Ayurveda – mehr als nur Wellness

INTERVIEW MIT DR. MED. ERNST SCHROTT

Dr. med. Ernst Schrott, Leiter der Deutschen Ayurveda Akademie, beleuchtet, wie sich uralte östliche Heilkunst und moderne westliche Medizin in fast vollkommener Weise ergänzen.

Seite 1/1 5 Minuten

Seite 1/1 5 Minuten

Was genau bedeutet Ayurveda?
Ayurveda ist Indiens traditionelles Naturheilsystem, das laut der schriftlichen Überlieferungen vor Tausenden von Jahren von sogenannten Maharishis, großen Sehern und Weisen in tiefer Meditation geschaut, anfangs mündlich überliefert, später schriftlich aufgezeichnet wurde. Übersetzt heißt Ayurveda „Wissen oder Wissenschaft vom Leben“.

In welchen Ländern ist diese Heilkunde beheimatet?
Die geographische Heimat von Ayurveda ist Indien und Sri Lanka.

Welchen Stellenwert hat sie dort heute?
Seit der wachsenden Akzeptanz und Wertschätzung im Westen und dem zunehmenden In teresse der Wissenschaft hat Ayurveda in Indien wieder erhebliche Bedeutung: als traditionelles Naturheilsystem, als Wirtschaftsfaktor im Bereich Tourismus und beim Export ayurvedischer Produkte sowie bei der Ausbildung von Ärzten. Das Studium der Ayurveda-Medizin ist in Indien seit einigen Jahren dem Studium der westlichen Medizin gleichgestellt.

Wie hat diese Heilkunst den Weg nach Europa gefunden?
Maßgebend war unbestritten die Initiative von Maharishi Mahesh Yogi, der in den sechziger Jahren im Westen vor allem durch die Transzendentale Meditation bekannt geworden ist, die er lehrte. Er hat Mitte der 1980er Jahre unter anderem einen internationalen Ayurveda-Kongress in Delhi organisiert und geleitet, zu dem die bekanntesten Experten der ayurvedischen Medizin auf ihren jeweiligen Gebieten geladen waren. Er konnte sie dafür gewinnen, unter seiner Führung und zusammen mit westlichen Wissenschaftlern und Ärzten ein modernes und möglichst wieder vollständiges ayurvedisches Medizinsystem auf der Grundlage der klassischen Texte zu erarbeiten.

Dieses später als Maharishi Ayurveda bezeichnete Naturheilsystem verbindet die traditionellen ayurvedischen Ansätze mit weiteren vedischen Disziplinen und modernen medizinischen diagnostischen und therapeutischen Verfahren, soweit diese natürlich und ohne Nebenwirkungen sind. Er hat über zwei Jahrzehnte in westlichen Ländern Ärzteausbildung in ayurvedischer Medizin organisiert, dafür namhafte indische Ayurveda-Ärzte gewonnen, die Gründung moderner Ayurveda-Gesundheitszentren angeregt und den Ayurveda zusammen mit westlichen Ärzten und Wissenschaftlern in einer Sprache formuliert, die dem westlichen Denken und Wissenschaftsverständnis entgegenkam.

Der Maharishi Ayurveda hat sich dadurch vor allem im Westen etabliert und weltweit starkes Interesse an der ayurvedischen Medizin geweckt. Verschiedene neu eingeführte oder überarbeitete Behandlungsformen wurden dann in der Folgezeit dann auch von anderen Ausbildungsrichtungen, vor allem in Europa, aufgegriffen. Parallel zu dieser Entwicklung gab es individuelle Ayurveda-Schulen, wie etwa die von Vasant Lad, einem indischen Arzt, der ein Lehrinstitut in New Mexico betreibt und durch Buchveröffentlichungen zum Ayurveda bekannt wurde.

VITA
Dr. med. Ernst Schrott ist Arzt für Naturheilverfahren, seit 1984 niedergelassen in eigener Praxis in
Regensburg. Nach dem Studium und der Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität in München im Jahr 1978 absolvierte er seine klinische Ausbildung mit Schwerpunkt Orthopädie und Rheumatologie. Seine umfassende Ausbildung in ayurvedischer Medizin erhielt er bei führenden Ayurveda-Ärzten Indiens. Er war jahrelang Leiter einer Tagesklinik für ayurvedische Medizin in Regensburg .
Dr. Schrott arbeitet seit Jahren intensiv an der Verbreitung der Ayurveda-Medizin. Hierzu hält er zahlreiche Vorträge und Seminare im In- und Ausland und ist Gesprächspartner in Rundfunk- und Fernsehsendungen. Zudem ist er Autor zahlreicher Publikationen und Bestseller über Ayurveda und vedische Bewusstseinstechnologien. Dr. Schrott ist Mitbegründer und Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Ayurveda und Leiter der zur Gesellschaft gehörenden Akademie, eine Einrichtung zur professionellen Ausbildung von Ärzten und medizinischen Heilberufen in ayurvedischer Medizin.

