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Welch Ein Name

HALBGOTT IN WEISS

Ferdinand Sauerbruch war ein berühmter Chirurg, der aufgrund seiner Leistungen die moderne Medizin in großen Schritten voranbrachte. Doch auch wegen seiner Nähe zum NS-Regime bleibt er bis heute umstritten.

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Er kommt aus armen Verhältnissen, wächst nach dem Tod seines Vaters beim Großvater auf, der Schuhmacher ist. Mutter und Schwester ermöglichen dem begabten Jungen ein Medizinstudium, das er in Marburg, Jena und Göttingen absolviert und mit der Promotion 1902 abschließt. Anschließend arbeitet er als Volontärarzt an der Chirurgischen Universität Breslau.

Medizinischer Überflieger Er lernt viel und er lernt schnell in dieser Zeit. Innerhalb eines Jahres wechselt er gleich dreimal das Krankenhaus. 1905, drei Jahre nach der Promotion, wird er als Chirurg habilitiert – und lernt seine zukünftige Frau kennen. Adeline Schulz ist Tochter eines Greifswalder Geheimrates, arbeitet bereits wissenschaftlich mit dem Vater und wird später Sauerbruchs erste eigene Privatklinik managen. Sie schenkt ihm vier Kinder.

Bereits 1904 stellt Sauerbruch eine bahnbrechende Neuerung in der Welt der Medizin vor: Das von ihm entwickelte Druckdifferenzverfahren ermöglicht es erstmals, Patienten am offenen Brustkorb zu operieren. Da es ihm in der Kammer gelingt, einen Druckausgleich herzustellen, fallen die Lungen nicht mehr in sich zusammen – was bisher immer den sicheren Tod des Patienten bedeutet hatte. Die so genannte „Sauerbruch-Kammer“ wird zum Vorläufer der Eisernen Lunge.

Zwischen Genie und Primadonna Stationen seines Berufslebens sind Marburg, Berlin, München und Zürich. Einmal hat er gleich zwei Stellen inne: Da nicht so schnell ein Nachfolger gefunden werden konnte, arbeitet er drei Tage die Woche als Universitätsprofessor und Chirurg in München und vier in Berlin – ein schier unendliches Pensum. In einer Zeit, in der Ärzte noch als „Halbgötter in Weiß“ angesehen wurden, bezaubert er die Menschen durch sein charismatisches Wesen. Mitmenschen bescheinigen ihm ein hohes Ethos, der Kollege Paul Rosenstein lobt seinen „Charakter und Courage“ und eine ehemalige Mitarbeiterin erinnert sich, dass er seine gesamte Umgebung in einen „elektrischen Zustand erhöhter Aufmerksamkeit“ versetzte.

Gleichwohl sagt man dem berühmten Chirurgen bisweilen auch das Verhalten einer Primadonna nach – mit dem Hang zu theatralischen Gefühlsausbrüchen. Manchmal verkennt er sogar andere medizinische Genies. Werner Forßmanns Installation des ersten Herzkatheters bezeichnet er als „Zirkusnummer“ (sein ehemaliger Mitarbeiter bekam dafür später den Medizin-Nobelpreis) und Gerhard Domagk, Erfinder der Sulfonamid-Therapie, war für ihn ein „Trottel“. Sauerbruch konstruiert eine neuartige bewegliche Unterarm-Prothese, die vor allem den Kriegsversehrten hilft.

Dabei werden über eine Verbindung durch den Oberarm die Bewegungsreflexe genutzt. Er ersinnt außerdem die so genannte „Umkipp-Plastik“: Nach Entfernung eines kranken oder zerstörten Oberschenkelknochens wird der Unterschenkel in die Hüftpfanne eingesetzt. Zu Sauerbruchs unbestreitbaren medizinischen Leistungen gehört die erste erfolgreiche Operation eines Herz-Aneurysmas sowie die eines „Kalk-Herzens“, indem er den Kalkmantel herausnahm und dem Herz wieder Beweglichkeit ermöglicht.

