Therapien beeinflusst? Die PTA-Fortbildung "Heiße Tage - Warum Hitze ein Gesundheitsrisiko ist" im Juli und August 2023 steht Ihnen weiterhin zum Lernen zur Verfügung, auch wenn Sie keinen Fortbildungspunkt mehr erhalten.

Lauterbachs Hitzeschutzplan

Neue Schutzangebote gegen Hitzewellen sollen nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bereits in den nächsten Wochen an den Start kommen: „Wir wollen diesen Sommer schon schützend wirken.“ Als erstes Angebot ist ein Portal online gegangen, bei dem sich Kommunen über Hitzeschutz-Maßnahmen informieren könnten – zum Beispiel zur Kommunikation von Hitzewarnungen, zu Hitzevorsorge in sensiblen Einrichtungen wie Pflegeheimen oder zu Stadtplänen mit kühlen Orten.

„Da geht es nicht um Verbote, sondern es geht darum, den Einzelnen zu schützen.“

Zu den tausenden Hitzeopfern jährlich sagt Lauterbach: „Das ist keine akzeptable Situation.“ Nicht nur Ältere, auch Schwangere, chronisch Kranke und Obdachlose seien gefährdet. Menschen könnten gerettet werden, wenn es einen Hitzeschutzplan etwa nach Vorbild Frankreichs gäbe.

Im Blick stehen unter anderem Warnungen vor Beginn von Hitzewellen via Radio, Fernsehen oder Benachrichtigungen per Handy. Denkbar sei auch, Menschen direkt über Pflegedienste anzusprechen. Der Minister betonte: „Da geht es nicht um Verbote, sondern es geht darum, den Einzelnen zu schützen.“

Laut Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) werden auch die Trinkwasserversorgung und eine Abkühlung der Städte durch mehr Grün und mehr Schatten wichtiger. Es sei zum Beispiel bereits eine gesetzliche Grundlage geschaffen worden, damit Kommunen mehr Trinkwasserspender bauen könnten.

Gesetz zur Klimaanpassung geplant

Was ist Klimaanpassung? Mit der sogenannten Klimaanpassung treffen wir Vorsorge vor Folgen des Klimawandels, die sich nicht mehr vermeiden lassen. Schon jetzt hat sich die Erde um etwa 1,1 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit aufgeheizt, in Deutschland sind es sogar 1,6 Grad. Der Klimawandel lässt sich, so sind sich Experten einig, nicht mehr stoppen, nur noch begrenzen. Bei der Klimaanpassung geht also zum Beispiel darum, besser auf Wetterextreme wie Dürren, Starkregen oder Hitzephasen vorbereitet zu sein, Risiken zu minimieren und Schäden zu vermeiden.

Konkret heißt das etwa, möglichst wenige Flächen zu versiegeln, damit das Regenwasser abfließen kann und es nicht zu Überschwemmungen kommt. Oder deutlich mehr Schattenplätze in Städten zu schaffen.

Extremwetterereignisse sorgen bereits jetzt für große Zerstörungen, wie die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands vor rund zwei Jahren. Dabei waren mindestens 185 Menschen ums Leben gekommen. Diese Schäden hatten mehr als 40 Milliarden Euro Kosten verursacht. Auf Deutschland könnten durch die Erderwärmung bis 2050 Kosten von bis zu 900 Milliarden Euro zukommen.

Auf Deutschland könnten durch die Erderwärmung bis 2050 Kosten von bis zu 900 Milliarden Euro zukommen.

Klimaanpassungsgesetz: Klimafolgen bei allen Plänen berücksichtigen

Bis Ende 2024 will die Bundesregierung eine Anpassungsstrategie mit messbaren Zielen vorlegen. Außerdem sollen die Bundesländer verpflichtet werden, ebenfalls eigene Anpassungsstrategien zu erarbeiten. Einige Bundesländer haben dies bereits.

Wichtiger Aspekt des Gesetzentwurfes ist das Berücksichtigungsgebot – demnach soll künftig beim Planen und Entscheiden immer auch geschaut werden, welche Auswirkungen des Klimawandels dabei zu beachten sind. Also beispielsweise vor dem Bau von Gebäuden zu beachten, ob dort Überschwemmungen drohen könnten.

Die Klimaanpassung ist zum großen Teil Aufgabe der Bundesländer. Daher kann die bundesweite Strategie nur einen Rahmen geben. Auch den Kommunen kommt bei der Klimaanpassung eine zentrale Rolle zu. Schließlich liegen Straßen, Kanalisation, öffentliche Gebäude oder Krankenhäuser oftmals in kommunaler Hand.

Der Deutsche Städtetag verweist auf die Notwendigkeit erheblicher Investitionen – und forderte mehr Unterstützung. „Bund und Länder schätzen den Finanzbedarf für Klimaanpassungsmaßnahmen in Ländern und Kommunen bis 2030 auf insgesamt 55 Milliarden Euro und den Personalbedarf für die Umsetzung auf 16 200 Stellen“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy.

„Bund und Länder schätzen den Finanzbedarf für Klimaanpassungsmaßnahmen in Ländern und Kommunen bis 2030 auf insgesamt 55 Milliarden Euro.“

Die Finanzierung ist ein Knackpunkt des Gesetzes. Denn der Bund kann Kommunen nicht direkt finanzieren, das geht bislang nur bei Modellprojekten. Das Bundesumweltministerium bestätigt, dass den Kommunen bislang eine verlässliche Finanzierung für ihre Klimaanpassung fehlt. Doch die Aufgabe sei „zu umfangreich und herausfordernd, als dass sie ohne Hilfe des Bundes bewältigt werden könnte – sowohl, was die Finanzierung, aber auch was die überregionale Koordinierung von Maßnahmen angeht“, sagte ein Sprecher. Wie eine dauerhafte gemeinsame Finanzierung von Klimaanpassung durch Bund und Länder gelingen kann, werde mit der Umweltministerkonferenz diskutiert.

Quelle: dpa

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