Ayurveda wird oft mit Wellness gleichgesetzt – steht dieser Aspekt bei Europäern eher im Fokus als die eigentliche Ayurveda-Medizin?
Das wachsende Bedürfnis der Bevölkerung nach einer „sanften Medizin“ gegenüber der Schulmedizin, die vielfach als nebenwirkungsreich und unpersönlich empfunden wird, hat sicher dazu beigetragen, dass bestimmte Ayurveda-Anwendungen durch die Medien in den Vordergrund gerückt wurden. Dazu gehören die verschiedenen, sehr wohltuenden Massageformen, eine individuelle auf den Konstitutionstyp abgestimmte Ernährungsform, Phytopräparate, die ganzheitliche Betrachtung des Menschen bei dieser Medizin oder die Aspekte von Yoga und Meditation. Das war zunächst ein Vorteil, denn dadurch wurde der Ayurveda populär. Aber diese Heilkunde ist weit mehr als „nur“ Wellness. Sie ist herausragend in der Prävention und erstaunlich wirksam gerade bei chronischen Krankheiten, also dort, wo sich die westliche Medizin schwer tut.

Wie aufgeschlossen sind hierzulande Ärzte Ayurveda gegenüber?
Naturheilkundliche ausgerichtete Ärzte sind völlig offen, Schulmediziner wie immer überwiegend skeptisch bis abweisend. Das Interesse an einer fundierten Ausbildung ist groß. Eine Postgraduate-Weiterbildung im Ayurveda wird seit Jahren in Ländern der westlichen Welt, vor allem in den USA und Europa an einzelnen Universitäten, von Fachgesellschaften und von privaten Institutionen angeboten. Auch staatlich anerkannte Bachelor- und Masterstudiengänge, sowohl nach herkömmlicher Art (wie an den Ayurveda-Universitäten Indiens) als auch nach dem Konzept des Maharishi Ayurveda, sind seit Kurzem in England, Deutschland und der Schweiz möglich. Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) hat 2010 als erste deutsche Universität einen Lehrstuhl für Ayurveda-Medizin erhalten und bietet dort einen Master-Studiengang für Komplementäre Medizin an.

Sind Schulmedizin und Ayurveda vereinbar? 
Die moderne Medizin erforscht die menschliche Natur mit dem Werkzeug der objektiven Wissenschaft. Sie erhält so ein detailliertes Wissen von den Gesetzen, die den Körper, die Psyche, die Zelle bewegen. Das ist ein Teil der Wahrheit vom Leben. Einen anderen Weg haben die Rishis, die Seher und Weisen der alten vedischen Zeit beschritten, als sie den Ayurveda, das heißt, das Wissen vom Leben, vom Gesunderhalten und Heilen, erkannten.

Das Instrument ihrer Analyse war ihr Bewusstsein, ihre Fähigkeit, ganzheitlich Naturzusammenhänge wahrzunehmen und zu beschreiben. Während die moderne Medizin also ein unglaublich reiches Wissen vom Detail gewonnen hat, besitzt der Ayurveda die geniale Zusammenschau der Welt, des Menschen, seiner Organe, Zellen, Gewebe. Was der Schulmedizin fehlt, die Zusammenschau der Dinge, den Kranken als Ganzes zu sehen, das kann Ayurveda, der wiederum von dem großen Wissen vom Detail profitiert.

Warum sollten auch PTA über Ayurveda und ayurvedische Präparate gut informiert sein?
Die Nachfrage bei Patienten nach ayurvedischen Produkten ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Das liegt vor allem an einer Fülle populärwissenschaftlicher Publikationen und Ratgeber zum Ayurveda. Außerdem steigt die Zahl der Ärzte und Heilpraktiker, die Ayurveda anwenden, stetig an. Für PTA ist es unerlässlich, Grundlagen des ayurvedischen Lehrsystems zu verstehen, die verschiedenen Arzneiformen zu kennen, häufig vorkommende ayurvedische Pflanzen einschätzen zu können, aber auch die Gefahren zu kennen, die von unsauber hergestellten, potentiell toxischen ayurvedischen Mitteln ausgehen können.

Wie können sich PTA diesbezüglich weiterbilden?
Die Lehrakademie der Deutschen Gesellschaft für Ayurveda hat spezielle Kurse für Apotheker und PTA entwickelt, die alle für diese Berufsgruppe erforderlichen Grundlagen vermittelt.

Auf was sollten Apotheken achten, die ayurvedische Produkte anbieten – Stichwort Qualitätskontrolle?
Die Produkte müssen den westlichen Qualitätsstandards entsprechen und entsprechende Zertifikate nachweisen. Die Präparate müssen auch durch unabhängige Labors regelmäßig geprüft werden. Die Apotheke sollte sich diesbezüglich beim Importeur gewissenhaft informieren und die Nachweise einholen.

HILFREICHE ADRESSEN:

Deutsche Ayurveda Akademie
Steyrerweg 11
93049 Regensburg
info@ayurveda-seminare.de
www.ayurveda-seminare.de

Deutsche Gesellschaft für Ayurveda e.V.
c/o Hufelandgesellschaft
Chausseestr. 29
10115 Berlin
info@ayurveda-gesellschaft.de
www.ayurveda.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/11 ab Seite 84.

Das Interview führte Dr. Petra Kreuter

×