Hauterkrankungen
HAARAUSFALL VOR DER ZEIT
Seite 1/1 4 Minuten
Ungefähr fünf Millionen Haare wachsen auf dem menschlichen Körper, etwa 150 000 davon auf dem Kopf. Jedes Haar entwickelt sich, wächst und fällt irgendwann aus, um durch ein neues ersetzt zu werden. Pro Tag um die 100 bis 150 Kopfhaare zu verlieren, ist normal. Fallen dauerhaft mehr Haare aus, wird das Haar irgendwann schütter. Im Alter ist das ein natürlicher Prozess, in jungen Jahren hingegen meist Folge einer erblichen Veranlagung und/oder einer Krankheit – so wie beim kreisrunden Haarausfall. Hierbei bilden sich innerhalb weniger Tage, manchmal auch schleichend über Wochen kleine, runde oder ovale Stellen, an denen keine Haare mehr wachsen.
Die Erkrankung kann an jeder Körperstelle auftreten, meist ist jedoch die Kopfbehaarung betroffen, bei Männern seltener auch die Bart- oder Brustbehaarung. Alopecia areata ist, wie alle Formen des Haarausfalls, nicht gefährlich, kann aber vor allem bei jungen Mädchen oder Frauen, bei denen schöne, gesunde Haare ein Ausdruck der Persönlichkeit sind, ein massives kosmetisches Problem darstellen. Dazu kommt: Die Krankheit ist noch unzureichend erforscht, schlecht prognostizierbar und hat nur begrenzte Therapiemöglichkeiten. Eine Menge Faktoren also, die Alopecia areata zu einer großen psychischen Belastung für die Betroffenen machen.
Der Fuchs als Namensgeber Manchmal führt eine vorhergehende Hauterkrankung zu örtlich begrenztem Haarausfall, die Haare wachsen jedoch nach, wenn die Grunderkrankung austherapiert wurde. Bei der typischen Alopecia areata ist dies nicht der Fall. Die Haare fallen ohne ersichtlichen Grund aus, wobei die betroffene Hautstelle glatt und schuppenlos ist. Da vor allem junge Menschen und immer mehr Kinder betroffen sind, liegt die Theorie nahe, dass die Erkrankung durch Umweltbelastungen ausgelöst wird. Doch das ist nicht korrekt: Die Alopecia areata kennt man bereits seit Hippokrates, also seit weit über 2000 Jahren. Damals beobachtete man Füchse, denen das Fell kreisrund ausfiel. Vom altgriechischen „Alopex“ für „Fuchs“ leitet sich daher auch das Wort „Alopezie“ für Haarausfall ab.
Erbliche Komponente Wahrscheinlich handelt es sich bei Alopecia areata um eine Autoimmunerkrankung: Zytotoxische T-Zellen, also Killerzellen, die eigentlich auf die Zerstörung von viral infizierten und entarteten Zellen programmiert sind, sehen die Zellen der Haarfollikel irrtümlich als Fremdkörper an und bekämpfen sie. Dadurch kommt es zu einer Entzündungsreaktion an den Haarfollikeln, das Haar fällt aus und seine Neubildung wird unterdrückt. Der Follikel bleibt aber erhalten, sodass ein erneutes Haarwachstum immer noch möglich ist.
Die Forschung konzentriert sich seit einiger Zeit darauf, den genetischen Hintergrund für die Entstehung von Alopecia areata zu erforschen. Nach bisherigen Ergebnissen scheint es einen Zusammenhang mit Genen zu geben, die bei anderen Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes und entzündlichen Rheumaformen eine Rolle spielen. Der Erbgang für Alopecia areata ist noch nicht klar, die familiäre Häufung jedoch erwiesen. Ist ein Elternteil betroffen, steigt das Erkrankungsrisiko für die Kinder auf sechs Prozent an, während es bei der Normalbevölkerung bei ein bis zwei Prozent liegt.
Haare lassen für die Diagnose Rund um die haarlosen Stellen finden sich abgebrochene Haare, die nach unten hin immer dünner werden und die man aufgrund ihrer Form als „Ausrufezeichenhaare“ bezeichnet. Sie sind ein typisches Symptom der Erkrankung. Für eine sichere Diagnose benötigt man jedoch ein Trichogramm, bei dem den Haarwurzeln lichtmikroskopisch untersucht werden, wofür man bis zu 60 Haare von der Kopfhaut entfernt. In unklaren Fällen kann eine Hautbiopsie nötig werden. In der histologischen Untersuchung kann man im Querschnitt den haarfaserlosen Follikel und die ihn umgebenden Entzündungszellen erkennen.