Ferdinand Sauerbruchs zweite Ehefrau Dr. Margot Grossmann war eine Kollegin. In ihrem Geburtsort Großröhrsdorf in der Lausitz wurde später eine Schule nach ihm benannt.

Forschung und Veröffentlichungen Sauerbruch vergisst nie, wo er hergekommen ist: Er operiert die Prominenten seiner Zeit genauso wie die Mittellosen. Im ersten Weltkrieg meldet er sich freiwillig, wird aber schon ein Jahr später beurlaubt: 1915 widmet er sich in Zürich wieder der Prothesen-Forschung, später dann in Marburg den Möglichkeiten der Organtransplantation.

In der Zeit zwischen den Weltkriegen forscht und operiert Sauerbruch unermüdlich weiter, er schreibt diverse Fachbücher, die große Beachtung finden. 1933 beginnt die schwierige Beziehung des Professors zum Nationalsozialismus. Im Rückblick ist es wohl ein „Ja- Aber“: Einerseits wird er von den Nazis zum Staatsrat ernannt; er verantwortet als Mitglied des Reichsforschungsrates die Menschenversuche in den Konzentrationslagern mit - andererseits bezeichnet er Hitler öffentlich als „verrücktesten Kriminellen der Welt“.

Der Professor nimmt auch den von Hitler gestifteten Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft entgegen. Einer von Sauerbruchs engsten Freunden ist der jüdische Maler Max Liebermann, der Mediziner lässt den Kontakt nie abreißen. Beide verbindet die Liebe zu Pferden, sie sind passionierte Reiter und reiten oftmals zusammen aus. Liebermann hat 1932 das berühmte Porträt von Sauerbruch im weißen Kittel gemalt; es hängt heute in der Hamburger Kunsthalle. Doch so sehr Sauerbruch sich auch manches Mal vom NS-Regime distanziert, er blieb doch stets verfügbar.

Ernst Ferdinand Sauerbruch
… wurde am 3. Juli 1875 in Barmen bei Wuppertal geboren. Er erfand das Druckdifferenzverfahren, das Operationen am offenen Brustkorb ermöglichte. Auch von ihm konstruierte spezielle Prothesen für Kriegsversehrte waren zu seiner Zeit bahnbrechend neu. Sauerbruch wurde sechzigmal für den Medizin-Nobelpreis vorgeschlagen, erhielt ihn aber nie. Der berühmte Arzt starb krank und verarmt am 2. Juli 1951 in Berlin.

Die Demenz beginnt Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt der tragische Niedergang des berühmten Arztes. Sauerbruch leidet an Zerebralsklerose; seine geistigen Fähigkeiten lassen nach. Zunächst wagt keiner, ihn darauf anzusprechen. Der Arzt ist so prominent, dass seine offensichtlichen Fehler noch keine Konsequenzen haben. Er selbst bemerkt seinen Verfall nicht. Als er bei einer Operation Magen und Darm nicht verbindet, sondern einzeln zunäht, wird er vor die Wahl gestellt: Entweder er zieht sich zurück oder er wird entlassen.

Sauerbruch wählt die Emeritierung, operiert jedoch in angemieteten Privaträumen heimlich weiter. Er diktiert einem Journalisten seine Autobiographie „So war mein Leben“, die später mit Ewald Balser verfilmt wird. Der Film wie auch das Buch haben ein Millionenpublikum und prägen das Bild vom stets selbstlosen, genialen Arzt ohne politische Verstrickungen.

Sauerbruch, der 1939 nach der Scheidung von seiner ersten Frau noch einmal geheiratet hat, verarmt zusehends, hat er doch stets einen aufwendigen Lebensstil gepflegt und zudem seine erste Familie großzügig unterstützt. Er operiert trotz fortschreitender Demenz immer weiter, auch als die Behörden dahinterkommen und es ihm untersagen. „Diese Schafsköpfe“, soll er gesagt und weitergemacht haben. Erst ein Schlaganfall kurz vor seinem Tod nimmt ihm das Skalpell aus der Hand.

Alexandra Regner, PTA/Redaktion

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/17 auf Seite 98.

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