Von kahlen Flecken zum Kahlschlag Bei etwa zwei Dritteln der Betroffenen heilt die Alopecia areata nach einigen Jahren spontan aus. Bei einem Drittel ist der Haarverlust jedoch dauerhaft, und manchmal entwickelt er sich sogar weiter: Von haarlosen Flecken an einer (unilocularis) hin zu mehreren Stellen (multilocularis), über einen fast vollständigen (subtotalis) zum kompletten Kopfhaarverlust (Alopecia totalis), der auch Augenbrauen und Wimpern umfasst. Im schlimmsten Fall verlieren Betroffene sämtliche Körperhaare (Alopecia universalis). Eine Sonderform stellt die Alopecia ophealis dar, bei der es zu kranzförmigem Haarausfall über den Ohren und am Nacken kommt, Augenbrauen und Wimpern aber weiterhin vorhanden sind.
So schwer es fällt: Abwarten! Eine kausale Therapie ist nicht möglich, die Behandlungsmöglichkeiten beschränken sich daher auf eine Reduzierung der Symptome. Bei erst kurz bestehenden Fällen kann man mit Cortison gegen die Entzündung vorgehen, jedoch verschlechtert sich die Krankheit nach Absetzen des Medikaments meist wieder. Zinktherapien zur Immunstabilisierung haben keinen wissenschaftlich belegten Nutzen. Thymuspeptide in Shampoos können das Immunsystem modulieren. Zwar hat die Methode keine Nebenwirkungen, die Erfolge sind aber ebenfalls nicht wissenschaftlich gesichert. Bei bereits länger bestehender Alopecia areata kann man versuchen, die körpereigene Abwehr durch Immunsuppressiva zu unterdrücken, sodass sie die Haarfollikel nicht mehr angreift.
Man kann sie aber auch auf andere Ziele lenken, indem man spezielle Tinkturen auf die Kopfhaut aufträgt, die die Haut leicht verletzen. Das Immunsystem ist daraufhin mit der Reparatur dieser Stellen beschäftigt und die Haarfollikel der betroffenen Stellen können sich regenerieren. Eine weitere Möglichkeit ist die topische Immuntherapie, bei der durch das Auftragen eines Kontaktallergens auf die Kopfhaut ein Ekzem erzeugt wird, in dem sich wieder Haare bilden können. All diese Therapien zeigen bei etwa zwei Dritteln der Betroffenen Wirkung. Damit ist ihr Erfolg aber nicht höher als die Spontanheilungsrate, sie können aber starke Nebenwirkungen haben. Daher sollte man bei Alopecia areata erst einmal abwarten. Für viele Betroffene ist das jedoch schwer zu akzeptieren.
Psychisch belastend Die Krankheit kann sich kontinuierlich oder aber schubweise verschlimmern, jahrelang zwischen Verschlimmerung und Verbesserung hin- und herpendeln, spontan ausheilen und Jahrzehnte später erneut ausbrechen. Die Untersuchung auf kahle Stellen, das Zählen der ausgefallenen Haare und der ständige Kontrollblick in den Spiegel werden zum Alltag für viele. Und dann müssen sie für die Diagnose und die Therapieüberwachung beim Trichogramm oder dem TrichoScan wiederum Haare lassen. Letzterer dient dazu, unter Therapie per Computer den Haarwuchs zu überprüfen.
Dazu wird ein etwa zwei Zentimeter großes Stück der Kopfhaut rasiert und eingefärbt und die nachwachsenden Haare anschließend per Computer analysiert. Die psychische Belastung, die die Betroffenen letztlich aushalten müssen, ist immens. Und kontraproduktiv, denn neben Infektionen ist Stress der größte Triggerfaktor für die Krankheit. Betroffene sollten daher bei länger anhaltender Alopecia areata immer auch überlegen, inwiefern eine psychologische Begleitung für sie sinnvoll ist.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/19 ab Seite 90.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist